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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. französ. Mode.
genommene Männerwelt sah den Balken im eigenen Auge nicht;
kein Mann hatte eine Ahnung, welchen Thoren er unter der
Perrücke verbarg. Damals schrieb ein Geistlicher ein Buch: "Der
christliche Weltweise beweinet die Thorheit derer andern fünf-
undzwanzig Närrinnen", welchem auch die obige Stelle entnom-
men ist. Man schrieb Abhandlungen, ob ein Ehemann seine
Frau schlagen dürfe, was in der Praxis auch von der Geistlich-
keit empfohlen wurde, und ähnliche erbauliche Betrachtungen. --
Gedichte priesen und schilderten die Schönheit der Frau in den
überschwänglichsten Ausdrücken und Vergleichen. Da war das
Angesicht weiß wie Schnee, die Lippen Corallenzinken, die Zähne
Perlen, auf beiden Wangen waren Lilien und Rosen, die Augen
Sonnen, welche Pfeile und Flammen strahlten, die Augenbrauen
zwei Bögen von Ebenholz u. s. w. Oder es hieß:

"-- Dieselbe war ein Bild,
Der Tugend einlosieret, und Schönheit führt das Schild,
Der Mund war rother Sammt, die Lippen ausgeetzet
Mit Röslein und Rubin: mit Lilien untersetzet,
Narcissenweiß der Hals; die Finger waren Schnee,
Die Nägel Perlen gleich, das Haar wie Gold und Klee."

Im Gegensatz zu dieser Ausmalung, die sich unzählig wie-
derholt, gefiel sich die Satire darin, alle nur erdenklichen Häß-
lichkeiten am weiblichen Geschlecht aufzusuchen und sie mit ekel-
haftester Schilderung in Verse zu bringen.

Daß es in Sachen der Moralität mit dem Bürgerthum
nicht besser stand, wie mit den vornehmen, gebildeten Classen,
das vermag am besten das Theater zu zeigen, oder vielmehr das
Volksdrama, das den Händen der Dichter ganz entwunden war.
Die Schauspieler machen ihre Stücke selbst, berechnet auf den
Geschmack und die Empfänglichkeit des Volks. Es bedurfte der
allerstärksten Reizmittel, um nur auf die abgestumpften Sinne
einen Eindruck hervorzubringen. In Bezug auf Handlung,
Sprache, Action wurden alle Zügel losgelassen. Eine Begeben-
heit drängte die andere ohne einen Faden der Ordnung; Gefahr
folgte auf Gefahr, Abenteuer auf Abenteuer; politische Begeben-
heiten, Heldenthaten und Greuelscenen, Zauberstücke, Verwand-

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode.
genommene Männerwelt ſah den Balken im eigenen Auge nicht;
kein Mann hatte eine Ahnung, welchen Thoren er unter der
Perrücke verbarg. Damals ſchrieb ein Geiſtlicher ein Buch: „Der
chriſtliche Weltweiſe beweinet die Thorheit derer andern fünf-
undzwanzig Närrinnen“, welchem auch die obige Stelle entnom-
men iſt. Man ſchrieb Abhandlungen, ob ein Ehemann ſeine
Frau ſchlagen dürfe, was in der Praxis auch von der Geiſtlich-
keit empfohlen wurde, und ähnliche erbauliche Betrachtungen. —
Gedichte prieſen und ſchilderten die Schönheit der Frau in den
überſchwänglichſten Ausdrücken und Vergleichen. Da war das
Angeſicht weiß wie Schnee, die Lippen Corallenzinken, die Zähne
Perlen, auf beiden Wangen waren Lilien und Roſen, die Augen
Sonnen, welche Pfeile und Flammen ſtrahlten, die Augenbrauen
zwei Bögen von Ebenholz u. ſ. w. Oder es hieß:

„— Dieſelbe war ein Bild,
Der Tugend einloſieret, und Schönheit führt das Schild,
Der Mund war rother Sammt, die Lippen ausgeetzet
Mit Röslein und Rubin: mit Lilien unterſetzet,
Narciſſenweiß der Hals; die Finger waren Schnee,
Die Nägel Perlen gleich, das Haar wie Gold und Klee.“

Im Gegenſatz zu dieſer Ausmalung, die ſich unzählig wie-
derholt, gefiel ſich die Satire darin, alle nur erdenklichen Häß-
lichkeiten am weiblichen Geſchlecht aufzuſuchen und ſie mit ekel-
hafteſter Schilderung in Verſe zu bringen.

Daß es in Sachen der Moralität mit dem Bürgerthum
nicht beſſer ſtand, wie mit den vornehmen, gebildeten Claſſen,
das vermag am beſten das Theater zu zeigen, oder vielmehr das
Volksdrama, das den Händen der Dichter ganz entwunden war.
Die Schauſpieler machen ihre Stücke ſelbſt, berechnet auf den
Geſchmack und die Empfänglichkeit des Volks. Es bedurfte der
allerſtärkſten Reizmittel, um nur auf die abgeſtumpften Sinne
einen Eindruck hervorzubringen. In Bezug auf Handlung,
Sprache, Action wurden alle Zügel losgelaſſen. Eine Begeben-
heit drängte die andere ohne einen Faden der Ordnung; Gefahr
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heiten, Heldenthaten und Greuelſcenen, Zauberſtücke, Verwand-

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[217/0229] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode. genommene Männerwelt ſah den Balken im eigenen Auge nicht; kein Mann hatte eine Ahnung, welchen Thoren er unter der Perrücke verbarg. Damals ſchrieb ein Geiſtlicher ein Buch: „Der chriſtliche Weltweiſe beweinet die Thorheit derer andern fünf- undzwanzig Närrinnen“, welchem auch die obige Stelle entnom- men iſt. Man ſchrieb Abhandlungen, ob ein Ehemann ſeine Frau ſchlagen dürfe, was in der Praxis auch von der Geiſtlich- keit empfohlen wurde, und ähnliche erbauliche Betrachtungen. — Gedichte prieſen und ſchilderten die Schönheit der Frau in den überſchwänglichſten Ausdrücken und Vergleichen. Da war das Angeſicht weiß wie Schnee, die Lippen Corallenzinken, die Zähne Perlen, auf beiden Wangen waren Lilien und Roſen, die Augen Sonnen, welche Pfeile und Flammen ſtrahlten, die Augenbrauen zwei Bögen von Ebenholz u. ſ. w. Oder es hieß: „— Dieſelbe war ein Bild, Der Tugend einloſieret, und Schönheit führt das Schild, Der Mund war rother Sammt, die Lippen ausgeetzet Mit Röslein und Rubin: mit Lilien unterſetzet, Narciſſenweiß der Hals; die Finger waren Schnee, Die Nägel Perlen gleich, das Haar wie Gold und Klee.“ Im Gegenſatz zu dieſer Ausmalung, die ſich unzählig wie- derholt, gefiel ſich die Satire darin, alle nur erdenklichen Häß- lichkeiten am weiblichen Geſchlecht aufzuſuchen und ſie mit ekel- hafteſter Schilderung in Verſe zu bringen. Daß es in Sachen der Moralität mit dem Bürgerthum nicht beſſer ſtand, wie mit den vornehmen, gebildeten Claſſen, das vermag am beſten das Theater zu zeigen, oder vielmehr das Volksdrama, das den Händen der Dichter ganz entwunden war. Die Schauſpieler machen ihre Stücke ſelbſt, berechnet auf den Geſchmack und die Empfänglichkeit des Volks. Es bedurfte der allerſtärkſten Reizmittel, um nur auf die abgeſtumpften Sinne einen Eindruck hervorzubringen. In Bezug auf Handlung, Sprache, Action wurden alle Zügel losgelaſſen. Eine Begeben- heit drängte die andere ohne einen Faden der Ordnung; Gefahr folgte auf Gefahr, Abenteuer auf Abenteuer; politiſche Begeben- heiten, Heldenthaten und Greuelſcenen, Zauberſtücke, Verwand-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/229>, abgerufen am 24.11.2024.