Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. und damit wird dem Haupthaar die Freiheit des Wachsthumszurückgegeben. Indeß konnte das nur allmählig und langsam geschehen, denn die Krause leistete heftigen Widerstand und war erst nach Verlauf von drei Jahrzehnten völlig beseitigt oder um- gewandelt. In doppelter Gestalt, deren Anfänge wir bereits um 1600 bemerken können, gab sie der neuen Zeitströmung nach. Einmal, und das war für den Wuchs des Haupthaares zunächst der günstigere Fall, behielt sie zwar ihre Breite und "schlangen- windige" Dicke, trat aber von Kinn und Ohren zurück und legte sich herab auf Schultern und Rücken. In dieser Form können wir sie noch bis über das Jahr 1630 hinaus verfolgen, dann verschwindet sie völlig aus der modischen Welt; indeß fristet sie noch, wie schon erwähnt, bei Rathsherren und Geistlichen fast zwei Jahrhunderte lang ein lebloses, der organischen Weiter- bildung unfähiges Dasein. Die zweite Weise, in welcher sich die Krause ändert, ist be- Zu diesen beiden gesellt sich noch eine dritte Form, der 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. und damit wird dem Haupthaar die Freiheit des Wachsthumszurückgegeben. Indeß konnte das nur allmählig und langſam geſchehen, denn die Krauſe leiſtete heftigen Widerſtand und war erſt nach Verlauf von drei Jahrzehnten völlig beſeitigt oder um- gewandelt. In doppelter Geſtalt, deren Anfänge wir bereits um 1600 bemerken können, gab ſie der neuen Zeitſtrömung nach. Einmal, und das war für den Wuchs des Haupthaares zunächſt der günſtigere Fall, behielt ſie zwar ihre Breite und „ſchlangen- windige“ Dicke, trat aber von Kinn und Ohren zurück und legte ſich herab auf Schultern und Rücken. In dieſer Form können wir ſie noch bis über das Jahr 1630 hinaus verfolgen, dann verſchwindet ſie völlig aus der modiſchen Welt; indeß friſtet ſie noch, wie ſchon erwähnt, bei Rathsherren und Geiſtlichen faſt zwei Jahrhunderte lang ein lebloſes, der organiſchen Weiter- bildung unfähiges Daſein. Die zweite Weiſe, in welcher ſich die Krauſe ändert, iſt be- Zu dieſen beiden geſellt ſich noch eine dritte Form, der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0187" n="175"/><fw place="top" type="header">3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.</fw><lb/> und damit wird dem <hi rendition="#g">Haupthaar</hi> die Freiheit des Wachsthums<lb/> zurückgegeben. Indeß konnte das nur allmählig und langſam<lb/> geſchehen, denn die Krauſe leiſtete heftigen Widerſtand und war<lb/> erſt nach Verlauf von drei Jahrzehnten völlig beſeitigt oder um-<lb/> gewandelt. In doppelter Geſtalt, deren Anfänge wir bereits um<lb/> 1600 bemerken können, gab ſie der neuen Zeitſtrömung nach.<lb/> Einmal, und das war für den Wuchs des Haupthaares zunächſt<lb/> der günſtigere Fall, behielt ſie zwar ihre Breite und „ſchlangen-<lb/> windige“ Dicke, trat aber von Kinn und Ohren zurück und legte<lb/> ſich herab auf Schultern und Rücken. In dieſer Form können<lb/> wir ſie noch bis über das Jahr 1630 hinaus verfolgen, dann<lb/> verſchwindet ſie völlig aus der modiſchen Welt; indeß friſtet ſie<lb/> noch, wie ſchon erwähnt, bei Rathsherren und Geiſtlichen faſt<lb/> zwei Jahrhunderte lang ein lebloſes, der organiſchen Weiter-<lb/> bildung unfähiges Daſein.</p><lb/> <p>Die zweite Weiſe, in welcher ſich die Krauſe ändert, iſt be-<lb/> deutungsvoller, denn durch ſie entſteht der für das Coſtüm des<lb/> dreißigjährigen Kriegs ſo charakteriſtiſche <hi rendition="#g">Spitzenkragen</hi>.<lb/> Wir haben ſchon in der vorigen Periode geſehen, daß die große<lb/> dreifach gewundene Krauſe zur Stütze ein Untergeſtell erhalten<lb/> hatte, einen ſcheibenförmigen Kragen, der über Gold- oder Sil-<lb/> berdraht ausgeſpannt war. Indem nun dieſer ſchlichte Unter-<lb/> kragen mehr und mehr bloß aus den feinſten, koſtbarſten und<lb/> kunſtreichſten Spitzen in den zierlichſten Muſtern gebildet wurde,<lb/> verlor die Krauſe ſelbſt an Bedeutung, ſodaß ſie ganz wegge-<lb/> laſſen werden konnte und man den Unterkragen allein trug.<lb/> Dieſer neue Kragen war durch die breiten Spitzen, welche faſt<lb/> unmittelbar am Halſe begannen, ein koſtbares Stück, und wir<lb/> ſehen ihn daher in den erſten Jahrzehnten des ſiebzehnten Jahr-<lb/> hunderts vorzugsweiſe von fürſtlichen Perſonen getragen. Allein<lb/> in dieſer ſteifen, durch Draht geſtützten Geſtalt widerſtrebte er<lb/> der Zeitſtrömung, da er im Nacken aufgerichtet ſtand wie ſein<lb/> Vorgänger. So muß auch er ſich bequemen und legt ſich nun<lb/> ſchlaff auf die Schultern herab.</p><lb/> <p>Zu dieſen beiden geſellt ſich noch eine dritte Form, der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [175/0187]
3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
und damit wird dem Haupthaar die Freiheit des Wachsthums
zurückgegeben. Indeß konnte das nur allmählig und langſam
geſchehen, denn die Krauſe leiſtete heftigen Widerſtand und war
erſt nach Verlauf von drei Jahrzehnten völlig beſeitigt oder um-
gewandelt. In doppelter Geſtalt, deren Anfänge wir bereits um
1600 bemerken können, gab ſie der neuen Zeitſtrömung nach.
Einmal, und das war für den Wuchs des Haupthaares zunächſt
der günſtigere Fall, behielt ſie zwar ihre Breite und „ſchlangen-
windige“ Dicke, trat aber von Kinn und Ohren zurück und legte
ſich herab auf Schultern und Rücken. In dieſer Form können
wir ſie noch bis über das Jahr 1630 hinaus verfolgen, dann
verſchwindet ſie völlig aus der modiſchen Welt; indeß friſtet ſie
noch, wie ſchon erwähnt, bei Rathsherren und Geiſtlichen faſt
zwei Jahrhunderte lang ein lebloſes, der organiſchen Weiter-
bildung unfähiges Daſein.
Die zweite Weiſe, in welcher ſich die Krauſe ändert, iſt be-
deutungsvoller, denn durch ſie entſteht der für das Coſtüm des
dreißigjährigen Kriegs ſo charakteriſtiſche Spitzenkragen.
Wir haben ſchon in der vorigen Periode geſehen, daß die große
dreifach gewundene Krauſe zur Stütze ein Untergeſtell erhalten
hatte, einen ſcheibenförmigen Kragen, der über Gold- oder Sil-
berdraht ausgeſpannt war. Indem nun dieſer ſchlichte Unter-
kragen mehr und mehr bloß aus den feinſten, koſtbarſten und
kunſtreichſten Spitzen in den zierlichſten Muſtern gebildet wurde,
verlor die Krauſe ſelbſt an Bedeutung, ſodaß ſie ganz wegge-
laſſen werden konnte und man den Unterkragen allein trug.
Dieſer neue Kragen war durch die breiten Spitzen, welche faſt
unmittelbar am Halſe begannen, ein koſtbares Stück, und wir
ſehen ihn daher in den erſten Jahrzehnten des ſiebzehnten Jahr-
hunderts vorzugsweiſe von fürſtlichen Perſonen getragen. Allein
in dieſer ſteifen, durch Draht geſtützten Geſtalt widerſtrebte er
der Zeitſtrömung, da er im Nacken aufgerichtet ſtand wie ſein
Vorgänger. So muß auch er ſich bequemen und legt ſich nun
ſchlaff auf die Schultern herab.
Zu dieſen beiden geſellt ſich noch eine dritte Form, der
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