Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

Stücken. Diese nun, weil sie fremde waren, und den Hirten nicht
kannten, auch seine Sprache und Pfeiffe nicht verstunden, wurden
des Morgens schlecht geweydet, und kamen des Abends hungerig wie-
der heim, wannenhero
Menalcas dieselbe, als welche jederzeit hin und
her lieffen, zum Gehorsam zu bringen, die Hunde an sie hetzte, die dann
als Fremde von denen Schaafen zum höchsten angefeindet wurden,
und wuchse der Wiederwill von Tag zu Tag destomehr, weil zu dem
natürlichen Haß noch die Verletzungen kamen, welche Stücke dann
mit einander bey denen Schaafen eine solche Halsstarrigkeit, Verzweif-
felung und Ungehorsam verursachten, daß sie vor denen Hirten und
Hunden einen greulichen Abscheu hatten. Dahero wann sie ver-
merckten, daß man sie melcken, saubern, oder ihnen die Wolle abneh-
men wolte, sie sich hin und wieder in denen Gebüschen versteckten, wo-
durch die sämtlichen Hirten in Erfahrung kamen, daß die Verzweif-
felung auch die armseligsten Caninichen in grausame Löwen verwandeln
kan. Denn es würden unter der Spanischen Heerde viel gefunden, so
sich die Hirten zu beissen, unterstehen durfften. Die Frantzösischen
stiessen und schlugen die Eymer, darein man ihre Milch gemolcken
hatte, mit denen Füssen um. Die Engelländischen aber, damit sie de-
nen fremden Hirten nicht gehorchen müsten, und von denen Hun-
den nicht zerrissen würden, enthielten sich des Weydens, und wol-
ten viel lieber Hungers sterben, als in solcher Dienstbarkeit leben.
Vielmehr aber war sich darüber zu verwundern, daß eben dieje-
nigen Schaafe ihre Früchte und Nutzungen, als Kässe, Wolle und
Lämmer, die sie ihren natürlichen Hirten so gerne gönneten, diesen
Fremdlingen mit so grossen Widerwillen folgen liessen, daß sie auch be-
dauchte, es würde tyrannischer Weise mit ihnen verfahren, und deß-
wegen über ihr eigen Unglück lachten, indem sie sahen, daß ihr Herr,
der
Menalcas, bey ihnen ins Verderben geriethe, sich auch freueten,
daß sie waren unfruchtbar worden. Als nun
Menalcas über diesen Zu-
stand nicht wenig betrübet und beängstiget war, ließ er diese Schaafe
zum Gehorsam zu bringen, eine neue Anzahl Hunde aus dem Schweitzer-
Lande bringen, welches ihm dann vollends zum höchsten Schaden und
Nachtheil gereichte, weil die Hunde mit solcher Grausemkeit gegen
die Schaafe verfuhren, daß sie dieselben endlich auch gar zu fressen an
fiengen, wodurch die Schaafe je länger je mehr Anlaß bekamen sich zu

wie-
T 2

Stuͤcken. Dieſe nun, weil ſie fremde waren, und den Hirten nicht
kannten, auch ſeine Sprache und Pfeiffe nicht verſtunden, wurden
des Morgens ſchlecht geweydet, und kamen des Abends hungerig wie-
der heim, wannenhero
Menalcas dieſelbe, als welche jederzeit hin und
her lieffen, zum Gehorſam zu bringen, die Hunde an ſie hetzte, die dann
als Fremde von denen Schaafen zum hoͤchſten angefeindet wurden,
und wuchſe der Wiederwill von Tag zu Tag deſtomehr, weil zu dem
natuͤrlichen Haß noch die Verletzungen kamen, welche Stuͤcke dann
mit einander bey denen Schaafen eine ſolche Halsſtarrigkeit, Verzweif-
felung und Ungehorſam verurſachten, daß ſie vor denen Hirten und
Hunden einen greulichen Abſcheu hatten. Dahero wann ſie ver-
merckten, daß man ſie melcken, ſaubern, oder ihnen die Wolle abneh-
men wolte, ſie ſich hin und wieder in denen Gebuͤſchen verſteckten, wo-
durch die ſaͤmtlichen Hirten in Erfahrung kamen, daß die Verzweif-
felung auch die armſeligſten Caninichen in grauſame Loͤwen verwandeln
kan. Denn es wuͤrden unter der Spaniſchen Heerde viel gefunden, ſo
ſich die Hirten zu beiſſen, unterſtehen durfften. Die Frantzoͤſiſchen
ſtieſſen und ſchlugen die Eymer, darein man ihre Milch gemolcken
hatte, mit denen Fuͤſſen um. Die Engellaͤndiſchen aber, damit ſie de-
nen fremden Hirten nicht gehorchen muͤſten, und von denen Hun-
den nicht zerriſſen wuͤrden, enthielten ſich des Weydens, und wol-
ten viel lieber Hungers ſterben, als in ſolcher Dienſtbarkeit leben.
Vielmehr aber war ſich daruͤber zu verwundern, daß eben dieje-
nigen Schaafe ihre Fruͤchte und Nutzungen, als Kaͤſſe, Wolle und
Laͤmmer, die ſie ihren natuͤrlichen Hirten ſo gerne goͤnneten, dieſen
Fremdlingen mit ſo groſſen Widerwillen folgen lieſſen, daß ſie auch be-
dauchte, es wuͤrde tyranniſcher Weiſe mit ihnen verfahren, und deß-
wegen uͤber ihr eigen Ungluͤck lachten, indem ſie ſahen, daß ihr Herr,
der
Menalcas, bey ihnen ins Verderben geriethe, ſich auch freueten,
daß ſie waren unfruchtbar worden. Als nun
Menalcas uͤber dieſen Zu-
ſtand nicht wenig betruͤbet und beaͤngſtiget war, ließ er dieſe Schaafe
zum Gehorſam zu bringen, eine neue Anzahl Hunde aus dem Schweitzer-
Lande bringen, welches ihm dann vollends zum hoͤchſten Schaden und
Nachtheil gereichte, weil die Hunde mit ſolcher Grauſemkeit gegen
die Schaafe verfuhren, daß ſie dieſelben endlich auch gar zu freſſen an
fiengen, wodurch die Schaafe je laͤnger je mehr Anlaß bekamen ſich zu

wie-
T 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p>
            <pb facs="#f0191" n="147"/> <hi rendition="#fr">Stu&#x0364;cken. Die&#x017F;e nun, weil &#x017F;ie fremde waren, und den Hirten nicht<lb/>
kannten, auch &#x017F;eine Sprache und Pfeiffe nicht ver&#x017F;tunden, wurden<lb/>
des Morgens &#x017F;chlecht geweydet, und kamen des Abends hungerig wie-<lb/>
der heim, wannenhero</hi> <hi rendition="#aq">Menalcas</hi> <hi rendition="#fr">die&#x017F;elbe, als welche jederzeit hin und<lb/>
her lieffen, zum Gehor&#x017F;am zu bringen, die Hunde an &#x017F;ie hetzte, die dann<lb/>
als Fremde von denen Schaafen zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten angefeindet wurden,<lb/>
und wuch&#x017F;e der Wiederwill von Tag zu Tag de&#x017F;tomehr, weil zu dem<lb/>
natu&#x0364;rlichen Haß noch die Verletzungen kamen, welche Stu&#x0364;cke dann<lb/>
mit einander bey denen Schaafen eine &#x017F;olche Hals&#x017F;tarrigkeit, Verzweif-<lb/>
felung und Ungehor&#x017F;am verur&#x017F;achten, daß &#x017F;ie vor denen Hirten und<lb/>
Hunden einen greulichen Ab&#x017F;cheu hatten. Dahero wann &#x017F;ie ver-<lb/>
merckten, daß man &#x017F;ie melcken, &#x017F;aubern, oder ihnen die Wolle abneh-<lb/>
men wolte, &#x017F;ie &#x017F;ich hin und wieder in denen Gebu&#x0364;&#x017F;chen ver&#x017F;teckten, wo-<lb/>
durch die &#x017F;a&#x0364;mtlichen Hirten in Erfahrung kamen, daß die Verzweif-<lb/>
felung auch die arm&#x017F;elig&#x017F;ten Caninichen in grau&#x017F;ame Lo&#x0364;wen verwandeln<lb/>
kan. Denn es wu&#x0364;rden unter der Spani&#x017F;chen Heerde viel gefunden, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ich die Hirten zu bei&#x017F;&#x017F;en, unter&#x017F;tehen durfften. Die Frantzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;tie&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;chlugen die Eymer, darein man ihre Milch gemolcken<lb/>
hatte, mit denen Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en um. Die Engella&#x0364;ndi&#x017F;chen aber, damit &#x017F;ie de-<lb/>
nen fremden Hirten nicht gehorchen mu&#x0364;&#x017F;ten, und von denen Hun-<lb/>
den nicht zerri&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rden, enthielten &#x017F;ich des Weydens, und wol-<lb/>
ten viel lieber Hungers &#x017F;terben, als in &#x017F;olcher Dien&#x017F;tbarkeit leben.<lb/>
Vielmehr aber war &#x017F;ich daru&#x0364;ber zu verwundern, daß eben dieje-<lb/>
nigen Schaafe ihre Fru&#x0364;chte und Nutzungen, als Ka&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Wolle und<lb/>
La&#x0364;mmer, die &#x017F;ie ihren natu&#x0364;rlichen Hirten &#x017F;o gerne go&#x0364;nneten, die&#x017F;en<lb/>
Fremdlingen mit &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;en Widerwillen folgen lie&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie auch be-<lb/>
dauchte, es wu&#x0364;rde tyranni&#x017F;cher Wei&#x017F;e mit ihnen verfahren, und deß-<lb/>
wegen u&#x0364;ber ihr eigen Unglu&#x0364;ck lachten, indem &#x017F;ie &#x017F;ahen, daß ihr Herr,<lb/>
der</hi> <hi rendition="#aq">Menalcas,</hi> <hi rendition="#fr">bey ihnen ins Verderben geriethe, &#x017F;ich auch freueten,<lb/>
daß &#x017F;ie waren unfruchtbar worden. Als nun</hi> <hi rendition="#aq">Menalcas</hi> <hi rendition="#fr">u&#x0364;ber die&#x017F;en Zu-<lb/>
&#x017F;tand nicht wenig betru&#x0364;bet und bea&#x0364;ng&#x017F;tiget war, ließ er die&#x017F;e Schaafe<lb/>
zum Gehor&#x017F;am zu bringen, eine neue Anzahl Hunde aus dem Schweitzer-<lb/>
Lande bringen, welches ihm dann vollends zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten Schaden und<lb/>
Nachtheil gereichte, weil die <choice><sic>Hnnde</sic><corr>Hunde</corr></choice> mit &#x017F;olcher Grau&#x017F;emkeit gegen<lb/>
die Schaafe verfuhren, daß &#x017F;ie die&#x017F;elben endlich auch gar zu fre&#x017F;&#x017F;en an<lb/>
fiengen, wodurch die Schaafe je la&#x0364;nger je mehr Anlaß bekamen &#x017F;ich zu</hi><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">T 2</fw>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">wie-</hi> </fw><lb/>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0191] Stuͤcken. Dieſe nun, weil ſie fremde waren, und den Hirten nicht kannten, auch ſeine Sprache und Pfeiffe nicht verſtunden, wurden des Morgens ſchlecht geweydet, und kamen des Abends hungerig wie- der heim, wannenhero Menalcas dieſelbe, als welche jederzeit hin und her lieffen, zum Gehorſam zu bringen, die Hunde an ſie hetzte, die dann als Fremde von denen Schaafen zum hoͤchſten angefeindet wurden, und wuchſe der Wiederwill von Tag zu Tag deſtomehr, weil zu dem natuͤrlichen Haß noch die Verletzungen kamen, welche Stuͤcke dann mit einander bey denen Schaafen eine ſolche Halsſtarrigkeit, Verzweif- felung und Ungehorſam verurſachten, daß ſie vor denen Hirten und Hunden einen greulichen Abſcheu hatten. Dahero wann ſie ver- merckten, daß man ſie melcken, ſaubern, oder ihnen die Wolle abneh- men wolte, ſie ſich hin und wieder in denen Gebuͤſchen verſteckten, wo- durch die ſaͤmtlichen Hirten in Erfahrung kamen, daß die Verzweif- felung auch die armſeligſten Caninichen in grauſame Loͤwen verwandeln kan. Denn es wuͤrden unter der Spaniſchen Heerde viel gefunden, ſo ſich die Hirten zu beiſſen, unterſtehen durfften. Die Frantzoͤſiſchen ſtieſſen und ſchlugen die Eymer, darein man ihre Milch gemolcken hatte, mit denen Fuͤſſen um. Die Engellaͤndiſchen aber, damit ſie de- nen fremden Hirten nicht gehorchen muͤſten, und von denen Hun- den nicht zerriſſen wuͤrden, enthielten ſich des Weydens, und wol- ten viel lieber Hungers ſterben, als in ſolcher Dienſtbarkeit leben. Vielmehr aber war ſich daruͤber zu verwundern, daß eben dieje- nigen Schaafe ihre Fruͤchte und Nutzungen, als Kaͤſſe, Wolle und Laͤmmer, die ſie ihren natuͤrlichen Hirten ſo gerne goͤnneten, dieſen Fremdlingen mit ſo groſſen Widerwillen folgen lieſſen, daß ſie auch be- dauchte, es wuͤrde tyranniſcher Weiſe mit ihnen verfahren, und deß- wegen uͤber ihr eigen Ungluͤck lachten, indem ſie ſahen, daß ihr Herr, der Menalcas, bey ihnen ins Verderben geriethe, ſich auch freueten, daß ſie waren unfruchtbar worden. Als nun Menalcas uͤber dieſen Zu- ſtand nicht wenig betruͤbet und beaͤngſtiget war, ließ er dieſe Schaafe zum Gehorſam zu bringen, eine neue Anzahl Hunde aus dem Schweitzer- Lande bringen, welches ihm dann vollends zum hoͤchſten Schaden und Nachtheil gereichte, weil die Hunde mit ſolcher Grauſemkeit gegen die Schaafe verfuhren, daß ſie dieſelben endlich auch gar zu freſſen an fiengen, wodurch die Schaafe je laͤnger je mehr Anlaß bekamen ſich zu wie- T 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/191
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/191>, abgerufen am 21.11.2024.