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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
starken Bewegung konnte das Zeitalter der Staatsperrücke, wel-
ches sich ein ritterliches nannte, nicht entsagen. Der Tanz zwar
hatte sich fügsam gezeigt, und die langsamen und abgezirkelten
Bewegungen, die zierlichen Pas, die steifen Biegungen des Kör-
pers, "gerad im Leib, steif auf den Zehen", das affectirt gemes-
sene Arbeiten mit Armen und Händen genirten die stolze Perrücke
nicht mehr. Aber Reiten und Fechten waren damals nothwen-
dige Bestandtheile der feinen Bildung, und es mußte ein Mittel
ersonnen werden, welches bewirkte, daß die Perrücke diese gewalt-
samen Uebungen wenigstens duldete. Insbesondere waren es
die Cavallerieoffiziere, die als Modeherren ihrer Zeit voranschrei-
tend der Perrücke nicht entsagen durften und sie daher mit ihrem
Dienst in Einklang bringen mußten. Hier verfuhr der Deutsche,
der reinen Nothwendigkeit folgend, einmal wieder selbstständig,
allein er war in seiner Erfindung höchst unglücklich: indem er
die flatternde Masse der Haare hinten in einen Strang zusam-
menband, erfand er sehr folgenreich -- den Zopf. Der galante
Franzose half auch der Noth ab, aber sein Auskunftsmittel wurde
alsobald wieder eine Zierde der Eleganz: er steckte die überflüssi-
gen Haare in ein zierliches, flaches, seidenes Säckchen, versah es
mit schöner Schleife und erfand so den Haarbeutel. Natür-
lich, daß auch diese Erfindung auf Deutschland überging,
die deutsche Weise modificirte oder gar vielfach völlig an ihre
Stelle trat.

Wie sich eine Wahrheit erst langsam Bahn bricht, so war
mit dem Zusammenbinden der Haarmassen das, was wir eigent-
lich unter Zopf verstehen, noch nicht ohne Weiteres geschaffen,
denn dieser in seiner vollendeten Ausbildung gehört dem Eigen-
haar und negirt die Perrücke; er fand nur in der angegebenen
neuen Weise seinen Ursprung und sein Vorbild. Es brauchte
dann aber nur, was ursprünglich aus Bequemlichkeit geschehen
war, zum Gesetz der Mode zu werden. Wo und wie dies ge-
schah, werden wir später sehen.

Die Perrücke hatte nun den Höhepunkt ihrer Geschichte hin-
ter sich, doch war sie keineswegs aus dem Felde geschlagen, son-

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
ſtarken Bewegung konnte das Zeitalter der Staatsperrücke, wel-
ches ſich ein ritterliches nannte, nicht entſagen. Der Tanz zwar
hatte ſich fügſam gezeigt, und die langſamen und abgezirkelten
Bewegungen, die zierlichen Pas, die ſteifen Biegungen des Kör-
pers, „gerad im Leib, ſteif auf den Zehen“, das affectirt gemeſ-
ſene Arbeiten mit Armen und Händen genirten die ſtolze Perrücke
nicht mehr. Aber Reiten und Fechten waren damals nothwen-
dige Beſtandtheile der feinen Bildung, und es mußte ein Mittel
erſonnen werden, welches bewirkte, daß die Perrücke dieſe gewalt-
ſamen Uebungen wenigſtens duldete. Insbeſondere waren es
die Cavallerieoffiziere, die als Modeherren ihrer Zeit voranſchrei-
tend der Perrücke nicht entſagen durften und ſie daher mit ihrem
Dienſt in Einklang bringen mußten. Hier verfuhr der Deutſche,
der reinen Nothwendigkeit folgend, einmal wieder ſelbſtſtändig,
allein er war in ſeiner Erfindung höchſt unglücklich: indem er
die flatternde Maſſe der Haare hinten in einen Strang zuſam-
menband, erfand er ſehr folgenreich — den Zopf. Der galante
Franzoſe half auch der Noth ab, aber ſein Auskunftsmittel wurde
alſobald wieder eine Zierde der Eleganz: er ſteckte die überflüſſi-
gen Haare in ein zierliches, flaches, ſeidenes Säckchen, verſah es
mit ſchöner Schleife und erfand ſo den Haarbeutel. Natür-
lich, daß auch dieſe Erfindung auf Deutſchland überging,
die deutſche Weiſe modificirte oder gar vielfach völlig an ihre
Stelle trat.

Wie ſich eine Wahrheit erſt langſam Bahn bricht, ſo war
mit dem Zuſammenbinden der Haarmaſſen das, was wir eigent-
lich unter Zopf verſtehen, noch nicht ohne Weiteres geſchaffen,
denn dieſer in ſeiner vollendeten Ausbildung gehört dem Eigen-
haar und negirt die Perrücke; er fand nur in der angegebenen
neuen Weiſe ſeinen Urſprung und ſein Vorbild. Es brauchte
dann aber nur, was urſprünglich aus Bequemlichkeit geſchehen
war, zum Geſetz der Mode zu werden. Wo und wie dies ge-
ſchah, werden wir ſpäter ſehen.

Die Perrücke hatte nun den Höhepunkt ihrer Geſchichte hin-
ter ſich, doch war ſie keineswegs aus dem Felde geſchlagen, ſon-

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[235/0247] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. ſtarken Bewegung konnte das Zeitalter der Staatsperrücke, wel- ches ſich ein ritterliches nannte, nicht entſagen. Der Tanz zwar hatte ſich fügſam gezeigt, und die langſamen und abgezirkelten Bewegungen, die zierlichen Pas, die ſteifen Biegungen des Kör- pers, „gerad im Leib, ſteif auf den Zehen“, das affectirt gemeſ- ſene Arbeiten mit Armen und Händen genirten die ſtolze Perrücke nicht mehr. Aber Reiten und Fechten waren damals nothwen- dige Beſtandtheile der feinen Bildung, und es mußte ein Mittel erſonnen werden, welches bewirkte, daß die Perrücke dieſe gewalt- ſamen Uebungen wenigſtens duldete. Insbeſondere waren es die Cavallerieoffiziere, die als Modeherren ihrer Zeit voranſchrei- tend der Perrücke nicht entſagen durften und ſie daher mit ihrem Dienſt in Einklang bringen mußten. Hier verfuhr der Deutſche, der reinen Nothwendigkeit folgend, einmal wieder ſelbſtſtändig, allein er war in ſeiner Erfindung höchſt unglücklich: indem er die flatternde Maſſe der Haare hinten in einen Strang zuſam- menband, erfand er ſehr folgenreich — den Zopf. Der galante Franzoſe half auch der Noth ab, aber ſein Auskunftsmittel wurde alſobald wieder eine Zierde der Eleganz: er ſteckte die überflüſſi- gen Haare in ein zierliches, flaches, ſeidenes Säckchen, verſah es mit ſchöner Schleife und erfand ſo den Haarbeutel. Natür- lich, daß auch dieſe Erfindung auf Deutſchland überging, die deutſche Weiſe modificirte oder gar vielfach völlig an ihre Stelle trat. Wie ſich eine Wahrheit erſt langſam Bahn bricht, ſo war mit dem Zuſammenbinden der Haarmaſſen das, was wir eigent- lich unter Zopf verſtehen, noch nicht ohne Weiteres geſchaffen, denn dieſer in ſeiner vollendeten Ausbildung gehört dem Eigen- haar und negirt die Perrücke; er fand nur in der angegebenen neuen Weiſe ſeinen Urſprung und ſein Vorbild. Es brauchte dann aber nur, was urſprünglich aus Bequemlichkeit geſchehen war, zum Geſetz der Mode zu werden. Wo und wie dies ge- ſchah, werden wir ſpäter ſehen. Die Perrücke hatte nun den Höhepunkt ihrer Geſchichte hin- ter ſich, doch war ſie keineswegs aus dem Felde geſchlagen, ſon-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/247>, abgerufen am 24.11.2024.