Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

subjectives, von Gott unterschiednes, von ihm gemachtes
wäre. In der That ist es auch kein gemachtes, kein willkühr-
liches; denn es drückt die Nothwendigkeit der Phantasie aus,
die Nothwendigkeit, die Phantasie als eine göttliche Macht zu
bejahen. Der Sohn ist der Abglanz der Phantasie, das Lieb-
lingsbild des Herzens; aber eben deßwegen, weil er nur der
Phantasie Gegenstand, ist er nur das gegenständliche Wesen
der Phantasie.

Es erhellt hieraus, wie befangen die dogmatische Specu-
lation ist, wenn sie, völlig übersehend die innere Genesis des
Sohnes als des Gottesbildes, den Sohn als ein metaphysi-
sches Ens, als eine Gedankenwesenheit demonstrirt, da eben
der Sohn das Bedürfniß nach einem andern Wesen, als das
metaphysische Wesen ist, ausdrückt, gewisser Maaßen ein Ab-
sprung, ein Abfall von der Idee der Gottheit ist -- ein Abfall,
den aber natürlich der religiöse Mensch in Gott selbst setzt, um
den Abfall zu rechtfertigen, nicht als Abfall zu empfinden. Der
Sohn ist das oberste und letzte Princip des Bilderdienstes;
denn er ist das Bild Gottes; das Bild tritt aber nothwen-
dig
an die Stelle der Sache. Die Verehrung des Heiligen
im Bilde ist die Verehrung des Bildes als des Heili-
gen
. Das Bild ist das Wesen der Religion, wo das Bild
der wesentliche Ausdruck, das Organ der Religion ist.

Das Concilium zu Nicäa führte unter andern Gründen
für den religiösen Gebrauch der Bilder als Autorität auch den
Gregor von Nyssa an, welcher sagt, daß er ein gewisses Bild,
welches Isaaks Opferung darstellte, nie habe ansehen können,
ohne darüber bis zu Thränen gerührt zu werden, weil es ihm so
lebendig diese heilige Geschichte vergegenwärtigt habe. Aber die
Wirkung des abgebildeten Gegenstandes ist nicht die Wirkung

ſubjectives, von Gott unterſchiednes, von ihm gemachtes
wäre. In der That iſt es auch kein gemachtes, kein willkühr-
liches; denn es drückt die Nothwendigkeit der Phantaſie aus,
die Nothwendigkeit, die Phantaſie als eine göttliche Macht zu
bejahen. Der Sohn iſt der Abglanz der Phantaſie, das Lieb-
lingsbild des Herzens; aber eben deßwegen, weil er nur der
Phantaſie Gegenſtand, iſt er nur das gegenſtändliche Weſen
der Phantaſie.

Es erhellt hieraus, wie befangen die dogmatiſche Specu-
lation iſt, wenn ſie, völlig überſehend die innere Geneſis des
Sohnes als des Gottesbildes, den Sohn als ein metaphyſi-
ſches Ens, als eine Gedankenweſenheit demonſtrirt, da eben
der Sohn das Bedürfniß nach einem andern Weſen, als das
metaphyſiſche Weſen iſt, ausdrückt, gewiſſer Maaßen ein Ab-
ſprung, ein Abfall von der Idee der Gottheit iſt — ein Abfall,
den aber natürlich der religiöſe Menſch in Gott ſelbſt ſetzt, um
den Abfall zu rechtfertigen, nicht als Abfall zu empfinden. Der
Sohn iſt das oberſte und letzte Princip des Bilderdienſtes;
denn er iſt das Bild Gottes; das Bild tritt aber nothwen-
dig
an die Stelle der Sache. Die Verehrung des Heiligen
im Bilde iſt die Verehrung des Bildes als des Heili-
gen
. Das Bild iſt das Weſen der Religion, wo das Bild
der weſentliche Ausdruck, das Organ der Religion iſt.

Das Concilium zu Nicäa führte unter andern Gründen
für den religiöſen Gebrauch der Bilder als Autorität auch den
Gregor von Nyſſa an, welcher ſagt, daß er ein gewiſſes Bild,
welches Iſaaks Opferung darſtellte, nie habe anſehen können,
ohne darüber bis zu Thränen gerührt zu werden, weil es ihm ſo
lebendig dieſe heilige Geſchichte vergegenwärtigt habe. Aber die
Wirkung des abgebildeten Gegenſtandes iſt nicht die Wirkung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0108" n="90"/>
&#x017F;ubjectives, von Gott <hi rendition="#g">unter&#x017F;chiednes</hi>, von ihm <hi rendition="#g">gemachtes</hi><lb/>
wäre. In der That i&#x017F;t es auch kein gemachtes, kein willkühr-<lb/>
liches; denn es drückt die Nothwendigkeit der Phanta&#x017F;ie aus,<lb/>
die Nothwendigkeit, die Phanta&#x017F;ie als eine göttliche Macht zu<lb/>
bejahen. Der Sohn i&#x017F;t der Abglanz der Phanta&#x017F;ie, das Lieb-<lb/>
lingsbild des Herzens; aber eben deßwegen, weil er nur der<lb/>
Phanta&#x017F;ie Gegen&#x017F;tand, i&#x017F;t er nur das gegen&#x017F;tändliche We&#x017F;en<lb/>
der Phanta&#x017F;ie.</p><lb/>
          <p>Es erhellt hieraus, wie befangen die dogmati&#x017F;che Specu-<lb/>
lation i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie, völlig über&#x017F;ehend die innere Gene&#x017F;is des<lb/>
Sohnes als des Gottesbildes, den Sohn als ein metaphy&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;ches Ens, als eine Gedankenwe&#x017F;enheit demon&#x017F;trirt, da eben<lb/>
der Sohn das Bedürfniß nach einem andern We&#x017F;en, als das<lb/>
metaphy&#x017F;i&#x017F;che We&#x017F;en i&#x017F;t, ausdrückt, gewi&#x017F;&#x017F;er Maaßen ein Ab-<lb/>
&#x017F;prung, ein Abfall von der Idee der Gottheit i&#x017F;t &#x2014; ein Abfall,<lb/>
den aber natürlich der religiö&#x017F;e Men&#x017F;ch in Gott &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;etzt, um<lb/>
den Abfall zu rechtfertigen, nicht als Abfall zu empfinden. Der<lb/>
Sohn i&#x017F;t das ober&#x017F;te und letzte Princip des <hi rendition="#g">Bilderdien&#x017F;tes</hi>;<lb/>
denn er i&#x017F;t das Bild Gottes; das Bild tritt aber <hi rendition="#g">nothwen-<lb/>
dig</hi> an die <hi rendition="#g">Stelle der Sache</hi>. Die Verehrung des Heiligen<lb/><hi rendition="#g">im</hi> Bilde i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Verehrung des Bildes als des Heili-<lb/>
gen</hi>. Das <hi rendition="#g">Bild</hi> i&#x017F;t das <hi rendition="#g">We&#x017F;en</hi> der Religion, wo das Bild<lb/>
der we&#x017F;entliche Ausdruck, das <hi rendition="#g">Organ</hi> der Religion i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Das Concilium zu Nicäa führte unter andern Gründen<lb/>
für den religiö&#x017F;en Gebrauch der Bilder als Autorität auch den<lb/>
Gregor von Ny&#x017F;&#x017F;a an, welcher &#x017F;agt, daß er ein gewi&#x017F;&#x017F;es Bild,<lb/>
welches I&#x017F;aaks Opferung dar&#x017F;tellte, nie habe an&#x017F;ehen können,<lb/>
ohne darüber bis zu Thränen gerührt zu werden, weil es ihm &#x017F;o<lb/>
lebendig die&#x017F;e heilige Ge&#x017F;chichte vergegenwärtigt habe. Aber die<lb/>
Wirkung des abgebildeten Gegen&#x017F;tandes i&#x017F;t nicht die Wirkung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0108] ſubjectives, von Gott unterſchiednes, von ihm gemachtes wäre. In der That iſt es auch kein gemachtes, kein willkühr- liches; denn es drückt die Nothwendigkeit der Phantaſie aus, die Nothwendigkeit, die Phantaſie als eine göttliche Macht zu bejahen. Der Sohn iſt der Abglanz der Phantaſie, das Lieb- lingsbild des Herzens; aber eben deßwegen, weil er nur der Phantaſie Gegenſtand, iſt er nur das gegenſtändliche Weſen der Phantaſie. Es erhellt hieraus, wie befangen die dogmatiſche Specu- lation iſt, wenn ſie, völlig überſehend die innere Geneſis des Sohnes als des Gottesbildes, den Sohn als ein metaphyſi- ſches Ens, als eine Gedankenweſenheit demonſtrirt, da eben der Sohn das Bedürfniß nach einem andern Weſen, als das metaphyſiſche Weſen iſt, ausdrückt, gewiſſer Maaßen ein Ab- ſprung, ein Abfall von der Idee der Gottheit iſt — ein Abfall, den aber natürlich der religiöſe Menſch in Gott ſelbſt ſetzt, um den Abfall zu rechtfertigen, nicht als Abfall zu empfinden. Der Sohn iſt das oberſte und letzte Princip des Bilderdienſtes; denn er iſt das Bild Gottes; das Bild tritt aber nothwen- dig an die Stelle der Sache. Die Verehrung des Heiligen im Bilde iſt die Verehrung des Bildes als des Heili- gen. Das Bild iſt das Weſen der Religion, wo das Bild der weſentliche Ausdruck, das Organ der Religion iſt. Das Concilium zu Nicäa führte unter andern Gründen für den religiöſen Gebrauch der Bilder als Autorität auch den Gregor von Nyſſa an, welcher ſagt, daß er ein gewiſſes Bild, welches Iſaaks Opferung darſtellte, nie habe anſehen können, ohne darüber bis zu Thränen gerührt zu werden, weil es ihm ſo lebendig dieſe heilige Geſchichte vergegenwärtigt habe. Aber die Wirkung des abgebildeten Gegenſtandes iſt nicht die Wirkung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/108
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/108>, abgerufen am 04.12.2024.