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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
hunderts fast wieder als eine neue Erfindung gelten, jedenfalls
war sie in dem Grade verbessert worden, daß sie den Anforde-
rungen der neuen Mode genügte. Der Name des verdienstvollen
Mannes soll Ervais fein und Paris natürlich seine Vaterstadt
oder wenigstens der Ort, wo die Erfindung an's Licht trat. Er
war es, der das Tressiren der Haare zwischen Seidenfäden er-
fand und der Perrücke den ganzen Lockenfluß, wie er damals
Mode war, zu geben wußte. Das war es auch, was sie wieder
in's Leben rief. Bei den langen natürlichen oder gebrannten
Locken, wie man sie damals auf die Schultern herabfallen ließ,
offenbarte sich leichter ein etwaiger Mangel der Natur, und man
war um so mehr bedacht ihn zu ersetzen, je größer damals die
stutzerische Eitelkeit sich zeigte. Im Jahr 1620 erschien auf dem
Kopf des Abbes de la Riviere die erste derartige Perrücke in
Paris; sie bestand aus Haaren, welche mit einer Nähnadel neben
einander auf ein dünnes Seidennetz in der Lage der natürlichen
aufgenäht waren. So lautet eine Nachricht. Indeß schreibt ein
italienischer Dichter Mariano in einem Briefe aus Paris, datirt
vom 16. April 1615, von den Pariser Herren: "Auf dem Kopfe
tragen sie einen andern falschen aus Haaren nachgemachten Kopf,
den man Perrücke nennt." Noch in den zwanziger Jahren folgte
Ludwig XIII. selbst. Der Uebergang vom Bedürfniß zur Mode
war ein sehr leichter. Nichts war einfacher, als ein natürliches,
wenn auch noch so reiches Haar, welches der damaligen Mode
widerstrebte, durch ein falsches Kunstwerk zu ersetzen, und es
mußte das zur Nothwendigkeit werden, als eben die neue Er-
findung der Lockenmode die Möglichkeit gab, sich über die
Schranken der Natur auszudehnen. So kam es bald dahin, daß
Kahlheit oder Fülle des eigenen Haares ganz gleichgültig waren:
man setzte die Perrücke auf und trug sie eben wie ein anderes
Kleidungsstück.

Ludwig XIV. widerstrebte in seiner Jugendzeit der neuen
Mode, indeß, als sich für ihn selbst ein gewisses Bedürfniß her-
ausstellte, trug er kein Bedenken mehr, sich selbst die Perrücke
aufzusetzen. Nun griff er in seiner Weise absolutistisch durch.

III. Die Neuzeit.
hunderts faſt wieder als eine neue Erfindung gelten, jedenfalls
war ſie in dem Grade verbeſſert worden, daß ſie den Anforde-
rungen der neuen Mode genügte. Der Name des verdienſtvollen
Mannes ſoll Ervais fein und Paris natürlich ſeine Vaterſtadt
oder wenigſtens der Ort, wo die Erfindung an’s Licht trat. Er
war es, der das Treſſiren der Haare zwiſchen Seidenfäden er-
fand und der Perrücke den ganzen Lockenfluß, wie er damals
Mode war, zu geben wußte. Das war es auch, was ſie wieder
in’s Leben rief. Bei den langen natürlichen oder gebrannten
Locken, wie man ſie damals auf die Schultern herabfallen ließ,
offenbarte ſich leichter ein etwaiger Mangel der Natur, und man
war um ſo mehr bedacht ihn zu erſetzen, je größer damals die
ſtutzeriſche Eitelkeit ſich zeigte. Im Jahr 1620 erſchien auf dem
Kopf des Abbés de la Riviere die erſte derartige Perrücke in
Paris; ſie beſtand aus Haaren, welche mit einer Nähnadel neben
einander auf ein dünnes Seidennetz in der Lage der natürlichen
aufgenäht waren. So lautet eine Nachricht. Indeß ſchreibt ein
italieniſcher Dichter Mariano in einem Briefe aus Paris, datirt
vom 16. April 1615, von den Pariſer Herren: „Auf dem Kopfe
tragen ſie einen andern falſchen aus Haaren nachgemachten Kopf,
den man Perrücke nennt.“ Noch in den zwanziger Jahren folgte
Ludwig XIII. ſelbſt. Der Uebergang vom Bedürfniß zur Mode
war ein ſehr leichter. Nichts war einfacher, als ein natürliches,
wenn auch noch ſo reiches Haar, welches der damaligen Mode
widerſtrebte, durch ein falſches Kunſtwerk zu erſetzen, und es
mußte das zur Nothwendigkeit werden, als eben die neue Er-
findung der Lockenmode die Möglichkeit gab, ſich über die
Schranken der Natur auszudehnen. So kam es bald dahin, daß
Kahlheit oder Fülle des eigenen Haares ganz gleichgültig waren:
man ſetzte die Perrücke auf und trug ſie eben wie ein anderes
Kleidungsſtück.

Ludwig XIV. widerſtrebte in ſeiner Jugendzeit der neuen
Mode, indeß, als ſich für ihn ſelbſt ein gewiſſes Bedürfniß her-
ausſtellte, trug er kein Bedenken mehr, ſich ſelbſt die Perrücke
aufzuſetzen. Nun griff er in ſeiner Weiſe abſolutiſtiſch durch.

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[226/0238] III. Die Neuzeit. hunderts faſt wieder als eine neue Erfindung gelten, jedenfalls war ſie in dem Grade verbeſſert worden, daß ſie den Anforde- rungen der neuen Mode genügte. Der Name des verdienſtvollen Mannes ſoll Ervais fein und Paris natürlich ſeine Vaterſtadt oder wenigſtens der Ort, wo die Erfindung an’s Licht trat. Er war es, der das Treſſiren der Haare zwiſchen Seidenfäden er- fand und der Perrücke den ganzen Lockenfluß, wie er damals Mode war, zu geben wußte. Das war es auch, was ſie wieder in’s Leben rief. Bei den langen natürlichen oder gebrannten Locken, wie man ſie damals auf die Schultern herabfallen ließ, offenbarte ſich leichter ein etwaiger Mangel der Natur, und man war um ſo mehr bedacht ihn zu erſetzen, je größer damals die ſtutzeriſche Eitelkeit ſich zeigte. Im Jahr 1620 erſchien auf dem Kopf des Abbés de la Riviere die erſte derartige Perrücke in Paris; ſie beſtand aus Haaren, welche mit einer Nähnadel neben einander auf ein dünnes Seidennetz in der Lage der natürlichen aufgenäht waren. So lautet eine Nachricht. Indeß ſchreibt ein italieniſcher Dichter Mariano in einem Briefe aus Paris, datirt vom 16. April 1615, von den Pariſer Herren: „Auf dem Kopfe tragen ſie einen andern falſchen aus Haaren nachgemachten Kopf, den man Perrücke nennt.“ Noch in den zwanziger Jahren folgte Ludwig XIII. ſelbſt. Der Uebergang vom Bedürfniß zur Mode war ein ſehr leichter. Nichts war einfacher, als ein natürliches, wenn auch noch ſo reiches Haar, welches der damaligen Mode widerſtrebte, durch ein falſches Kunſtwerk zu erſetzen, und es mußte das zur Nothwendigkeit werden, als eben die neue Er- findung der Lockenmode die Möglichkeit gab, ſich über die Schranken der Natur auszudehnen. So kam es bald dahin, daß Kahlheit oder Fülle des eigenen Haares ganz gleichgültig waren: man ſetzte die Perrücke auf und trug ſie eben wie ein anderes Kleidungsſtück. Ludwig XIV. widerſtrebte in ſeiner Jugendzeit der neuen Mode, indeß, als ſich für ihn ſelbſt ein gewiſſes Bedürfniß her- ausſtellte, trug er kein Bedenken mehr, ſich ſelbſt die Perrücke aufzuſetzen. Nun griff er in ſeiner Weiſe abſolutiſtiſch durch.

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/238>, abgerufen am 24.11.2024.