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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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2. Die Reaction und die spanische Tracht.
ehrbaren Bürgerstand ausgenommen -- nur ein Schmuck, der
das Haar nicht verdeckte. Die Coiffüre baute sich nach oben,
unterstützt durch "Gabeln von Draht," "geschmückt mit großen,
wundersam gearbeiteten Gewinden von Gold und Silber, mit
Hörnern, Goldreifen, Diademen, Glas u. a.; obenauf stand ein
zierliches Hütchen oder Häubchen von Sammet, von Gold- und
Silberstoff, ein durchscheinendes Netzhäubchen, ein Drahtkäpp-
chen mit drei Ecken oder Hörnern, "den Bischofsmützen ähnlich."
Immer blieb das Haar sichtbar, das an Stirn und Schläfen hin-
aufgekräuselt war. Sandblond war die Lieblingsfarbe, welche
in England nicht selten ist, bei etwaigem Mangel aber durch
Färbung oder falsches Haar hergestellt wurde. Darauf beziehen
sich die Verse Shakespeare's:

The golden tresses of the dead,
The right of sepulture, were shorn away,
To live a second live on second head,
And beautys dead fleece made another gay.

Wir könnten so die Herrschaft der spanischen Mode noch
weiter durch die Länder verfolgen, in den skandinavischen Norden
hinauf und ostwärts bis nach Rußland und Siebenbürgen hin-
ein, wohin auf den Wegen der Civilisation und des Handels
auch die ausgestopften Puffen und die große Krause drangen.
Wir kehren aber nach Deutschland zurück, wo sich die Verhält-
nisse wesentlich anders gestalteten wie in den romanischen Län-
dern. Denn in den letzteren lenkte die Bewegung und mit ihr
auch die Kleidung von selbst in ein gleiches Bett ein, sodaß gegen
die in Spanien schneller zur Reife gediehenen Formen kein Wider-
stand aufkommen konnte, während in Deutschland der Strom
über seine Ufer getreten war und aller Schranken gespottet hatte.
Dadurch war es möglich geworden, daß sich in Deutschland eine
eigenthümliche Tracht herausgebildet hatte, welche sich durch
charakteristische Merkmale von der fremden wesentlich unterschied.
Die spanischen Moden fanden somit einen Gegner vor, der im
Besitze des Feldes ihnen dasselbe streitig machte. Auf das Detail

2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ehrbaren Bürgerſtand ausgenommen — nur ein Schmuck, der
das Haar nicht verdeckte. Die Coiffüre baute ſich nach oben,
unterſtützt durch „Gabeln von Draht,“ „geſchmückt mit großen,
wunderſam gearbeiteten Gewinden von Gold und Silber, mit
Hörnern, Goldreifen, Diademen, Glas u. a.; obenauf ſtand ein
zierliches Hütchen oder Häubchen von Sammet, von Gold- und
Silberſtoff, ein durchſcheinendes Netzhäubchen, ein Drahtkäpp-
chen mit drei Ecken oder Hörnern, „den Biſchofsmützen ähnlich.“
Immer blieb das Haar ſichtbar, das an Stirn und Schläfen hin-
aufgekräuſelt war. Sandblond war die Lieblingsfarbe, welche
in England nicht ſelten iſt, bei etwaigem Mangel aber durch
Färbung oder falſches Haar hergeſtellt wurde. Darauf beziehen
ſich die Verſe Shakeſpeare’s:

The golden tresses of the dead,
The right of sepulture, were shorn away,
To live a second live on second head,
And beautys dead fleece made another gay.

Wir könnten ſo die Herrſchaft der ſpaniſchen Mode noch
weiter durch die Länder verfolgen, in den ſkandinaviſchen Norden
hinauf und oſtwärts bis nach Rußland und Siebenbürgen hin-
ein, wohin auf den Wegen der Civiliſation und des Handels
auch die ausgeſtopften Puffen und die große Krauſe drangen.
Wir kehren aber nach Deutſchland zurück, wo ſich die Verhält-
niſſe weſentlich anders geſtalteten wie in den romaniſchen Län-
dern. Denn in den letzteren lenkte die Bewegung und mit ihr
auch die Kleidung von ſelbſt in ein gleiches Bett ein, ſodaß gegen
die in Spanien ſchneller zur Reife gediehenen Formen kein Wider-
ſtand aufkommen konnte, während in Deutſchland der Strom
über ſeine Ufer getreten war und aller Schranken geſpottet hatte.
Dadurch war es möglich geworden, daß ſich in Deutſchland eine
eigenthümliche Tracht herausgebildet hatte, welche ſich durch
charakteriſtiſche Merkmale von der fremden weſentlich unterſchied.
Die ſpaniſchen Moden fanden ſomit einen Gegner vor, der im
Beſitze des Feldes ihnen daſſelbe ſtreitig machte. Auf das Detail

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[111/0123] 2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht. ehrbaren Bürgerſtand ausgenommen — nur ein Schmuck, der das Haar nicht verdeckte. Die Coiffüre baute ſich nach oben, unterſtützt durch „Gabeln von Draht,“ „geſchmückt mit großen, wunderſam gearbeiteten Gewinden von Gold und Silber, mit Hörnern, Goldreifen, Diademen, Glas u. a.; obenauf ſtand ein zierliches Hütchen oder Häubchen von Sammet, von Gold- und Silberſtoff, ein durchſcheinendes Netzhäubchen, ein Drahtkäpp- chen mit drei Ecken oder Hörnern, „den Biſchofsmützen ähnlich.“ Immer blieb das Haar ſichtbar, das an Stirn und Schläfen hin- aufgekräuſelt war. Sandblond war die Lieblingsfarbe, welche in England nicht ſelten iſt, bei etwaigem Mangel aber durch Färbung oder falſches Haar hergeſtellt wurde. Darauf beziehen ſich die Verſe Shakeſpeare’s: The golden tresses of the dead, The right of sepulture, were shorn away, To live a second live on second head, And beautys dead fleece made another gay. Wir könnten ſo die Herrſchaft der ſpaniſchen Mode noch weiter durch die Länder verfolgen, in den ſkandinaviſchen Norden hinauf und oſtwärts bis nach Rußland und Siebenbürgen hin- ein, wohin auf den Wegen der Civiliſation und des Handels auch die ausgeſtopften Puffen und die große Krauſe drangen. Wir kehren aber nach Deutſchland zurück, wo ſich die Verhält- niſſe weſentlich anders geſtalteten wie in den romaniſchen Län- dern. Denn in den letzteren lenkte die Bewegung und mit ihr auch die Kleidung von ſelbſt in ein gleiches Bett ein, ſodaß gegen die in Spanien ſchneller zur Reife gediehenen Formen kein Wider- ſtand aufkommen konnte, während in Deutſchland der Strom über ſeine Ufer getreten war und aller Schranken geſpottet hatte. Dadurch war es möglich geworden, daß ſich in Deutſchland eine eigenthümliche Tracht herausgebildet hatte, welche ſich durch charakteriſtiſche Merkmale von der fremden weſentlich unterſchied. Die ſpaniſchen Moden fanden ſomit einen Gegner vor, der im Beſitze des Feldes ihnen daſſelbe ſtreitig machte. Auf das Detail

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/123>, abgerufen am 21.11.2024.