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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
folgten. Das falsche Haar ist im Mittelalter nicht grade etwas
seltnes, und wir haben seiner im ersten Theil öfter zu gedenken
gehabt, immer aber dient es nur die Blöße zu bedecken oder auf-
zubessern, was die Natur kärglich verliehen hat. Daß man auch
die vollständige Perrücke kannte, ersehen wir aus den folgenden
Versen, die dem dreizehnten Jahrhundert angehören:

"Man lieset von einem Ritter das,
Daß er kahl von Nature was
Und ohne Haar; das was ihm leid;
Nun hat er eine Gewohnheit,
Daß er aufbaut ein Hauben gut
Mit Haare" u. s. w.

Es wird dann weiter berichtet, wie er beim Turnier zu
großem Lärm den Helm und die Haarhaube zugleich verloren
habe. Zur Zeit der Reformation scheint die Perrücke schon häu-
figer vorgekommen zu sein und das erfindungsreiche Nürnberg
sich eines besondern Rufes in ihrer Fabrication erfreut zu haben,
doch wer das Unglück hatte eine zu tragen, suchte es bestmöglich
zu verbergen. So schreibt der Herzog Johann von Sachsen an
seinen Schösser zu Koburg, Arnold von Falkenstein, im Jahr
1518: "Unser Begehr ist, du wollest Uns ein hübsch gemacht
Haar auf das beste zu Nürnberg bestellen, und doch in Geheim,
daß es nicht gemerket werde, daß es Uns solle, und je dermaßen,
daß es kraus und geel sei und also zugericht, daß man solches
unvermerkt auf ein Haupt möge aufsetzen." Auch vom Ulrich
von Hutten, den seine lange Krankheit des natürlichen Schmuckes
beraubt haben mochte, erzählt man, daß er "eine ziemliche Kolbe
von falschem Haar" getragen.

So lange noch das Haar in der mäßigen Länge der soge-
nannten Kolbe getragen wurde, mochte die Herstellung von Per-
rücken, die einigermaßen natürliches Ansehn hatten, nicht allzu-
schwierig sein, aber es war gewiß eine Aufgabe der Verzweiflung,
als mit der spanischen Mode das überall kurz geschorne Haar
aufkam. So konnte die Perrücke im Anfange des nächsten Jahr-

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 15

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
folgten. Das falſche Haar iſt im Mittelalter nicht grade etwas
ſeltnes, und wir haben ſeiner im erſten Theil öfter zu gedenken
gehabt, immer aber dient es nur die Blöße zu bedecken oder auf-
zubeſſern, was die Natur kärglich verliehen hat. Daß man auch
die vollſtändige Perrücke kannte, erſehen wir aus den folgenden
Verſen, die dem dreizehnten Jahrhundert angehören:

„Man lieſet von einem Ritter das,
Daß er kahl von Nature was
Und ohne Haar; das was ihm leid;
Nun hat er eine Gewohnheit,
Daß er aufbaut ein Hauben gut
Mit Haare“ u. ſ. w.

Es wird dann weiter berichtet, wie er beim Turnier zu
großem Lärm den Helm und die Haarhaube zugleich verloren
habe. Zur Zeit der Reformation ſcheint die Perrücke ſchon häu-
figer vorgekommen zu ſein und das erfindungsreiche Nürnberg
ſich eines beſondern Rufes in ihrer Fabrication erfreut zu haben,
doch wer das Unglück hatte eine zu tragen, ſuchte es beſtmöglich
zu verbergen. So ſchreibt der Herzog Johann von Sachſen an
ſeinen Schöſſer zu Koburg, Arnold von Falkenſtein, im Jahr
1518: „Unſer Begehr iſt, du wolleſt Uns ein hübſch gemacht
Haar auf das beſte zu Nürnberg beſtellen, und doch in Geheim,
daß es nicht gemerket werde, daß es Uns ſolle, und je dermaßen,
daß es kraus und geel ſei und alſo zugericht, daß man ſolches
unvermerkt auf ein Haupt möge aufſetzen.“ Auch vom Ulrich
von Hutten, den ſeine lange Krankheit des natürlichen Schmuckes
beraubt haben mochte, erzählt man, daß er „eine ziemliche Kolbe
von falſchem Haar“ getragen.

So lange noch das Haar in der mäßigen Länge der ſoge-
nannten Kolbe getragen wurde, mochte die Herſtellung von Per-
rücken, die einigermaßen natürliches Anſehn hatten, nicht allzu-
ſchwierig ſein, aber es war gewiß eine Aufgabe der Verzweiflung,
als mit der ſpaniſchen Mode das überall kurz geſchorne Haar
aufkam. So konnte die Perrücke im Anfange des nächſten Jahr-

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 15
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[225/0237] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. folgten. Das falſche Haar iſt im Mittelalter nicht grade etwas ſeltnes, und wir haben ſeiner im erſten Theil öfter zu gedenken gehabt, immer aber dient es nur die Blöße zu bedecken oder auf- zubeſſern, was die Natur kärglich verliehen hat. Daß man auch die vollſtändige Perrücke kannte, erſehen wir aus den folgenden Verſen, die dem dreizehnten Jahrhundert angehören: „Man lieſet von einem Ritter das, Daß er kahl von Nature was Und ohne Haar; das was ihm leid; Nun hat er eine Gewohnheit, Daß er aufbaut ein Hauben gut Mit Haare“ u. ſ. w. Es wird dann weiter berichtet, wie er beim Turnier zu großem Lärm den Helm und die Haarhaube zugleich verloren habe. Zur Zeit der Reformation ſcheint die Perrücke ſchon häu- figer vorgekommen zu ſein und das erfindungsreiche Nürnberg ſich eines beſondern Rufes in ihrer Fabrication erfreut zu haben, doch wer das Unglück hatte eine zu tragen, ſuchte es beſtmöglich zu verbergen. So ſchreibt der Herzog Johann von Sachſen an ſeinen Schöſſer zu Koburg, Arnold von Falkenſtein, im Jahr 1518: „Unſer Begehr iſt, du wolleſt Uns ein hübſch gemacht Haar auf das beſte zu Nürnberg beſtellen, und doch in Geheim, daß es nicht gemerket werde, daß es Uns ſolle, und je dermaßen, daß es kraus und geel ſei und alſo zugericht, daß man ſolches unvermerkt auf ein Haupt möge aufſetzen.“ Auch vom Ulrich von Hutten, den ſeine lange Krankheit des natürlichen Schmuckes beraubt haben mochte, erzählt man, daß er „eine ziemliche Kolbe von falſchem Haar“ getragen. So lange noch das Haar in der mäßigen Länge der ſoge- nannten Kolbe getragen wurde, mochte die Herſtellung von Per- rücken, die einigermaßen natürliches Anſehn hatten, nicht allzu- ſchwierig ſein, aber es war gewiß eine Aufgabe der Verzweiflung, als mit der ſpaniſchen Mode das überall kurz geſchorne Haar aufkam. So konnte die Perrücke im Anfange des nächſten Jahr- Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 15

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/237>, abgerufen am 24.11.2024.