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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
uns ächt landsknechtisch die folgende Anekdote. Es wird erzählt,
ein Landsknecht habe sich 99 Ellen unterfüttern lassen, "da ist er
gefragt worden, warum er nit hab 100 Ellen genommen, hat er
geantwort, neun und neunzig sei ein lang Wort und gut lands-
knechtisch, hundert aber sei kurz und nit so prächtig zu reden."
Andreas Musculus, der in seiner Predigt wider den Hosenteufel
diese Erzählung mittheilt, sagt, daß zu dieser Zeit (1555) 20,
30 und 40 Ellen Kartek zum Unterfutter gewöhnlich gewesen
seien, fügt aber hinzu: "wie man es aber darein bringet, da laß
ich die Schneider für sorgen, ich acht wohl, sie behalten auch ihr
Theil davon." Er selbst erwähnt noch in zweifelndem Tone, daß
einer 130 Ellen unter eine Hose gebracht habe, und andere
sprechen gar von 200. Will man nun mit Musculus einiges
davon für den Schneider abziehen, anderes auf Rechnung ge-
wöhnlicher Uebertreibung setzen, so würde bei der deutlichen Ver-
sicherung vieler Augenzeugen immer noch eine solche Masse übrig
bleiben, daß die Möglichkeit der Verwendung nur durch die Fein-
heit des Stoffes erklärlich wird. Und allerdings wurde ein sehr
dünner Seidenstoff, Kartek oder Rasch (Arras), dazu genommen.
So wurde aber die Pluderhose ein sehr kostbares Kleidungsstück,
und oft konnte der Landsknecht die Beute eines ganzen Feldzugs
hineinstecken, um das Vergnügen zu haben, zu dem Federhut,
dem bärtigen Gesicht und dem gesteppten Wamms und den fal-
tigen Aermeln noch mit der flatternden und rauschenden Masse
Seidenstoffes um die Beine einherstolziren zu können, ein Mu-
ster von soldatischer Eleganz in seinen eigenen Augen, aber ein
Greuel für die ganze anständige und solide Welt. "Es rauschete,
wenn die Hosenhelden kamen, als wenn der Elbstrom durch die
Brücke oder über ein Wehr liefe."

Und doch fand er der Nachahmer gar viele. Die Jugend,
namentlich die studentische, folgte alsbald seinem Beispiele und
übertrieb es vielleicht noch, daß selbst der große Philologe Hie-
ronymus Wolf in der Einleitung eines gelehrten Buches über
Demosthenes mit Hinblick auf die Pluderhose der Studenten den
Stoßseufzer nicht unterdrücken kann: O secula! o mores! o

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
uns ächt landsknechtiſch die folgende Anekdote. Es wird erzählt,
ein Landsknecht habe ſich 99 Ellen unterfüttern laſſen, „da iſt er
gefragt worden, warum er nit hab 100 Ellen genommen, hat er
geantwort, neun und neunzig ſei ein lang Wort und gut lands-
knechtiſch, hundert aber ſei kurz und nit ſo prächtig zu reden.“
Andreas Musculus, der in ſeiner Predigt wider den Hoſenteufel
dieſe Erzählung mittheilt, ſagt, daß zu dieſer Zeit (1555) 20,
30 und 40 Ellen Kartek zum Unterfutter gewöhnlich geweſen
ſeien, fügt aber hinzu: „wie man es aber darein bringet, da laß
ich die Schneider für ſorgen, ich acht wohl, ſie behalten auch ihr
Theil davon.“ Er ſelbſt erwähnt noch in zweifelndem Tone, daß
einer 130 Ellen unter eine Hoſe gebracht habe, und andere
ſprechen gar von 200. Will man nun mit Musculus einiges
davon für den Schneider abziehen, anderes auf Rechnung ge-
wöhnlicher Uebertreibung ſetzen, ſo würde bei der deutlichen Ver-
ſicherung vieler Augenzeugen immer noch eine ſolche Maſſe übrig
bleiben, daß die Möglichkeit der Verwendung nur durch die Fein-
heit des Stoffes erklärlich wird. Und allerdings wurde ein ſehr
dünner Seidenſtoff, Kartek oder Raſch (Arras), dazu genommen.
So wurde aber die Pluderhoſe ein ſehr koſtbares Kleidungsſtück,
und oft konnte der Landsknecht die Beute eines ganzen Feldzugs
hineinſtecken, um das Vergnügen zu haben, zu dem Federhut,
dem bärtigen Geſicht und dem geſteppten Wamms und den fal-
tigen Aermeln noch mit der flatternden und rauſchenden Maſſe
Seidenſtoffes um die Beine einherſtolziren zu können, ein Mu-
ſter von ſoldatiſcher Eleganz in ſeinen eigenen Augen, aber ein
Greuel für die ganze anſtändige und ſolide Welt. „Es rauſchete,
wenn die Hoſenhelden kamen, als wenn der Elbſtrom durch die
Brücke oder über ein Wehr liefe.“

Und doch fand er der Nachahmer gar viele. Die Jugend,
namentlich die ſtudentiſche, folgte alsbald ſeinem Beiſpiele und
übertrieb es vielleicht noch, daß ſelbſt der große Philologe Hie-
ronymus Wolf in der Einleitung eines gelehrten Buches über
Demoſthenes mit Hinblick auf die Pluderhoſe der Studenten den
Stoßſeufzer nicht unterdrücken kann: O secula! o mores! o

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[47/0059] 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. uns ächt landsknechtiſch die folgende Anekdote. Es wird erzählt, ein Landsknecht habe ſich 99 Ellen unterfüttern laſſen, „da iſt er gefragt worden, warum er nit hab 100 Ellen genommen, hat er geantwort, neun und neunzig ſei ein lang Wort und gut lands- knechtiſch, hundert aber ſei kurz und nit ſo prächtig zu reden.“ Andreas Musculus, der in ſeiner Predigt wider den Hoſenteufel dieſe Erzählung mittheilt, ſagt, daß zu dieſer Zeit (1555) 20, 30 und 40 Ellen Kartek zum Unterfutter gewöhnlich geweſen ſeien, fügt aber hinzu: „wie man es aber darein bringet, da laß ich die Schneider für ſorgen, ich acht wohl, ſie behalten auch ihr Theil davon.“ Er ſelbſt erwähnt noch in zweifelndem Tone, daß einer 130 Ellen unter eine Hoſe gebracht habe, und andere ſprechen gar von 200. Will man nun mit Musculus einiges davon für den Schneider abziehen, anderes auf Rechnung ge- wöhnlicher Uebertreibung ſetzen, ſo würde bei der deutlichen Ver- ſicherung vieler Augenzeugen immer noch eine ſolche Maſſe übrig bleiben, daß die Möglichkeit der Verwendung nur durch die Fein- heit des Stoffes erklärlich wird. Und allerdings wurde ein ſehr dünner Seidenſtoff, Kartek oder Raſch (Arras), dazu genommen. So wurde aber die Pluderhoſe ein ſehr koſtbares Kleidungsſtück, und oft konnte der Landsknecht die Beute eines ganzen Feldzugs hineinſtecken, um das Vergnügen zu haben, zu dem Federhut, dem bärtigen Geſicht und dem geſteppten Wamms und den fal- tigen Aermeln noch mit der flatternden und rauſchenden Maſſe Seidenſtoffes um die Beine einherſtolziren zu können, ein Mu- ſter von ſoldatiſcher Eleganz in ſeinen eigenen Augen, aber ein Greuel für die ganze anſtändige und ſolide Welt. „Es rauſchete, wenn die Hoſenhelden kamen, als wenn der Elbſtrom durch die Brücke oder über ein Wehr liefe.“ Und doch fand er der Nachahmer gar viele. Die Jugend, namentlich die ſtudentiſche, folgte alsbald ſeinem Beiſpiele und übertrieb es vielleicht noch, daß ſelbſt der große Philologe Hie- ronymus Wolf in der Einleitung eines gelehrten Buches über Demoſthenes mit Hinblick auf die Pluderhoſe der Studenten den Stoßſeufzer nicht unterdrücken kann: O secula! o mores! o

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/59>, abgerufen am 24.11.2024.