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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
schlichte wallonische Reiterkragen, welcher, in dem niederländischen
Kriege viel gesehen, unter diesem Namen schon in der zweiten
Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts nach Spanien gekommen
war. Seine Einfachheit und Billigkeit empfahl ihn für den
Kriegsgebrauch, weßhalb er auch so ziemlich den ganzen dreißig-
jährigen Krieg hindurch sich neben dem Spitzenkragen behauptet:
es war ein schlichter weißer, unverzierter Kragen, der etwa in
Handbreite oder mehr sich um den Halsrand des Wammses her-
umlegt.

Bis zum Jahre 1630 gehen alle diese Formen neben ein-
ander her, dann aber wird für den Schluß dieser Periode der
schlaffe und breite weiße Kragen mit gezacktem Spitzenrand weit
überwiegend. Das Haar hat damit völlige Freiheit erhalten und
macht auch von derselben den ausschweifendsten Gebrauch. Beide,
die Männer des Krieges wie des Friedens, lassen es nun wach-
sen, bis es sich wallend um die Schultern legt. Auf der Mitte
der Stirn wird es gescheitelt, und dann sinkt es kunstvoll nach
beiden Seiten wellig oder mit geringelten Locken in schönem
Flusse herab.

Aber bei soviel Haupthaar konnte dem Barte unmöglich
ebensoviel Freiheit und Fülle gestattet werden; es wäre des Gu-
ten zu viel gewesen. Vielmehr bemächtigt sich seiner die Stutzer-
haftigkeit dieser Zeit und behandelt ihn in zierlicher Weise. Es
ist somit die Umkehr der vorigen Periode: damals kurzes Haupt-
haar und Vollbart, jetzt Locken und Spitzbart. Dem Bart auf
der Oberlippe ist Anfangs noch einiges Wachsthum gestattet,
aber er wird hinaufgebürstet und gesteift. An die Wangen legt
sich das Scheermesser und hält sie gänzlich glatt; Kinn und
Unterlippe behalten ihren Schmuck, Anfangs in breiterer Gestalt,
bald aber nach unten zugespitzt. So entsteht die Form, die wir
heute den "Wallensteiner" nennen. Die Franzosen waren auf
diesem Wege in noch ausgesuchterer Zierlichkeit mit dem Henri
quatre
vorangegangen. In Deutschland bemächtigt sich der
Wallensteiner in gleicher Weise der civilen wie der militärischen
Gesichter, und auch nicht die Geistlichen ließ er ungeschoren.

III. Die Neuzeit.
ſchlichte walloniſche Reiterkragen, welcher, in dem niederländiſchen
Kriege viel geſehen, unter dieſem Namen ſchon in der zweiten
Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts nach Spanien gekommen
war. Seine Einfachheit und Billigkeit empfahl ihn für den
Kriegsgebrauch, weßhalb er auch ſo ziemlich den ganzen dreißig-
jährigen Krieg hindurch ſich neben dem Spitzenkragen behauptet:
es war ein ſchlichter weißer, unverzierter Kragen, der etwa in
Handbreite oder mehr ſich um den Halsrand des Wammſes her-
umlegt.

Bis zum Jahre 1630 gehen alle dieſe Formen neben ein-
ander her, dann aber wird für den Schluß dieſer Periode der
ſchlaffe und breite weiße Kragen mit gezacktem Spitzenrand weit
überwiegend. Das Haar hat damit völlige Freiheit erhalten und
macht auch von derſelben den ausſchweifendſten Gebrauch. Beide,
die Männer des Krieges wie des Friedens, laſſen es nun wach-
ſen, bis es ſich wallend um die Schultern legt. Auf der Mitte
der Stirn wird es geſcheitelt, und dann ſinkt es kunſtvoll nach
beiden Seiten wellig oder mit geringelten Locken in ſchönem
Fluſſe herab.

Aber bei ſoviel Haupthaar konnte dem Barte unmöglich
ebenſoviel Freiheit und Fülle geſtattet werden; es wäre des Gu-
ten zu viel geweſen. Vielmehr bemächtigt ſich ſeiner die Stutzer-
haftigkeit dieſer Zeit und behandelt ihn in zierlicher Weiſe. Es
iſt ſomit die Umkehr der vorigen Periode: damals kurzes Haupt-
haar und Vollbart, jetzt Locken und Spitzbart. Dem Bart auf
der Oberlippe iſt Anfangs noch einiges Wachsthum geſtattet,
aber er wird hinaufgebürſtet und geſteift. An die Wangen legt
ſich das Scheermeſſer und hält ſie gänzlich glatt; Kinn und
Unterlippe behalten ihren Schmuck, Anfangs in breiterer Geſtalt,
bald aber nach unten zugeſpitzt. So entſteht die Form, die wir
heute den „Wallenſteiner“ nennen. Die Franzoſen waren auf
dieſem Wege in noch ausgeſuchterer Zierlichkeit mit dem Henri
quatre
vorangegangen. In Deutſchland bemächtigt ſich der
Wallenſteiner in gleicher Weiſe der civilen wie der militäriſchen
Geſichter, und auch nicht die Geiſtlichen ließ er ungeſchoren.

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[176/0188] III. Die Neuzeit. ſchlichte walloniſche Reiterkragen, welcher, in dem niederländiſchen Kriege viel geſehen, unter dieſem Namen ſchon in der zweiten Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts nach Spanien gekommen war. Seine Einfachheit und Billigkeit empfahl ihn für den Kriegsgebrauch, weßhalb er auch ſo ziemlich den ganzen dreißig- jährigen Krieg hindurch ſich neben dem Spitzenkragen behauptet: es war ein ſchlichter weißer, unverzierter Kragen, der etwa in Handbreite oder mehr ſich um den Halsrand des Wammſes her- umlegt. Bis zum Jahre 1630 gehen alle dieſe Formen neben ein- ander her, dann aber wird für den Schluß dieſer Periode der ſchlaffe und breite weiße Kragen mit gezacktem Spitzenrand weit überwiegend. Das Haar hat damit völlige Freiheit erhalten und macht auch von derſelben den ausſchweifendſten Gebrauch. Beide, die Männer des Krieges wie des Friedens, laſſen es nun wach- ſen, bis es ſich wallend um die Schultern legt. Auf der Mitte der Stirn wird es geſcheitelt, und dann ſinkt es kunſtvoll nach beiden Seiten wellig oder mit geringelten Locken in ſchönem Fluſſe herab. Aber bei ſoviel Haupthaar konnte dem Barte unmöglich ebenſoviel Freiheit und Fülle geſtattet werden; es wäre des Gu- ten zu viel geweſen. Vielmehr bemächtigt ſich ſeiner die Stutzer- haftigkeit dieſer Zeit und behandelt ihn in zierlicher Weiſe. Es iſt ſomit die Umkehr der vorigen Periode: damals kurzes Haupt- haar und Vollbart, jetzt Locken und Spitzbart. Dem Bart auf der Oberlippe iſt Anfangs noch einiges Wachsthum geſtattet, aber er wird hinaufgebürſtet und geſteift. An die Wangen legt ſich das Scheermeſſer und hält ſie gänzlich glatt; Kinn und Unterlippe behalten ihren Schmuck, Anfangs in breiterer Geſtalt, bald aber nach unten zugeſpitzt. So entſteht die Form, die wir heute den „Wallenſteiner“ nennen. Die Franzoſen waren auf dieſem Wege in noch ausgeſuchterer Zierlichkeit mit dem Henri quatre vorangegangen. In Deutſchland bemächtigt ſich der Wallenſteiner in gleicher Weiſe der civilen wie der militäriſchen Geſichter, und auch nicht die Geiſtlichen ließ er ungeſchoren.

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/188>, abgerufen am 25.11.2024.