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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
teristische Zeichen der ganzen Toilette ist. In ihrer Wesenheit ist
sie falsch und unnatürlich; sie beraubt den Kopf des eigenen
Schmuckes ohne Noth und setzt ihm einen nachgemachten auf;
grotesk in ihrer Unform, großartig im Umfang, das Symbol der
Eitelkeit und Aufgeblasenheit, ein Hohn für alles Maß und alle
Schönheit, ist sie doch dabei beschränkend, hemmend, raubt die
freie Bewegung, nimmt den Kopf ein und zwingt ihn zu steifer
Haltung. Indem sie gleich geformt mit ihrer leuchtenden Locken-
masse und in blonder Süßlichkeit den männlichen Kopf um-
rahmt, bedingt sie selbst den Gesichtsausdruck und uniformirt
ihn: aus allen diesen Portraits spricht zu uns die beschränkte
Selbstgefälligkeit und ein hohles, affectirtes Pathos. Keine Zeit
war zufriedener mit sich selbst, und keine hat der Nachwelt eine
größere Zahl oft colossaler Portraits hinterlassen; die unbedeu-
tendsten Personen ließen zwanzig, dreißig Mal ihr werthestes
Conterfei im theuren Kupferstich von sich ausgehen.

So kann man mit Recht dieses Zeitalter das der Perrücke
nennen, denn jede Aeußerung desselben, jedes Ding trägt sie.
Die Phrase ist die Perrücke des Stils, das Ceremoniell, die
Etiquette die des Hofwesens und der Gesellschaft; die Kunst
trägt sie in der Bravour des Vortrags und in der affectirten
Salongrazie, die Architektur in der Ueberladung ihres krausen
Ornaments, die Oper in dem Pomp und das Schauspiel in der
Massenhaftigkeit des Inhalts wie in dem Schwulst und der vor-
nehm gespreizten Redeweise.

Das Unterscheidende der Perrücke dieser Zeit von den frü-
heren besteht wesentlich darin, daß diese nur einen Mangel der
Natur verheimlichen sollten, jene aber der Natur zum Trotz in
der Falschheit ihre eigentliche Bedeutung hat. Sie negirt das
Eigenhaar; es muß fallen, damit die Perrücke, ein Werk der
Mode, Platz findet. Eine Ausnahme davon lassen nur die rö-
mischen Damen der Kaiserzeit zu, welche sich aus dem blonden
Haar germanischer Frauen Aufsätze von mancherlei Gestalt
machen ließen; und vereinzelt gab es auch wohl römische Männer
dieser entarteten Periode, welche solchem Beispiele der Frauen

III. Die Neuzeit.
teriſtiſche Zeichen der ganzen Toilette iſt. In ihrer Weſenheit iſt
ſie falſch und unnatürlich; ſie beraubt den Kopf des eigenen
Schmuckes ohne Noth und ſetzt ihm einen nachgemachten auf;
grotesk in ihrer Unform, großartig im Umfang, das Symbol der
Eitelkeit und Aufgeblaſenheit, ein Hohn für alles Maß und alle
Schönheit, iſt ſie doch dabei beſchränkend, hemmend, raubt die
freie Bewegung, nimmt den Kopf ein und zwingt ihn zu ſteifer
Haltung. Indem ſie gleich geformt mit ihrer leuchtenden Locken-
maſſe und in blonder Süßlichkeit den männlichen Kopf um-
rahmt, bedingt ſie ſelbſt den Geſichtsausdruck und uniformirt
ihn: aus allen dieſen Portraits ſpricht zu uns die beſchränkte
Selbſtgefälligkeit und ein hohles, affectirtes Pathos. Keine Zeit
war zufriedener mit ſich ſelbſt, und keine hat der Nachwelt eine
größere Zahl oft coloſſaler Portraits hinterlaſſen; die unbedeu-
tendſten Perſonen ließen zwanzig, dreißig Mal ihr wertheſtes
Conterfei im theuren Kupferſtich von ſich ausgehen.

So kann man mit Recht dieſes Zeitalter das der Perrücke
nennen, denn jede Aeußerung deſſelben, jedes Ding trägt ſie.
Die Phraſe iſt die Perrücke des Stils, das Ceremoniell, die
Etiquette die des Hofweſens und der Geſellſchaft; die Kunſt
trägt ſie in der Bravour des Vortrags und in der affectirten
Salongrazie, die Architektur in der Ueberladung ihres krauſen
Ornaments, die Oper in dem Pomp und das Schauſpiel in der
Maſſenhaftigkeit des Inhalts wie in dem Schwulſt und der vor-
nehm geſpreizten Redeweiſe.

Das Unterſcheidende der Perrücke dieſer Zeit von den frü-
heren beſteht weſentlich darin, daß dieſe nur einen Mangel der
Natur verheimlichen ſollten, jene aber der Natur zum Trotz in
der Falſchheit ihre eigentliche Bedeutung hat. Sie negirt das
Eigenhaar; es muß fallen, damit die Perrücke, ein Werk der
Mode, Platz findet. Eine Ausnahme davon laſſen nur die rö-
miſchen Damen der Kaiſerzeit zu, welche ſich aus dem blonden
Haar germaniſcher Frauen Aufſätze von mancherlei Geſtalt
machen ließen; und vereinzelt gab es auch wohl römiſche Männer
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[224/0236] III. Die Neuzeit. teriſtiſche Zeichen der ganzen Toilette iſt. In ihrer Weſenheit iſt ſie falſch und unnatürlich; ſie beraubt den Kopf des eigenen Schmuckes ohne Noth und ſetzt ihm einen nachgemachten auf; grotesk in ihrer Unform, großartig im Umfang, das Symbol der Eitelkeit und Aufgeblaſenheit, ein Hohn für alles Maß und alle Schönheit, iſt ſie doch dabei beſchränkend, hemmend, raubt die freie Bewegung, nimmt den Kopf ein und zwingt ihn zu ſteifer Haltung. Indem ſie gleich geformt mit ihrer leuchtenden Locken- maſſe und in blonder Süßlichkeit den männlichen Kopf um- rahmt, bedingt ſie ſelbſt den Geſichtsausdruck und uniformirt ihn: aus allen dieſen Portraits ſpricht zu uns die beſchränkte Selbſtgefälligkeit und ein hohles, affectirtes Pathos. Keine Zeit war zufriedener mit ſich ſelbſt, und keine hat der Nachwelt eine größere Zahl oft coloſſaler Portraits hinterlaſſen; die unbedeu- tendſten Perſonen ließen zwanzig, dreißig Mal ihr wertheſtes Conterfei im theuren Kupferſtich von ſich ausgehen. So kann man mit Recht dieſes Zeitalter das der Perrücke nennen, denn jede Aeußerung deſſelben, jedes Ding trägt ſie. Die Phraſe iſt die Perrücke des Stils, das Ceremoniell, die Etiquette die des Hofweſens und der Geſellſchaft; die Kunſt trägt ſie in der Bravour des Vortrags und in der affectirten Salongrazie, die Architektur in der Ueberladung ihres krauſen Ornaments, die Oper in dem Pomp und das Schauſpiel in der Maſſenhaftigkeit des Inhalts wie in dem Schwulſt und der vor- nehm geſpreizten Redeweiſe. Das Unterſcheidende der Perrücke dieſer Zeit von den frü- heren beſteht weſentlich darin, daß dieſe nur einen Mangel der Natur verheimlichen ſollten, jene aber der Natur zum Trotz in der Falſchheit ihre eigentliche Bedeutung hat. Sie negirt das Eigenhaar; es muß fallen, damit die Perrücke, ein Werk der Mode, Platz findet. Eine Ausnahme davon laſſen nur die rö- miſchen Damen der Kaiſerzeit zu, welche ſich aus dem blonden Haar germaniſcher Frauen Aufſätze von mancherlei Geſtalt machen ließen; und vereinzelt gab es auch wohl römiſche Männer dieſer entarteten Periode, welche ſolchem Beiſpiele der Frauen

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/236>, abgerufen am 24.11.2024.