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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Berlin, 1802

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eignem Fahrzeuge auf sanften Wellen wiegte, spielt
jetzt in stiller Verzweiflung auf der nakten Klippe
mit den letzten Trümmern des zerschellten Schiffes!
Wie Mancher ward in wenig Tagen dieses Jah-
res um sein ganzes Glück und alle seine Hoff-
nungen betrogen!

Sollen wir endlich uns freuen, wenn wir
mit Gewißheit fühlen: wir sind um den langen
Zeitraum von 365 Tagen, dem gewissen Tode
näher gekommen? -- Oder haben wir alle es in
den höhern Mysterien des Lebens gelernt, das
Leben zu lieben, ohne den Tod zu fürchten? Ist
die Gewißheit seiner unaufhaltsamen Annäherung
einem Jeden im Genusse des Lebens angenehm,
der Verlust eines so kostbaren Zeitraums für sein
Leben, seine Geschäfte und Genüsse, erfreulich?

Aber, meine Brüder, mag uns die gegenwär-
tige Stunde immer an die Kürze des Lebens
erinnern. Wir wissen es, daß es lang genug,
daß es uns reichlich genug zur Vollendung der
größesten Thaten der Freundschaft, des Edelmuths,
der Aufopferung, zugetheilt ist; daß dessen Leben
das längste ist, der, was ihm davon zu Theil
ward, gebraucht. -- Wir athmen nicht durch
uns selbst, aber wir leben durch uns selbst;
den Jahren können wir nicht gebieten, sich den
unsrigen zuzugesellen, aber wir können das kür-
zeste Leben zu dem längsten machen; und wenn
wir kurz leben, sind wir nicht Dürftige, sondern
Verschwender. -- Nicht Runzeln, nicht weiße
Haare, nicht Urenkel bezeichnen ein langes Leben,

Erstes Bändch. P

eignem Fahrzeuge auf ſanften Wellen wiegte, ſpielt
jetzt in ſtiller Verzweiflung auf der nakten Klippe
mit den letzten Truͤmmern des zerſchellten Schiffes!
Wie Mancher ward in wenig Tagen dieſes Jah-
res um ſein ganzes Gluͤck und alle ſeine Hoff-
nungen betrogen!

Sollen wir endlich uns freuen, wenn wir
mit Gewißheit fuͤhlen: wir ſind um den langen
Zeitraum von 365 Tagen, dem gewiſſen Tode
naͤher gekommen? — Oder haben wir alle es in
den hoͤhern Myſterien des Lebens gelernt, das
Leben zu lieben, ohne den Tod zu fuͤrchten? Iſt
die Gewißheit ſeiner unaufhaltſamen Annaͤherung
einem Jeden im Genuſſe des Lebens angenehm,
der Verluſt eines ſo koſtbaren Zeitraums fuͤr ſein
Leben, ſeine Geſchaͤfte und Genuͤſſe, erfreulich?

Aber, meine Bruͤder, mag uns die gegenwaͤr-
tige Stunde immer an die Kuͤrze des Lebens
erinnern. Wir wiſſen es, daß es lang genug,
daß es uns reichlich genug zur Vollendung der
groͤßeſten Thaten der Freundſchaft, des Edelmuths,
der Aufopferung, zugetheilt iſt; daß deſſen Leben
das laͤngſte iſt, der, was ihm davon zu Theil
ward, gebraucht. — Wir athmen nicht durch
uns ſelbſt, aber wir leben durch uns ſelbſt;
den Jahren koͤnnen wir nicht gebieten, ſich den
unſrigen zuzugeſellen, aber wir koͤnnen das kuͤr-
zeſte Leben zu dem laͤngſten machen; und wenn
wir kurz leben, ſind wir nicht Duͤrftige, ſondern
Verſchwender. — Nicht Runzeln, nicht weiße
Haare, nicht Urenkel bezeichnen ein langes Leben,

Erſtes Baͤndch. P
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[225/0243] eignem Fahrzeuge auf ſanften Wellen wiegte, ſpielt jetzt in ſtiller Verzweiflung auf der nakten Klippe mit den letzten Truͤmmern des zerſchellten Schiffes! Wie Mancher ward in wenig Tagen dieſes Jah- res um ſein ganzes Gluͤck und alle ſeine Hoff- nungen betrogen! Sollen wir endlich uns freuen, wenn wir mit Gewißheit fuͤhlen: wir ſind um den langen Zeitraum von 365 Tagen, dem gewiſſen Tode naͤher gekommen? — Oder haben wir alle es in den hoͤhern Myſterien des Lebens gelernt, das Leben zu lieben, ohne den Tod zu fuͤrchten? Iſt die Gewißheit ſeiner unaufhaltſamen Annaͤherung einem Jeden im Genuſſe des Lebens angenehm, der Verluſt eines ſo koſtbaren Zeitraums fuͤr ſein Leben, ſeine Geſchaͤfte und Genuͤſſe, erfreulich? Aber, meine Bruͤder, mag uns die gegenwaͤr- tige Stunde immer an die Kuͤrze des Lebens erinnern. Wir wiſſen es, daß es lang genug, daß es uns reichlich genug zur Vollendung der groͤßeſten Thaten der Freundſchaft, des Edelmuths, der Aufopferung, zugetheilt iſt; daß deſſen Leben das laͤngſte iſt, der, was ihm davon zu Theil ward, gebraucht. — Wir athmen nicht durch uns ſelbſt, aber wir leben durch uns ſelbſt; den Jahren koͤnnen wir nicht gebieten, ſich den unſrigen zuzugeſellen, aber wir koͤnnen das kuͤr- zeſte Leben zu dem laͤngſten machen; und wenn wir kurz leben, ſind wir nicht Duͤrftige, ſondern Verſchwender. — Nicht Runzeln, nicht weiße Haare, nicht Urenkel bezeichnen ein langes Leben, Erſtes Baͤndch. P

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Zitationshilfe: [Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Berlin, 1802, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien01_1802/243>, abgerufen am 21.11.2024.