Fünftes Kapitel. Die Periode des Zopfes und die Revolution. 1720--1805.
Wir werden in dieser Periode, von dem Sinken der Staats- perrücke an bis zur Entfesselung der elementaren Natur durch die französische Revolution mitten unter den wie in eine Sackgasse verrannten Gesellschaftszuständen, abermals zwei sich entgegen- stehende Richtungen zu verfolgen haben, die aber weniger wie die beiden Seiten am Geist der Staatsperrücke einen gemein- samen Charakter bilden, als sie sich mehr oder weniger aus- schließen und gegenseitig bekämpfen. Sie treten daher auch nicht von Anfang an mit gleicher Stärke und Energie auf, sondern die eine und dann die andere macht sich in dem Grade vor- herrschend oder wenigstens kenntlich, daß der ganze Zeitraum sich in zwei Abschnitte zerlegt, deren Scheide etwa die Mitte des Jahrhunderts bildet. Diese Richtungen lassen sich wieder als Naturalismus und Antinaturalismus bezeichnen, von denen der letztere nur die Fortsetzung des schon hundertfunfzig Jahre in der Bewegung begriffenen Stromes ist, den die Ideen der Neuzeit immer auf's Neue zu durchbrechen und abzuleiten suchen. Aber die antinaturalistische Richtung des achtzehnten Jahrhunderts unterscheidet sich von derjenigen der vorhergehenden Periode da- durch, daß sie wesentlich nur die Abschwächung, das Aussterben der bewegenden Kräfte und Ideen enthält, welche jener noch
Fünftes Kapitel. Die Periode des Zopfes und die Revolution. 1720—1805.
Wir werden in dieſer Periode, von dem Sinken der Staats- perrücke an bis zur Entfeſſelung der elementaren Natur durch die franzöſiſche Revolution mitten unter den wie in eine Sackgaſſe verrannten Geſellſchaftszuſtänden, abermals zwei ſich entgegen- ſtehende Richtungen zu verfolgen haben, die aber weniger wie die beiden Seiten am Geiſt der Staatsperrücke einen gemein- ſamen Charakter bilden, als ſie ſich mehr oder weniger aus- ſchließen und gegenſeitig bekämpfen. Sie treten daher auch nicht von Anfang an mit gleicher Stärke und Energie auf, ſondern die eine und dann die andere macht ſich in dem Grade vor- herrſchend oder wenigſtens kenntlich, daß der ganze Zeitraum ſich in zwei Abſchnitte zerlegt, deren Scheide etwa die Mitte des Jahrhunderts bildet. Dieſe Richtungen laſſen ſich wieder als Naturalismus und Antinaturalismus bezeichnen, von denen der letztere nur die Fortſetzung des ſchon hundertfunfzig Jahre in der Bewegung begriffenen Stromes iſt, den die Ideen der Neuzeit immer auf’s Neue zu durchbrechen und abzuleiten ſuchen. Aber die antinaturaliſtiſche Richtung des achtzehnten Jahrhunderts unterſcheidet ſich von derjenigen der vorhergehenden Periode da- durch, daß ſie weſentlich nur die Abſchwächung, das Ausſterben der bewegenden Kräfte und Ideen enthält, welche jener noch
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0275"n="[263]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Fünftes Kapitel.</hi><lb/><hirendition="#g">Die Periode des Zopfes und die Revolution</hi>.<lb/>
1720—1805.</head><lb/><p>Wir werden in dieſer Periode, von dem Sinken der Staats-<lb/>
perrücke an bis zur Entfeſſelung der elementaren Natur durch die<lb/>
franzöſiſche Revolution mitten unter den wie in eine Sackgaſſe<lb/>
verrannten Geſellſchaftszuſtänden, abermals zwei ſich entgegen-<lb/>ſtehende Richtungen zu verfolgen haben, die aber weniger wie<lb/>
die beiden Seiten am Geiſt der Staatsperrücke einen gemein-<lb/>ſamen Charakter bilden, als ſie ſich mehr oder weniger aus-<lb/>ſchließen und gegenſeitig bekämpfen. Sie treten daher auch nicht<lb/>
von Anfang an mit gleicher Stärke und Energie auf, ſondern<lb/>
die eine und dann die andere macht ſich in dem Grade vor-<lb/>
herrſchend oder wenigſtens kenntlich, daß der ganze Zeitraum ſich<lb/>
in zwei Abſchnitte zerlegt, deren Scheide etwa die Mitte des<lb/>
Jahrhunderts bildet. Dieſe Richtungen laſſen ſich wieder als<lb/>
Naturalismus und Antinaturalismus bezeichnen, von denen der<lb/>
letztere nur die Fortſetzung des ſchon hundertfunfzig Jahre in der<lb/>
Bewegung begriffenen Stromes iſt, den die Ideen der Neuzeit<lb/>
immer auf’s Neue zu durchbrechen und abzuleiten ſuchen. Aber<lb/>
die antinaturaliſtiſche Richtung des achtzehnten Jahrhunderts<lb/>
unterſcheidet ſich von derjenigen der vorhergehenden Periode da-<lb/>
durch, daß ſie weſentlich nur die Abſchwächung, das Ausſterben<lb/>
der bewegenden Kräfte und Ideen enthält, welche jener noch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[263]/0275]
Fünftes Kapitel.
Die Periode des Zopfes und die Revolution.
1720—1805.
Wir werden in dieſer Periode, von dem Sinken der Staats-
perrücke an bis zur Entfeſſelung der elementaren Natur durch die
franzöſiſche Revolution mitten unter den wie in eine Sackgaſſe
verrannten Geſellſchaftszuſtänden, abermals zwei ſich entgegen-
ſtehende Richtungen zu verfolgen haben, die aber weniger wie
die beiden Seiten am Geiſt der Staatsperrücke einen gemein-
ſamen Charakter bilden, als ſie ſich mehr oder weniger aus-
ſchließen und gegenſeitig bekämpfen. Sie treten daher auch nicht
von Anfang an mit gleicher Stärke und Energie auf, ſondern
die eine und dann die andere macht ſich in dem Grade vor-
herrſchend oder wenigſtens kenntlich, daß der ganze Zeitraum ſich
in zwei Abſchnitte zerlegt, deren Scheide etwa die Mitte des
Jahrhunderts bildet. Dieſe Richtungen laſſen ſich wieder als
Naturalismus und Antinaturalismus bezeichnen, von denen der
letztere nur die Fortſetzung des ſchon hundertfunfzig Jahre in der
Bewegung begriffenen Stromes iſt, den die Ideen der Neuzeit
immer auf’s Neue zu durchbrechen und abzuleiten ſuchen. Aber
die antinaturaliſtiſche Richtung des achtzehnten Jahrhunderts
unterſcheidet ſich von derjenigen der vorhergehenden Periode da-
durch, daß ſie weſentlich nur die Abſchwächung, das Ausſterben
der bewegenden Kräfte und Ideen enthält, welche jener noch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. [263]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/275>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.