Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
ungeschwächter Kraft blühte; das neu auftauchende Barett schien
nur die Anzahl noch zu vergrößern. Die Art der Kopftracht,
welche mit diesem italienischen Wort bezeichnet wird, ist eigent-
lich kein neues Stück, sondern nur eine Umwandlung der alten
zu neuer, zeitgemäßer Gestalt, welcher Hut und Mütze in glei-
cher Weise zustreben, jener, indem er mit dem Deckel flach her-
absinkt und den Rand ausdehnt, diese, indem sie alle charakter-
losen Formen abstreift und der einen, bestimmten sich nähert.
Schon vor dem Jahre 1500 können wir hier und da das Barett
in völlig ausgebildeter Gestalt erblicken, und zwar so, daß im
Jahr 1498 Geiler von Kaisersberg in seinen Predigten bereits
Notiz davon nimmt; doch leben gleichzeitig noch alle die von uns
geschilderten Kopfbedeckungen fort und fristen ihr Dasein bis ins
zweite Zehnt des neuen Jahrhunderts, die weiblichen Hauben
sogar noch länger. Die verschiedenen Mützenformen, die gerän-
derten und ungeränderten, die turbanartigen mit der Sendelbinde
und die spitzen wie die weichen mit dem in den Nacken fallenden
Stoff und desgleichen die bunten Reife und Federkränze ver-
schwinden ganz und der Filzhut wird in die untersten Stände
hinabgedrängt, bis auf den gemeinen Handwerksmann und den
Bauer, wo er sich freilich erhalten mußte, da ihnen die Reichs-
ordnung von 1530 das Barett ausdrücklich verbot.

Diese und die Klostergeistlichkeit ausgenommen, oder wem
sonst Stand und Armuth es nicht erlaubten, sitzt seit dem Jahre
1520 etwa das Barett auf allen männlichen Köpfen, aber sehr
verschiedenartig. Der Weltgeistliche, die Männer der Reforma-
tion, die Gelehrten und mancher ehrbare Städter vornehmen
und reichen Standes tragen es dunkelfarbig, gewöhnlich schwarz,
und von höchst einfacher Gestalt: nachgiebig und doch in be-
stimmter Form, die vordere Hälfte des Randes aufgekrämpt, die
hintere in den Nacken heruntergelassen, so bedeckt es bei freier,
offner Stirn fast den ganzen Haarwuchs. So einfach mochten es
nicht leicht andere in dieser bewegten Zeit tragen. Manche frei-
lich entsagten noch allem Schmuck daran und auch den lebhafte-
ren Farben, aber ihr Barett saß doch schief auf der einen Seite

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
ungeſchwächter Kraft blühte; das neu auftauchende Barett ſchien
nur die Anzahl noch zu vergrößern. Die Art der Kopftracht,
welche mit dieſem italieniſchen Wort bezeichnet wird, iſt eigent-
lich kein neues Stück, ſondern nur eine Umwandlung der alten
zu neuer, zeitgemäßer Geſtalt, welcher Hut und Mütze in glei-
cher Weiſe zuſtreben, jener, indem er mit dem Deckel flach her-
abſinkt und den Rand ausdehnt, dieſe, indem ſie alle charakter-
loſen Formen abſtreift und der einen, beſtimmten ſich nähert.
Schon vor dem Jahre 1500 können wir hier und da das Barett
in völlig ausgebildeter Geſtalt erblicken, und zwar ſo, daß im
Jahr 1498 Geiler von Kaiſersberg in ſeinen Predigten bereits
Notiz davon nimmt; doch leben gleichzeitig noch alle die von uns
geſchilderten Kopfbedeckungen fort und friſten ihr Daſein bis ins
zweite Zehnt des neuen Jahrhunderts, die weiblichen Hauben
ſogar noch länger. Die verſchiedenen Mützenformen, die gerän-
derten und ungeränderten, die turbanartigen mit der Sendelbinde
und die ſpitzen wie die weichen mit dem in den Nacken fallenden
Stoff und desgleichen die bunten Reife und Federkränze ver-
ſchwinden ganz und der Filzhut wird in die unterſten Stände
hinabgedrängt, bis auf den gemeinen Handwerksmann und den
Bauer, wo er ſich freilich erhalten mußte, da ihnen die Reichs-
ordnung von 1530 das Barett ausdrücklich verbot.

Dieſe und die Kloſtergeiſtlichkeit ausgenommen, oder wem
ſonſt Stand und Armuth es nicht erlaubten, ſitzt ſeit dem Jahre
1520 etwa das Barett auf allen männlichen Köpfen, aber ſehr
verſchiedenartig. Der Weltgeiſtliche, die Männer der Reforma-
tion, die Gelehrten und mancher ehrbare Städter vornehmen
und reichen Standes tragen es dunkelfarbig, gewöhnlich ſchwarz,
und von höchſt einfacher Geſtalt: nachgiebig und doch in be-
ſtimmter Form, die vordere Hälfte des Randes aufgekrämpt, die
hintere in den Nacken heruntergelaſſen, ſo bedeckt es bei freier,
offner Stirn faſt den ganzen Haarwuchs. So einfach mochten es
nicht leicht andere in dieſer bewegten Zeit tragen. Manche frei-
lich entſagten noch allem Schmuck daran und auch den lebhafte-
ren Farben, aber ihr Barett ſaß doch ſchief auf der einen Seite

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="25"/><fw place="top" type="header">1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.</fw><lb/>
unge&#x017F;chwächter Kraft blühte; das neu auftauchende Barett &#x017F;chien<lb/>
nur die Anzahl noch zu vergrößern. Die Art der Kopftracht,<lb/>
welche mit die&#x017F;em italieni&#x017F;chen Wort bezeichnet wird, i&#x017F;t eigent-<lb/>
lich kein neues Stück, &#x017F;ondern nur eine Umwandlung der alten<lb/>
zu neuer, zeitgemäßer Ge&#x017F;talt, welcher Hut und Mütze in glei-<lb/>
cher Wei&#x017F;e zu&#x017F;treben, jener, indem er mit dem Deckel flach her-<lb/>
ab&#x017F;inkt und den Rand ausdehnt, die&#x017F;e, indem &#x017F;ie alle charakter-<lb/>
lo&#x017F;en Formen ab&#x017F;treift und der einen, be&#x017F;timmten &#x017F;ich nähert.<lb/>
Schon vor dem Jahre 1500 können wir hier und da das Barett<lb/>
in völlig ausgebildeter Ge&#x017F;talt erblicken, und zwar &#x017F;o, daß im<lb/>
Jahr 1498 Geiler von Kai&#x017F;ersberg in &#x017F;einen Predigten bereits<lb/>
Notiz davon nimmt; doch leben gleichzeitig noch alle die von uns<lb/>
ge&#x017F;childerten Kopfbedeckungen fort und fri&#x017F;ten ihr Da&#x017F;ein bis ins<lb/>
zweite Zehnt des neuen Jahrhunderts, die weiblichen Hauben<lb/>
&#x017F;ogar noch länger. Die ver&#x017F;chiedenen Mützenformen, die gerän-<lb/>
derten und ungeränderten, die turbanartigen mit der Sendelbinde<lb/>
und die &#x017F;pitzen wie die weichen mit dem in den Nacken fallenden<lb/>
Stoff und desgleichen die bunten Reife und Federkränze ver-<lb/>
&#x017F;chwinden ganz und der Filzhut wird in die unter&#x017F;ten Stände<lb/>
hinabgedrängt, bis auf den gemeinen Handwerksmann und den<lb/>
Bauer, wo er &#x017F;ich freilich erhalten mußte, da ihnen die Reichs-<lb/>
ordnung von 1530 das Barett ausdrücklich verbot.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e und die Klo&#x017F;tergei&#x017F;tlichkeit ausgenommen, oder wem<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t Stand und Armuth es nicht erlaubten, &#x017F;itzt &#x017F;eit dem Jahre<lb/>
1520 etwa das Barett auf allen männlichen Köpfen, aber &#x017F;ehr<lb/>
ver&#x017F;chiedenartig. Der Weltgei&#x017F;tliche, die Männer der Reforma-<lb/>
tion, die Gelehrten und mancher ehrbare Städter vornehmen<lb/>
und reichen Standes tragen es dunkelfarbig, gewöhnlich &#x017F;chwarz,<lb/>
und von höch&#x017F;t einfacher Ge&#x017F;talt: nachgiebig und doch in be-<lb/>
&#x017F;timmter Form, die vordere Hälfte des Randes aufgekrämpt, die<lb/>
hintere in den Nacken heruntergela&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o bedeckt es bei freier,<lb/>
offner Stirn fa&#x017F;t den ganzen Haarwuchs. So einfach mochten es<lb/>
nicht leicht andere in die&#x017F;er bewegten Zeit tragen. Manche frei-<lb/>
lich ent&#x017F;agten noch allem Schmuck daran und auch den lebhafte-<lb/>
ren Farben, aber ihr Barett &#x017F;aß doch &#x017F;chief auf der einen Seite<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0037] 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. ungeſchwächter Kraft blühte; das neu auftauchende Barett ſchien nur die Anzahl noch zu vergrößern. Die Art der Kopftracht, welche mit dieſem italieniſchen Wort bezeichnet wird, iſt eigent- lich kein neues Stück, ſondern nur eine Umwandlung der alten zu neuer, zeitgemäßer Geſtalt, welcher Hut und Mütze in glei- cher Weiſe zuſtreben, jener, indem er mit dem Deckel flach her- abſinkt und den Rand ausdehnt, dieſe, indem ſie alle charakter- loſen Formen abſtreift und der einen, beſtimmten ſich nähert. Schon vor dem Jahre 1500 können wir hier und da das Barett in völlig ausgebildeter Geſtalt erblicken, und zwar ſo, daß im Jahr 1498 Geiler von Kaiſersberg in ſeinen Predigten bereits Notiz davon nimmt; doch leben gleichzeitig noch alle die von uns geſchilderten Kopfbedeckungen fort und friſten ihr Daſein bis ins zweite Zehnt des neuen Jahrhunderts, die weiblichen Hauben ſogar noch länger. Die verſchiedenen Mützenformen, die gerän- derten und ungeränderten, die turbanartigen mit der Sendelbinde und die ſpitzen wie die weichen mit dem in den Nacken fallenden Stoff und desgleichen die bunten Reife und Federkränze ver- ſchwinden ganz und der Filzhut wird in die unterſten Stände hinabgedrängt, bis auf den gemeinen Handwerksmann und den Bauer, wo er ſich freilich erhalten mußte, da ihnen die Reichs- ordnung von 1530 das Barett ausdrücklich verbot. Dieſe und die Kloſtergeiſtlichkeit ausgenommen, oder wem ſonſt Stand und Armuth es nicht erlaubten, ſitzt ſeit dem Jahre 1520 etwa das Barett auf allen männlichen Köpfen, aber ſehr verſchiedenartig. Der Weltgeiſtliche, die Männer der Reforma- tion, die Gelehrten und mancher ehrbare Städter vornehmen und reichen Standes tragen es dunkelfarbig, gewöhnlich ſchwarz, und von höchſt einfacher Geſtalt: nachgiebig und doch in be- ſtimmter Form, die vordere Hälfte des Randes aufgekrämpt, die hintere in den Nacken heruntergelaſſen, ſo bedeckt es bei freier, offner Stirn faſt den ganzen Haarwuchs. So einfach mochten es nicht leicht andere in dieſer bewegten Zeit tragen. Manche frei- lich entſagten noch allem Schmuck daran und auch den lebhafte- ren Farben, aber ihr Barett ſaß doch ſchief auf der einen Seite

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/37
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/37>, abgerufen am 23.11.2024.