gebildete Mensch, unter dem ich mir nun einmal den Maurer denken will, bleibt nicht auf dieser Stufe stehen. Nun hat er Religion, sie ist ein Bestandtheil seiner selbst geworden; er bedarf sie nicht mehr, eben darum, weil er sie hat. Das Pflichtgesetz und der Weltlauf widersprechen sich nicht mehr, weil er nun eine höhere Welt kennt, von der die hiesige nur die ihn übende Erschei- nung abgiebt. Der Zweifel, der ihn zum Glau- ben trieb, ist ihm nun auf immer gelöst. Dadurch erhält nun eben seine Religion den Charakter, den ich oben von ihr angegeben habe, daß sie ihm gar nicht mehr Gegenstand seines Wirkens, sondern, daß ich mich so ausdrücke, Gliedmaaß ist und Werkzeug alles seines Wirkens. Sie ist ihm nicht etwas, das er sich noch macht, daran er sich erinnerte und ermahnte, sondern dasjenige, wodurch er, seiner selbst unbewußt, alles andre macht. Sie ist das Auge seines Lebens, das er, wo er sich selbst überlassen ist, und wenn es ihm nicht durch einen Spiegel der künstlichen Reflexion zu- rückgeworfen wird, das er nicht sieht, wodurch er aber alles andre sieht, was er sieht.
Und nun glaube ich alles erschöpft zu haben, was nach maurerischer Ansicht, den ersten Theil vom Gesammtzweck der ganzen Menschheit betrifft. Ich bin am weitläuftigsten dabei gewesen, weil es dem Folgenden zur Erläuterung dient, und weil ich Dir an diesem wichtigen Theile ein ausführlicheres Beispiel der maurerischen Lehre und Ansicht geben
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gebildete Menſch, unter dem ich mir nun einmal den Maurer denken will, bleibt nicht auf dieſer Stufe ſtehen. Nun hat er Religion, ſie iſt ein Beſtandtheil ſeiner ſelbſt geworden; er bedarf ſie nicht mehr, eben darum, weil er ſie hat. Das Pflichtgeſetz und der Weltlauf widerſprechen ſich nicht mehr, weil er nun eine hoͤhere Welt kennt, von der die hieſige nur die ihn uͤbende Erſchei- nung abgiebt. Der Zweifel, der ihn zum Glau- ben trieb, iſt ihm nun auf immer geloͤſt. Dadurch erhaͤlt nun eben ſeine Religion den Charakter, den ich oben von ihr angegeben habe, daß ſie ihm gar nicht mehr Gegenſtand ſeines Wirkens, ſondern, daß ich mich ſo ausdruͤcke, Gliedmaaß iſt und Werkzeug alles ſeines Wirkens. Sie iſt ihm nicht etwas, das er ſich noch macht, daran er ſich erinnerte und ermahnte, ſondern dasjenige, wodurch er, ſeiner ſelbſt unbewußt, alles andre macht. Sie iſt das Auge ſeines Lebens, das er, wo er ſich ſelbſt uͤberlaſſen iſt, und wenn es ihm nicht durch einen Spiegel der kuͤnſtlichen Reflexion zu- ruͤckgeworfen wird, das er nicht ſieht, wodurch er aber alles andre ſieht, was er ſieht.
Und nun glaube ich alles erſchoͤpft zu haben, was nach maureriſcher Anſicht, den erſten Theil vom Geſammtzweck der ganzen Menſchheit betrifft. Ich bin am weitlaͤuftigſten dabei geweſen, weil es dem Folgenden zur Erlaͤuterung dient, und weil ich Dir an dieſem wichtigen Theile ein ausfuͤhrlicheres Beiſpiel der maureriſchen Lehre und Anſicht geben
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gebildete Menſch, unter dem ich mir nun einmal
den Maurer denken will, bleibt nicht auf dieſer
Stufe ſtehen. Nun hat er Religion, ſie iſt
ein Beſtandtheil ſeiner ſelbſt geworden; er bedarf
ſie nicht mehr, eben darum, weil er ſie hat. Das
Pflichtgeſetz und der Weltlauf widerſprechen ſich
nicht mehr, weil er nun eine hoͤhere Welt kennt,
von der die hieſige nur die ihn uͤbende Erſchei-
nung abgiebt. Der Zweifel, der ihn zum Glau-
ben trieb, iſt ihm nun auf immer geloͤſt. Dadurch
erhaͤlt nun eben ſeine Religion den Charakter, den
ich oben von ihr angegeben habe, daß ſie ihm gar
nicht mehr Gegenſtand ſeines Wirkens,
ſondern, daß ich mich ſo ausdruͤcke, Gliedmaaß iſt
und Werkzeug alles ſeines Wirkens. Sie
iſt ihm nicht etwas, das er ſich noch macht,
daran er ſich erinnerte und ermahnte,
ſondern dasjenige, wodurch er, ſeiner
ſelbſt unbewußt, alles andre macht. Sie
iſt das Auge ſeines Lebens, das er, wo er
ſich ſelbſt uͤberlaſſen iſt, und wenn es ihm nicht
durch einen Spiegel der kuͤnſtlichen Reflexion zu-
ruͤckgeworfen wird, das er nicht ſieht, wodurch
er aber alles andre ſieht, was er ſieht.
Und nun glaube ich alles erſchoͤpft zu haben,
was nach maureriſcher Anſicht, den erſten Theil
vom Geſammtzweck der ganzen Menſchheit betrifft.
Ich bin am weitlaͤuftigſten dabei geweſen, weil es
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/57>, abgerufen am 21.11.2024.
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