Nun hat die religiöse Bildung in der größeren Gesellschaft allerdings eine Menge zufälliges und Einseitiges angenommen, und wenn es irgend nö- thig ist, daß die Einflüsse dieser Bildungsweise wieder gehoben werden, so muß es auf dem mau- rerischen Wege geschehen. -- Die religiösen An- sichten der Völker haben sich, wie es ja nicht an- ders seyn kann, angefügt an ihre Sitten und Ge- bräuche, an ihre Ansichten des menschlichen Lebens, an ihre Wissenschaften und Künste; und sie haben darüber alle eines so Recht, als das andre. Die Gottheit ist allerdings ihnen insgesamt erschienen, und hat sich unter ihnen mächtig offenbaret: dem Juden, bei seiner wunderbaren Rettung aus der Knechtschaft Aegyptens, dem Römer, bei der Grün- dung seines ewigen Kapitols, den Arabern, als Ein Mann aus ihrer Mitte die zerstreuten Hor- den vereinigte, und ein ungeheures Reich, wie aus dem Nichts, hervorgehen hieß. -- Nur, wenn sie mit einander streiten, der eine die Geschichte des andern läugnet und seine eigne ihm, als die allein wahre, aufdringen will, fangen sie an, Un- recht zu haben.
Jeder Mensch, der in der Gesellschaft geboren wird, wird nothwendig in einem Theile derselben, unter irgend einer Nation geboren, und erhält, nebst den übrigen stehenden Erzeugnissen dieser Nation, zugleich diese äußere, nationale Form des Religiösen. Die Theologen aller Nationen haben sich überdieß von jeher bestrebt, den Geist ihres Standes zum gemein menschlichen zu erheben;
Nun hat die religioͤſe Bildung in der groͤßeren Geſellſchaft allerdings eine Menge zufaͤlliges und Einſeitiges angenommen, und wenn es irgend noͤ- thig iſt, daß die Einfluͤſſe dieſer Bildungsweiſe wieder gehoben werden, ſo muß es auf dem mau- reriſchen Wege geſchehen. — Die religioͤſen An- ſichten der Voͤlker haben ſich, wie es ja nicht an- ders ſeyn kann, angefuͤgt an ihre Sitten und Ge- braͤuche, an ihre Anſichten des menſchlichen Lebens, an ihre Wiſſenſchaften und Kuͤnſte; und ſie haben daruͤber alle eines ſo Recht, als das andre. Die Gottheit iſt allerdings ihnen insgeſamt erſchienen, und hat ſich unter ihnen maͤchtig offenbaret: dem Juden, bei ſeiner wunderbaren Rettung aus der Knechtſchaft Aegyptens, dem Roͤmer, bei der Gruͤn- dung ſeines ewigen Kapitols, den Arabern, als Ein Mann aus ihrer Mitte die zerſtreuten Hor- den vereinigte, und ein ungeheures Reich, wie aus dem Nichts, hervorgehen hieß. — Nur, wenn ſie mit einander ſtreiten, der eine die Geſchichte des andern laͤugnet und ſeine eigne ihm, als die allein wahre, aufdringen will, fangen ſie an, Un- recht zu haben.
Jeder Menſch, der in der Geſellſchaft geboren wird, wird nothwendig in einem Theile derſelben, unter irgend einer Nation geboren, und erhaͤlt, nebſt den uͤbrigen ſtehenden Erzeugniſſen dieſer Nation, zugleich dieſe aͤußere, nationale Form des Religioͤſen. Die Theologen aller Nationen haben ſich uͤberdieß von jeher beſtrebt, den Geiſt ihres Standes zum gemein menſchlichen zu erheben;
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Nun hat die religioͤſe Bildung in der groͤßeren
Geſellſchaft allerdings eine Menge zufaͤlliges und
Einſeitiges angenommen, und wenn es irgend noͤ-
thig iſt, daß die Einfluͤſſe dieſer Bildungsweiſe
wieder gehoben werden, ſo muß es auf dem mau-
reriſchen Wege geſchehen. — Die religioͤſen An-
ſichten der Voͤlker haben ſich, wie es ja nicht an-
ders ſeyn kann, angefuͤgt an ihre Sitten und Ge-
braͤuche, an ihre Anſichten des menſchlichen Lebens,
an ihre Wiſſenſchaften und Kuͤnſte; und ſie haben
daruͤber alle eines ſo Recht, als das andre. Die
Gottheit iſt allerdings ihnen insgeſamt erſchienen,
und hat ſich unter ihnen maͤchtig offenbaret: dem
Juden, bei ſeiner wunderbaren Rettung aus der
Knechtſchaft Aegyptens, dem Roͤmer, bei der Gruͤn-
dung ſeines ewigen Kapitols, den Arabern, als
Ein Mann aus ihrer Mitte die zerſtreuten Hor-
den vereinigte, und ein ungeheures Reich, wie aus
dem Nichts, hervorgehen hieß. — Nur, wenn
ſie mit einander ſtreiten, der eine die Geſchichte
des andern laͤugnet und ſeine eigne ihm, als die
allein wahre, aufdringen will, fangen ſie an, Un-
recht zu haben.
Jeder Menſch, der in der Geſellſchaft geboren
wird, wird nothwendig in einem Theile derſelben,
unter irgend einer Nation geboren, und erhaͤlt,
nebſt den uͤbrigen ſtehenden Erzeugniſſen dieſer
Nation, zugleich dieſe aͤußere, nationale Form des
Religioͤſen. Die Theologen aller Nationen haben
ſich uͤberdieß von jeher beſtrebt, den Geiſt ihres
Standes zum gemein menſchlichen zu erheben;
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/50>, abgerufen am 24.11.2024.
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