Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Heiligthum von den Anhängern des Alten vertheidigt zu werden.Große politische oder culturgeschichtliche Ereignisse, wie z. B. der dreißigjährige Krieg, die Angriffe Ludwigs XIV. und das Ueber- gewicht [f]ranzösischer Sitte und Sprache, leisteten natürlich dem Eindringen der Mode bedeutenden Vorschub, ja sie bezeichnen gewissermaßen die Grenzmarken für die costümgeschichtlichen Perioden dieser oder jener Gegend oder Stadt. Natürlich war die Dauer solcher Perioden als abhängig von den Zeitereignissen sehr verschieden, sowie auch die Anzahl derselben bei den einzel- nen Provinzen, indeß dürfte wohl jede von ihnen zu erzählen haben. Wir können sie bis ins achtzehnte Jahrhundert verfol- gen, bis ans Ende desselben, ja vielleicht noch darüber hinaus. Grade das achtzehnte Jahrhundert, die Periode des Zopfes und die Blüthezeit des Spießbürgerthums, ist auch vorzugsweise die Geburtszeit der Volkstrachten, der nämlich, welche wir heutiges Tages noch zu sehen gewohnt sind. Denn man kann wohl sagen, die meisten von ihnen, die wir jetzt nur noch auf dem Lande finden, erhielten in dieser Zeit ihre Entstehung und führen uns daher ein karrikirtes Bild der damaligen Modenwelt lebendig vor Augen; manche setzten sich erst fest durch den Anstoß, welchen die französische Revolution gab. Oft glauben wir in einem Bauer- burschen, wenn wir uns nur die Jacke mit blanken Knöpfen zum Frack verlängert denken, ein leibhaftiges Abbild des jungen Wer- ther vor uns haben. Vielleicht dürfte noch mancher Greis vom Lande sich erinnern, daß in seiner Knabenzeit die Leute seines Dorfes sich anders gekleidet haben, und wenn er von sich selbst den alten Spruch gebrauchen wollte: "Da wir noch sangen unsern Sang, so dürfte sein Großvater oder Vater dieselben Worte auf dieDa wir noch tranken unsern Trank, Da wir noch trugen unser Gewand, Stund es gut im deutschen Land," eigene Jugendzeit angewendet haben, und der Enkel möchte wie- der in denselben Fall kommen. Am deutlichsten tritt uns die Geschichte einer Volkstracht vor Augen, wenn sich an ihr Theile Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 2
1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Heiligthum von den Anhängern des Alten vertheidigt zu werden.Große politiſche oder culturgeſchichtliche Ereigniſſe, wie z. B. der dreißigjährige Krieg, die Angriffe Ludwigs XIV. und das Ueber- gewicht [f]ranzöſiſcher Sitte und Sprache, leiſteten natürlich dem Eindringen der Mode bedeutenden Vorſchub, ja ſie bezeichnen gewiſſermaßen die Grenzmarken für die coſtümgeſchichtlichen Perioden dieſer oder jener Gegend oder Stadt. Natürlich war die Dauer ſolcher Perioden als abhängig von den Zeitereigniſſen ſehr verſchieden, ſowie auch die Anzahl derſelben bei den einzel- nen Provinzen, indeß dürfte wohl jede von ihnen zu erzählen haben. Wir können ſie bis ins achtzehnte Jahrhundert verfol- gen, bis ans Ende deſſelben, ja vielleicht noch darüber hinaus. Grade das achtzehnte Jahrhundert, die Periode des Zopfes und die Blüthezeit des Spießbürgerthums, iſt auch vorzugsweiſe die Geburtszeit der Volkstrachten, der nämlich, welche wir heutiges Tages noch zu ſehen gewohnt ſind. Denn man kann wohl ſagen, die meiſten von ihnen, die wir jetzt nur noch auf dem Lande finden, erhielten in dieſer Zeit ihre Entſtehung und führen uns daher ein karrikirtes Bild der damaligen Modenwelt lebendig vor Augen; manche ſetzten ſich erſt feſt durch den Anſtoß, welchen die franzöſiſche Revolution gab. Oft glauben wir in einem Bauer- burſchen, wenn wir uns nur die Jacke mit blanken Knöpfen zum Frack verlängert denken, ein leibhaftiges Abbild des jungen Wer- ther vor uns haben. Vielleicht dürfte noch mancher Greis vom Lande ſich erinnern, daß in ſeiner Knabenzeit die Leute ſeines Dorfes ſich anders gekleidet haben, und wenn er von ſich ſelbſt den alten Spruch gebrauchen wollte: „Da wir noch ſangen unſern Sang, ſo dürfte ſein Großvater oder Vater dieſelben Worte auf dieDa wir noch tranken unſern Trank, Da wir noch trugen unſer Gewand, Stund es gut im deutſchen Land,“ eigene Jugendzeit angewendet haben, und der Enkel möchte wie- der in denſelben Fall kommen. Am deutlichſten tritt uns die Geſchichte einer Volkstracht vor Augen, wenn ſich an ihr Theile Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 2
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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Heiligthum von den Anhängern des Alten vertheidigt zu werden.
Große politiſche oder culturgeſchichtliche Ereigniſſe, wie z. B. der
dreißigjährige Krieg, die Angriffe Ludwigs XIV. und das Ueber-
gewicht franzöſiſcher Sitte und Sprache, leiſteten natürlich dem
Eindringen der Mode bedeutenden Vorſchub, ja ſie bezeichnen
gewiſſermaßen die Grenzmarken für die coſtümgeſchichtlichen
Perioden dieſer oder jener Gegend oder Stadt. Natürlich war
die Dauer ſolcher Perioden als abhängig von den Zeitereigniſſen
ſehr verſchieden, ſowie auch die Anzahl derſelben bei den einzel-
nen Provinzen, indeß dürfte wohl jede von ihnen zu erzählen
haben. Wir können ſie bis ins achtzehnte Jahrhundert verfol-
gen, bis ans Ende deſſelben, ja vielleicht noch darüber hinaus.
Grade das achtzehnte Jahrhundert, die Periode des Zopfes und
die Blüthezeit des Spießbürgerthums, iſt auch vorzugsweiſe die
Geburtszeit der Volkstrachten, der nämlich, welche wir heutiges
Tages noch zu ſehen gewohnt ſind. Denn man kann wohl ſagen,
die meiſten von ihnen, die wir jetzt nur noch auf dem Lande
finden, erhielten in dieſer Zeit ihre Entſtehung und führen uns
daher ein karrikirtes Bild der damaligen Modenwelt lebendig vor
Augen; manche ſetzten ſich erſt feſt durch den Anſtoß, welchen die
franzöſiſche Revolution gab. Oft glauben wir in einem Bauer-
burſchen, wenn wir uns nur die Jacke mit blanken Knöpfen zum
Frack verlängert denken, ein leibhaftiges Abbild des jungen Wer-
ther vor uns haben. Vielleicht dürfte noch mancher Greis vom
Lande ſich erinnern, daß in ſeiner Knabenzeit die Leute ſeines
Dorfes ſich anders gekleidet haben, und wenn er von ſich ſelbſt
den alten Spruch gebrauchen wollte:
„Da wir noch ſangen unſern Sang,
Da wir noch tranken unſern Trank,
Da wir noch trugen unſer Gewand,
Stund es gut im deutſchen Land,“
ſo dürfte ſein Großvater oder Vater dieſelben Worte auf die
eigene Jugendzeit angewendet haben, und der Enkel möchte wie-
der in denſelben Fall kommen. Am deutlichſten tritt uns die
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