Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. meinsame durchaus vorherrschend ist, und somit die besondereTrachtenbildung erst im Werden sich befindet. Wir werden noch näher darauf zurückkommen, nachdem wir den Gang der großen und allgemeinen Entwicklung in der vornehmen oder modischen Frauenwelt Deutschlands haben kennen lernen. Der Anblick die- ser ist bald ein völlig einstimmiger, trotz der farbigen und aben- teuerlichen Schilderungen eifernder Prediger. Es handelte sich bei den Frauen weniger um den Kampf Schon damals ist die Decolletirung so gänzlich ge- "Zu Heidelberg eins Burgers Weib Gekleidet ist an ihrem Leib Fein sauberlich und doch erbarlich, Wie das in der Stadt ist bräuchlich." Von den Frauen in Lübeck wird gesagt: "Auf Zucht und alle Ehrbarkeit Ist auch gerichtet ihr ganzes Kleid;" III. Die Neuzeit. meinſame durchaus vorherrſchend iſt, und ſomit die beſondereTrachtenbildung erſt im Werden ſich befindet. Wir werden noch näher darauf zurückkommen, nachdem wir den Gang der großen und allgemeinen Entwicklung in der vornehmen oder modiſchen Frauenwelt Deutſchlands haben kennen lernen. Der Anblick die- ſer iſt bald ein völlig einſtimmiger, trotz der farbigen und aben- teuerlichen Schilderungen eifernder Prediger. Es handelte ſich bei den Frauen weniger um den Kampf Schon damals iſt die Decolletirung ſo gänzlich ge- „Zu Heidelberg eins Burgers Weib Gekleidet iſt an ihrem Leib Fein ſauberlich und doch erbarlich, Wie das in der Stadt iſt bräuchlich.“ Von den Frauen in Lübeck wird geſagt: „Auf Zucht und alle Ehrbarkeit Iſt auch gerichtet ihr ganzes Kleid;“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0140" n="128"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> meinſame durchaus vorherrſchend iſt, und ſomit die beſondere<lb/> Trachtenbildung erſt im Werden ſich befindet. Wir werden noch<lb/> näher darauf zurückkommen, nachdem wir den Gang der großen<lb/> und allgemeinen Entwicklung in der vornehmen oder modiſchen<lb/> Frauenwelt Deutſchlands haben kennen lernen. Der Anblick die-<lb/> ſer iſt bald ein völlig einſtimmiger, trotz der farbigen und aben-<lb/> teuerlichen Schilderungen eifernder Prediger.</p><lb/> <p>Es handelte ſich bei den Frauen weniger um den Kampf<lb/> der einzelnen Stücke wie bei der männlichen Tracht, als um den<lb/> allgemeinen Charakter, um eine freie und wenn auch nicht weite,<lb/> doch bequeme Gewandung von vollem Fluß und Wurf, von flot-<lb/> ten, oft faſt männlichen Formen im Gegenſatz zu gezierter, ma-<lb/> nierirter, ſelbſt unnatürlicher Steifheit: es iſt der Kampf einer,<lb/> man möchte ſagen, revolutionären Grazie mit der hofmäßigen.<lb/> Aber die Schlacht war eigentlich ſchon entſchieden, ehe ſie be-<lb/> gann. Wir haben geſehen, wie ſich das Reformationscoſtüm<lb/> ſchon vor dem Jahre 1550 auf dem Rückzuge befindet, und bald<lb/> nach dieſem Zeitpunkte iſt es raſch in’s Gegentheil umgeſchlagen;<lb/> faſt verſchwinden uns die Uebergänge.</p><lb/> <p>Schon damals iſt die <hi rendition="#g">Decolletirung</hi> ſo gänzlich ge-<lb/> wichen, daß wenigſtens an der Ehrbarkeit deutſcher Frauen und<lb/> Jungfrauen in ihrem Aeußern die Geiſtlichen nichts auszuſetzen<lb/> haben. Eine gleichzeitige Stimme ſagt: „Der Weiber Kleidung<lb/> iſt jetzt köſtlich, aber ehrbar gemacht, und wenig (ausgenommen<lb/> den fürwitzigen Ueberfluß) zu tadeln.“ In Joſt Ammans Frauen-<lb/> trachtenbuch, dem „Frauwenzimmer“, iſt in den begleitenden<lb/> Verſen die Ehrbarkeit ein faſt ſtehendes Beiwort; ſo heißt es:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Zu Heidelberg eins Burgers Weib</l><lb/> <l>Gekleidet iſt an ihrem Leib</l><lb/> <l>Fein ſauberlich und doch erbarlich,</l><lb/> <l>Wie das in der Stadt iſt bräuchlich.“</l> </lg><lb/> <p>Von den Frauen in Lübeck wird geſagt:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Auf Zucht und alle Ehrbarkeit</l><lb/> <l>Iſt auch gerichtet ihr ganzes Kleid;“</l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [128/0140]
III. Die Neuzeit.
meinſame durchaus vorherrſchend iſt, und ſomit die beſondere
Trachtenbildung erſt im Werden ſich befindet. Wir werden noch
näher darauf zurückkommen, nachdem wir den Gang der großen
und allgemeinen Entwicklung in der vornehmen oder modiſchen
Frauenwelt Deutſchlands haben kennen lernen. Der Anblick die-
ſer iſt bald ein völlig einſtimmiger, trotz der farbigen und aben-
teuerlichen Schilderungen eifernder Prediger.
Es handelte ſich bei den Frauen weniger um den Kampf
der einzelnen Stücke wie bei der männlichen Tracht, als um den
allgemeinen Charakter, um eine freie und wenn auch nicht weite,
doch bequeme Gewandung von vollem Fluß und Wurf, von flot-
ten, oft faſt männlichen Formen im Gegenſatz zu gezierter, ma-
nierirter, ſelbſt unnatürlicher Steifheit: es iſt der Kampf einer,
man möchte ſagen, revolutionären Grazie mit der hofmäßigen.
Aber die Schlacht war eigentlich ſchon entſchieden, ehe ſie be-
gann. Wir haben geſehen, wie ſich das Reformationscoſtüm
ſchon vor dem Jahre 1550 auf dem Rückzuge befindet, und bald
nach dieſem Zeitpunkte iſt es raſch in’s Gegentheil umgeſchlagen;
faſt verſchwinden uns die Uebergänge.
Schon damals iſt die Decolletirung ſo gänzlich ge-
wichen, daß wenigſtens an der Ehrbarkeit deutſcher Frauen und
Jungfrauen in ihrem Aeußern die Geiſtlichen nichts auszuſetzen
haben. Eine gleichzeitige Stimme ſagt: „Der Weiber Kleidung
iſt jetzt köſtlich, aber ehrbar gemacht, und wenig (ausgenommen
den fürwitzigen Ueberfluß) zu tadeln.“ In Joſt Ammans Frauen-
trachtenbuch, dem „Frauwenzimmer“, iſt in den begleitenden
Verſen die Ehrbarkeit ein faſt ſtehendes Beiwort; ſo heißt es:
„Zu Heidelberg eins Burgers Weib
Gekleidet iſt an ihrem Leib
Fein ſauberlich und doch erbarlich,
Wie das in der Stadt iſt bräuchlich.“
Von den Frauen in Lübeck wird geſagt:
„Auf Zucht und alle Ehrbarkeit
Iſt auch gerichtet ihr ganzes Kleid;“
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