verdecken. Rachel sagt davon in seinem Gedicht von den "bösen Sieben":
"Sie klebet an's Gesicht, wiewol es unverletzet, Ein schwarzes Pflastermahl, damit der weiße Schein Der schneegleich Wollen-Haut mag offenbarer sein."
Anfangs hatten diese kleinen schwarzen Taffetstückchen, die man in einer feinen silbernen oder hölzernen Büchse verwahrte, runde Form, aber man blieb nicht lange dabei, sondern schnitt sie in Figuren aus, in Sonne, Mond oder Sterne, in Gestalt von Fliegen, Käfern und andern kleinen Thieren, oder worauf sonst die Phantasie der Damen verfallen mochte. In Bezug auf die Plätze, wo sie angeklebt wurden, entwickelte sich ein völliges System mit bestimmten Namen, eine stumme, aber verständliche Sprache, die jedesmalige Stimmung, Laune und Absicht der Trägerin anzudeuten. Trat eine hochgebietende Dame, die Mouche mitten auf der Stirn, in den Salon, so erkannte die versammelte Gesellschaft an diesem Zeichen, la majestueuse ge- genannt, daß die Dame bereit sei, die ihr gebührenden Hul- digungen in Empfang zu nehmen; Gang, Gebärde, Blick waren natürlich mit der Bedeutung der Mouche in Harmonie gebracht. Wenn die Mouche heitere Laune verkünden sollte, so fand sie ihr reizendes Plätzchen auf der Falte, welche das Lächeln in die Wange zieht; sie hieß l'enjouee. La passionnee saß im äußern Winkel des Auges, la galante mitten auf der Wange, la baiseuse im Winkel des Mundes, l'effrontee über der Nase, la coquette über den Lippen und la reveleuse, die enthüllende, an der Gränzscheide verborgener Reize, auf dem Busen. Ein einziges Fleckchen pflegte selten zu genügen, es müßte denn sein, daß es durch seine Einsamkeit eben die entsagende Stimmung hätte bezeichnen sollen; häufig ist wohl ein halbes Dutzend und mehr noch von verschiedener Größe und Form über Gesicht und Busen vertheilt.
Bei der Männerwelt blieb diese Sitte keineswegs ohne Wi- derspruch, und sie veranlaßte manches beißende Epigramm. So lautet eines von Hoffmannswaldau:
III. Die Neuzeit.
verdecken. Rachel ſagt davon in ſeinem Gedicht von den „böſen Sieben“:
„Sie klebet an’s Geſicht, wiewol es unverletzet, Ein ſchwarzes Pflaſtermahl, damit der weiße Schein Der ſchneegleich Wollen-Haut mag offenbarer ſein.“
Anfangs hatten dieſe kleinen ſchwarzen Taffetſtückchen, die man in einer feinen ſilbernen oder hölzernen Büchſe verwahrte, runde Form, aber man blieb nicht lange dabei, ſondern ſchnitt ſie in Figuren aus, in Sonne, Mond oder Sterne, in Geſtalt von Fliegen, Käfern und andern kleinen Thieren, oder worauf ſonſt die Phantaſie der Damen verfallen mochte. In Bezug auf die Plätze, wo ſie angeklebt wurden, entwickelte ſich ein völliges Syſtem mit beſtimmten Namen, eine ſtumme, aber verſtändliche Sprache, die jedesmalige Stimmung, Laune und Abſicht der Trägerin anzudeuten. Trat eine hochgebietende Dame, die Mouche mitten auf der Stirn, in den Salon, ſo erkannte die verſammelte Geſellſchaft an dieſem Zeichen, la majestueuse ge- genannt, daß die Dame bereit ſei, die ihr gebührenden Hul- digungen in Empfang zu nehmen; Gang, Gebärde, Blick waren natürlich mit der Bedeutung der Mouche in Harmonie gebracht. Wenn die Mouche heitere Laune verkünden ſollte, ſo fand ſie ihr reizendes Plätzchen auf der Falte, welche das Lächeln in die Wange zieht; ſie hieß l’enjouée. La passionnée ſaß im äußern Winkel des Auges, la galante mitten auf der Wange, la baiseuse im Winkel des Mundes, l’effrontée über der Naſe, la coquette über den Lippen und la reveleuse, die enthüllende, an der Gränzſcheide verborgener Reize, auf dem Buſen. Ein einziges Fleckchen pflegte ſelten zu genügen, es müßte denn ſein, daß es durch ſeine Einſamkeit eben die entſagende Stimmung hätte bezeichnen ſollen; häufig iſt wohl ein halbes Dutzend und mehr noch von verſchiedener Größe und Form über Geſicht und Buſen vertheilt.
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III. Die Neuzeit.
verdecken. Rachel ſagt davon in ſeinem Gedicht von den „böſen
Sieben“:
„Sie klebet an’s Geſicht, wiewol es unverletzet,
Ein ſchwarzes Pflaſtermahl, damit der weiße Schein
Der ſchneegleich Wollen-Haut mag offenbarer ſein.“
Anfangs hatten dieſe kleinen ſchwarzen Taffetſtückchen, die man
in einer feinen ſilbernen oder hölzernen Büchſe verwahrte, runde
Form, aber man blieb nicht lange dabei, ſondern ſchnitt ſie in
Figuren aus, in Sonne, Mond oder Sterne, in Geſtalt von
Fliegen, Käfern und andern kleinen Thieren, oder worauf ſonſt
die Phantaſie der Damen verfallen mochte. In Bezug auf die
Plätze, wo ſie angeklebt wurden, entwickelte ſich ein völliges
Syſtem mit beſtimmten Namen, eine ſtumme, aber verſtändliche
Sprache, die jedesmalige Stimmung, Laune und Abſicht der
Trägerin anzudeuten. Trat eine hochgebietende Dame, die
Mouche mitten auf der Stirn, in den Salon, ſo erkannte die
verſammelte Geſellſchaft an dieſem Zeichen, la majestueuse ge-
genannt, daß die Dame bereit ſei, die ihr gebührenden Hul-
digungen in Empfang zu nehmen; Gang, Gebärde, Blick waren
natürlich mit der Bedeutung der Mouche in Harmonie gebracht.
Wenn die Mouche heitere Laune verkünden ſollte, ſo fand ſie
ihr reizendes Plätzchen auf der Falte, welche das Lächeln in die
Wange zieht; ſie hieß l’enjouée. La passionnée ſaß im äußern
Winkel des Auges, la galante mitten auf der Wange, la
baiseuse im Winkel des Mundes, l’effrontée über der Naſe, la
coquette über den Lippen und la reveleuse, die enthüllende,
an der Gränzſcheide verborgener Reize, auf dem Buſen. Ein
einziges Fleckchen pflegte ſelten zu genügen, es müßte denn ſein,
daß es durch ſeine Einſamkeit eben die entſagende Stimmung
hätte bezeichnen ſollen; häufig iſt wohl ein halbes Dutzend und
mehr noch von verſchiedener Größe und Form über Geſicht und
Buſen vertheilt.
Bei der Männerwelt blieb dieſe Sitte keineswegs ohne Wi-
derſpruch, und ſie veranlaßte manches beißende Epigramm. So
lautet eines von Hoffmannswaldau:
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/260>, abgerufen am 28.07.2024.
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