des Geistes und Herzens, zur Beruhigung beim Anblick des scheinbaren Widerspruchs zwischen dem Pflichtgesetze und dem Weltlaufe. Aber auch dazu wird sie von dem vollendeten Maurer nicht gebraucht, indem er einer solchen Beruhigung gar nicht bedarf.
Allerdings wird jeder durch Erblickung jenes Widerspruchs erst zur Religion geführt. Es ist mir durch mein Innerstes ein Zweck, jener letzte irrdische Zweck der Menschheit aufgestellt; es sind mir Handlungen, Arbeiten, Aufopferungen für diesen Zweck aufgegeben. Ich kann dieser Stimme in meinem Herzen den Gehorsam nicht verwei- gern. Aber wenn ich auf den Gang der Bege- heiten und Schicksale der Welt merke, so scheint alle meine Arbeit für diesen Zweck verloren, so scheint sie sogar ihm zuweilen hinderlich zu seyn. Alles scheint durch eine unsichtbare und blinde Kraft, ganz ohne Rücksicht auf meine Arbeit, so gut oder so schlimm geleitet zu werden, als es eben geht. -- Diese Betrachtung, Konstant! die sich dem gewissenhaften, aber kalt beobachtenden Manne bald aufdringt, sie ist es, die den Men- schen zur Religion führt, und ihm, statt des irrdischen Zwecks, an dem er verzweifelt, ohnerachtet er nicht aufgiebt, für ihn zu arbeiten, einen unsichtbaren und ewigen aufstellt.
Also Bedürfniß ist es vielleicht, das ihn zur Religion führt; aber der vollendet aus-
des Geiſtes und Herzens, zur Beruhigung beim Anblick des ſcheinbaren Widerſpruchs zwiſchen dem Pflichtgeſetze und dem Weltlaufe. Aber auch dazu wird ſie von dem vollendeten Maurer nicht gebraucht, indem er einer ſolchen Beruhigung gar nicht bedarf.
Allerdings wird jeder durch Erblickung jenes Widerſpruchs erſt zur Religion gefuͤhrt. Es iſt mir durch mein Innerſtes ein Zweck, jener letzte irrdiſche Zweck der Menſchheit aufgeſtellt; es ſind mir Handlungen, Arbeiten, Aufopferungen fuͤr dieſen Zweck aufgegeben. Ich kann dieſer Stimme in meinem Herzen den Gehorſam nicht verwei- gern. Aber wenn ich auf den Gang der Bege- heiten und Schickſale der Welt merke, ſo ſcheint alle meine Arbeit fuͤr dieſen Zweck verloren, ſo ſcheint ſie ſogar ihm zuweilen hinderlich zu ſeyn. Alles ſcheint durch eine unſichtbare und blinde Kraft, ganz ohne Ruͤckſicht auf meine Arbeit, ſo gut oder ſo ſchlimm geleitet zu werden, als es eben geht. — Dieſe Betrachtung, Konſtant! die ſich dem gewiſſenhaften, aber kalt beobachtenden Manne bald aufdringt, ſie iſt es, die den Men- ſchen zur Religion fuͤhrt, und ihm, ſtatt des irrdiſchen Zwecks, an dem er verzweifelt, ohnerachtet er nicht aufgiebt, fuͤr ihn zu arbeiten, einen unſichtbaren und ewigen aufſtellt.
Alſo Beduͤrfniß iſt es vielleicht, das ihn zur Religion fuͤhrt; aber der vollendet aus-
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[34/0056]
des Geiſtes und Herzens, zur Beruhigung
beim Anblick des ſcheinbaren Widerſpruchs zwiſchen
dem Pflichtgeſetze und dem Weltlaufe. Aber auch
dazu wird ſie von dem vollendeten Maurer nicht
gebraucht, indem er einer ſolchen Beruhigung gar
nicht bedarf.
Allerdings wird jeder durch Erblickung jenes
Widerſpruchs erſt zur Religion gefuͤhrt. Es
iſt mir durch mein Innerſtes ein Zweck, jener
letzte irrdiſche Zweck der Menſchheit aufgeſtellt; es
ſind mir Handlungen, Arbeiten, Aufopferungen fuͤr
dieſen Zweck aufgegeben. Ich kann dieſer Stimme
in meinem Herzen den Gehorſam nicht verwei-
gern. Aber wenn ich auf den Gang der Bege-
heiten und Schickſale der Welt merke, ſo ſcheint
alle meine Arbeit fuͤr dieſen Zweck verloren, ſo
ſcheint ſie ſogar ihm zuweilen hinderlich zu ſeyn.
Alles ſcheint durch eine unſichtbare und blinde
Kraft, ganz ohne Ruͤckſicht auf meine Arbeit, ſo
gut oder ſo ſchlimm geleitet zu werden, als es
eben geht. — Dieſe Betrachtung, Konſtant! die
ſich dem gewiſſenhaften, aber kalt beobachtenden
Manne bald aufdringt, ſie iſt es, die den Men-
ſchen zur Religion fuͤhrt, und ihm, ſtatt des
irrdiſchen Zwecks, an dem er verzweifelt,
ohnerachtet er nicht aufgiebt, fuͤr ihn zu
arbeiten, einen unſichtbaren und ewigen
aufſtellt.
Alſo Beduͤrfniß iſt es vielleicht, das ihn
zur Religion fuͤhrt; aber der vollendet aus-
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/56>, abgerufen am 21.11.2024.
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