Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

klären; aber es ist gänzlicher Mißverstand, solche Forderung
an die Creation zu stellen; denn es liegt dieser der Gedanke zu
Grunde: es soll keine Welt, keine Materie sein; und es wird
daher auch täglich ihrem Ende sehnlichst entgegengeharrt. Die
Welt in ihrer Wahrheit existirt hier gar nicht; sie ist nur als
der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenstand; wie
sollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei-
nem Princip, das die Welt negirt, sich deduciren, begründen
lassen?

Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen,
bedenke man nur dieß Eine ernstlich, daß es sich in der Crea-
tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von
Wasser und Erde, für die ja kein Gott ist, sondern um die
Schöpfung von persönlichen Wesen, von Geistern, wie man
zu sagen pflegt, handelt. Gott ist der Begriff oder die Idee
der Persönlichkeit als selbst Person
, die in sich selbst
seiende von der Welt abgeschlossene Subjectivität, das als ab-
solutes Sein und Wesen gesetzte bedürfnißlose Fürsichselbstsein,
das Ich ohne Du. Da aber das absolute nur für sich selbst
Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe
widerspricht, da das Selbstbewußtsein wesentlich gebunden ist
an das Bewußtsein eines Du, da in die Dauer wenigstens
die Einsamkeit sich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit
und Einförmigkeit bewahren kann: so wird sogleich von dem
göttlichen Wesen fortgeschritten zu andern bewußten Wesen,
der Begriff der Persönlichkeit, der zuvörderst nur in Ein We-
sen condensirt ist, zu einer Vielheit von Personen erweitert *).

*) Hier ist auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche
Macht, sondern auch die göttliche Liebe repräsentirt. Quia bonus est
(Deus), sumus. (Augustin.)
Anfangs, vor der Welt war Gott allein für

klären; aber es iſt gänzlicher Mißverſtand, ſolche Forderung
an die Creation zu ſtellen; denn es liegt dieſer der Gedanke zu
Grunde: es ſoll keine Welt, keine Materie ſein; und es wird
daher auch täglich ihrem Ende ſehnlichſt entgegengeharrt. Die
Welt in ihrer Wahrheit exiſtirt hier gar nicht; ſie iſt nur als
der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenſtand; wie
ſollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei-
nem Princip, das die Welt negirt, ſich deduciren, begründen
laſſen?

Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen,
bedenke man nur dieß Eine ernſtlich, daß es ſich in der Crea-
tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von
Waſſer und Erde, für die ja kein Gott iſt, ſondern um die
Schöpfung von perſönlichen Weſen, von Geiſtern, wie man
zu ſagen pflegt, handelt. Gott iſt der Begriff oder die Idee
der Perſönlichkeit als ſelbſt Perſon
, die in ſich ſelbſt
ſeiende von der Welt abgeſchloſſene Subjectivität, das als ab-
ſolutes Sein und Weſen geſetzte bedürfnißloſe Fürſichſelbſtſein,
das Ich ohne Du. Da aber das abſolute nur für ſich ſelbſt
Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe
widerſpricht, da das Selbſtbewußtſein weſentlich gebunden iſt
an das Bewußtſein eines Du, da in die Dauer wenigſtens
die Einſamkeit ſich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit
und Einförmigkeit bewahren kann: ſo wird ſogleich von dem
göttlichen Weſen fortgeſchritten zu andern bewußten Weſen,
der Begriff der Perſönlichkeit, der zuvörderſt nur in Ein We-
ſen condenſirt iſt, zu einer Vielheit von Perſonen erweitert *).

*) Hier iſt auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche
Macht, ſondern auch die göttliche Liebe repräſentirt. Quia bonus est
(Deus), sumus. (Augustin.)
Anfangs, vor der Welt war Gott allein für
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0158" n="140"/>
klären; aber es i&#x017F;t gänzlicher Mißver&#x017F;tand, &#x017F;olche Forderung<lb/>
an die Creation zu &#x017F;tellen; denn es liegt die&#x017F;er der Gedanke zu<lb/>
Grunde: es <hi rendition="#g">&#x017F;oll</hi> keine Welt, keine Materie &#x017F;ein; und es wird<lb/>
daher auch täglich ihrem Ende &#x017F;ehnlich&#x017F;t entgegengeharrt. Die<lb/>
Welt in ihrer Wahrheit exi&#x017F;tirt hier gar nicht; &#x017F;ie i&#x017F;t nur als<lb/>
der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegen&#x017F;tand; wie<lb/>
&#x017F;ollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei-<lb/>
nem Princip, das die Welt negirt, &#x017F;ich deduciren, begründen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
          <p>Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen,<lb/>
bedenke man nur dieß Eine ern&#x017F;tlich, daß es &#x017F;ich in der Crea-<lb/>
tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er und Erde, für die ja kein Gott i&#x017F;t, &#x017F;ondern um die<lb/>
Schöpfung von per&#x017F;önlichen We&#x017F;en, von <hi rendition="#g">Gei&#x017F;tern</hi>, wie man<lb/>
zu &#x017F;agen pflegt, handelt. Gott i&#x017F;t der Begriff oder die <hi rendition="#g">Idee<lb/>
der Per&#x017F;önlichkeit als &#x017F;elb&#x017F;t Per&#x017F;on</hi>, die in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;eiende von der Welt abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Subjectivität, das als ab-<lb/>
&#x017F;olutes Sein und We&#x017F;en ge&#x017F;etzte bedürfnißlo&#x017F;e Für&#x017F;ich&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ein,<lb/>
das Ich ohne Du. Da aber das ab&#x017F;olute nur für &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe<lb/>
wider&#x017F;pricht, da das Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein we&#x017F;entlich gebunden i&#x017F;t<lb/>
an das Bewußt&#x017F;ein eines Du, da in die Dauer wenig&#x017F;tens<lb/>
die Ein&#x017F;amkeit &#x017F;ich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit<lb/>
und Einförmigkeit bewahren kann: &#x017F;o wird &#x017F;ogleich von dem<lb/>
göttlichen We&#x017F;en fortge&#x017F;chritten zu andern bewußten We&#x017F;en,<lb/>
der Begriff der Per&#x017F;önlichkeit, der zuvörder&#x017F;t nur in Ein We-<lb/>
&#x017F;en conden&#x017F;irt i&#x017F;t, zu einer Vielheit von Per&#x017F;onen erweitert <note xml:id="note-0158" next="#note-0159" place="foot" n="*)">Hier i&#x017F;t auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche<lb/>
Macht, &#x017F;ondern auch die göttliche Liebe reprä&#x017F;entirt. <hi rendition="#aq">Quia bonus est<lb/>
(Deus), sumus. (Augustin.)</hi> Anfangs, vor der Welt war Gott allein für</note>.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0158] klären; aber es iſt gänzlicher Mißverſtand, ſolche Forderung an die Creation zu ſtellen; denn es liegt dieſer der Gedanke zu Grunde: es ſoll keine Welt, keine Materie ſein; und es wird daher auch täglich ihrem Ende ſehnlichſt entgegengeharrt. Die Welt in ihrer Wahrheit exiſtirt hier gar nicht; ſie iſt nur als der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenſtand; wie ſollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei- nem Princip, das die Welt negirt, ſich deduciren, begründen laſſen? Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen, bedenke man nur dieß Eine ernſtlich, daß es ſich in der Crea- tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von Waſſer und Erde, für die ja kein Gott iſt, ſondern um die Schöpfung von perſönlichen Weſen, von Geiſtern, wie man zu ſagen pflegt, handelt. Gott iſt der Begriff oder die Idee der Perſönlichkeit als ſelbſt Perſon, die in ſich ſelbſt ſeiende von der Welt abgeſchloſſene Subjectivität, das als ab- ſolutes Sein und Weſen geſetzte bedürfnißloſe Fürſichſelbſtſein, das Ich ohne Du. Da aber das abſolute nur für ſich ſelbſt Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe widerſpricht, da das Selbſtbewußtſein weſentlich gebunden iſt an das Bewußtſein eines Du, da in die Dauer wenigſtens die Einſamkeit ſich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit und Einförmigkeit bewahren kann: ſo wird ſogleich von dem göttlichen Weſen fortgeſchritten zu andern bewußten Weſen, der Begriff der Perſönlichkeit, der zuvörderſt nur in Ein We- ſen condenſirt iſt, zu einer Vielheit von Perſonen erweitert *). *) Hier iſt auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche Macht, ſondern auch die göttliche Liebe repräſentirt. Quia bonus est (Deus), sumus. (Augustin.) Anfangs, vor der Welt war Gott allein für

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/158
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/158>, abgerufen am 04.12.2024.