Die Schöpfung der Welt drückt nichts aus als die Sub- jectivität, welche sich durch das Bewußtsein, daß die Welt er- schaffen, ein Product des Willens, d. h. eine selbstlose, machtlose, nichtige Existenz ist, die Gewißheit der eignen Realität und Unendlichkeit gibt. Das Nichts, aus dem die Welt hervorgebracht wurde, ist ihr eignes Nichts. Indem Du sagst: die Welt ist aus Nichts gemacht, denkst Du Dir die Welt selbst als Nichts, räumst Du alle Schranken Deiner Phantasie, Deines Gemüths, Deines Willens aus dem Kopfe; denn die Welt ist die Schranke Deines Willens, Dei- nes Gemüths; die Welt allein bedrängt Deine Subjectivi- tät; sie allein ist die Scheidewand zwischen Dir und Gott, Deinem seligen vollkommen Wesen. Du ver- nichtest also subjectiv die Welt; Du denkst Dir Gott allein für sich, d. h. die schlechthin unbeschränkte Subjecti- vität, die Subjectivität, die sich selbst allein genießt, die nicht der Welt bedarf, die nichts weiß von den schmerz- lichen Banden der Materie. Im innersten Grunde Dei- ner Seele willst Du, daß keine Welt sei; denn wo Welt ist, da ist Materie, und wo Materie, da ist Druck und Stoß, Raum und Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwohl ist aber doch eine Welt, doch eine Materie. Wie kommst Du aus der Klemme dieses Widerspruchs hinaus? Wie schlägst Du Dir die Welt aus dem Sinne, daß sie Dich nicht stört in dem Wonnegefühl der unbeschränkten Subjectivität? Nur dadurch, daß Du die Welt selbst zu einem Willensproduct machst, daß Du ihr eine willkührliche, stets zwischen Sein und Nicht- sein schwebende, stets ihrer Vernichtung gewärtige Existenz gibst. Allerdings läßt sich die Welt, oder die Materie -- denn beide lassen sich nicht trennen -- nicht aus dem Creationsacte er-
Die Schöpfung der Welt drückt nichts aus als die Sub- jectivität, welche ſich durch das Bewußtſein, daß die Welt er- ſchaffen, ein Product des Willens, d. h. eine ſelbſtloſe, machtloſe, nichtige Exiſtenz iſt, die Gewißheit der eignen Realität und Unendlichkeit gibt. Das Nichts, aus dem die Welt hervorgebracht wurde, iſt ihr eignes Nichts. Indem Du ſagſt: die Welt iſt aus Nichts gemacht, denkſt Du Dir die Welt ſelbſt als Nichts, räumſt Du alle Schranken Deiner Phantaſie, Deines Gemüths, Deines Willens aus dem Kopfe; denn die Welt iſt die Schranke Deines Willens, Dei- nes Gemüths; die Welt allein bedrängt Deine Subjectivi- tät; ſie allein iſt die Scheidewand zwiſchen Dir und Gott, Deinem ſeligen vollkommen Weſen. Du ver- nichteſt alſo ſubjectiv die Welt; Du denkſt Dir Gott allein für ſich, d. h. die ſchlechthin unbeſchränkte Subjecti- vität, die Subjectivität, die ſich ſelbſt allein genießt, die nicht der Welt bedarf, die nichts weiß von den ſchmerz- lichen Banden der Materie. Im innerſten Grunde Dei- ner Seele willſt Du, daß keine Welt ſei; denn wo Welt iſt, da iſt Materie, und wo Materie, da iſt Druck und Stoß, Raum und Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwohl iſt aber doch eine Welt, doch eine Materie. Wie kommſt Du aus der Klemme dieſes Widerſpruchs hinaus? Wie ſchlägſt Du Dir die Welt aus dem Sinne, daß ſie Dich nicht ſtört in dem Wonnegefühl der unbeſchränkten Subjectivität? Nur dadurch, daß Du die Welt ſelbſt zu einem Willensproduct machſt, daß Du ihr eine willkührliche, ſtets zwiſchen Sein und Nicht- ſein ſchwebende, ſtets ihrer Vernichtung gewärtige Exiſtenz gibſt. Allerdings läßt ſich die Welt, oder die Materie — denn beide laſſen ſich nicht trennen — nicht aus dem Creationsacte er-
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Die Schöpfung der Welt drückt nichts aus als die Sub-
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machtloſe, nichtige Exiſtenz iſt, die Gewißheit der eignen
Realität und Unendlichkeit gibt. Das Nichts, aus dem die
Welt hervorgebracht wurde, iſt ihr eignes Nichts. Indem
Du ſagſt: die Welt iſt aus Nichts gemacht, denkſt Du Dir
die Welt ſelbſt als Nichts, räumſt Du alle Schranken Deiner
Phantaſie, Deines Gemüths, Deines Willens aus dem Kopfe;
denn die Welt iſt die Schranke Deines Willens, Dei-
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Gott, Deinem ſeligen vollkommen Weſen. Du ver-
nichteſt alſo ſubjectiv die Welt; Du denkſt Dir Gott allein
für ſich, d. h. die ſchlechthin unbeſchränkte Subjecti-
vität, die Subjectivität, die ſich ſelbſt allein genießt, die
nicht der Welt bedarf, die nichts weiß von den ſchmerz-
lichen Banden der Materie. Im innerſten Grunde Dei-
ner Seele willſt Du, daß keine Welt ſei; denn wo Welt iſt,
da iſt Materie, und wo Materie, da iſt Druck und Stoß, Raum
und Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwohl iſt aber
doch eine Welt, doch eine Materie. Wie kommſt Du aus
der Klemme dieſes Widerſpruchs hinaus? Wie ſchlägſt Du
Dir die Welt aus dem Sinne, daß ſie Dich nicht ſtört in dem
Wonnegefühl der unbeſchränkten Subjectivität? Nur dadurch,
daß Du die Welt ſelbſt zu einem Willensproduct machſt, daß
Du ihr eine willkührliche, ſtets zwiſchen Sein und Nicht-
ſein ſchwebende, ſtets ihrer Vernichtung gewärtige Exiſtenz gibſt.
Allerdings läßt ſich die Welt, oder die Materie — denn beide
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/157>, abgerufen am 04.12.2024.
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