Laufe der Gestirne; sie sahen aus dem Schaume des allgebä- renden Oceans die Natur in der Gestalt der Venus Anadyo- mene emporsteigen. Die Israeliten dagegen öffneten der Na- tur nur die gastrischen Sinne; nur im Gaumen fanden sie Ge- schmack an der Natur; nur im Genusse des Manna wurden sie ihres Gottes inne. "Zwischen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen Brots satt werden und inne werden, daß ich der Herr euer Gott bin." *) Essen ist der feierlichste Act oder doch die Initiation der jüdischen Religion. Im Essen feiert und erneuert der Israelite den Creationsact; im Essen erklärt der Mensch die Natur für ein an sich nich- tiges Object. Als die siebenzig Aeltesten mit Mose den Berg hinanstiegen, da "sahen sie Gott und da sie Gott ge- schauet hatten, tranken und aßen sie." **) Der Anblick des höchsten Wesens beförderte also bei ihnen nur den Appetit zum Essen. "Und Jacob that ein Gelübde und sprach: So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein." ***)
Der Grieche trieb Humaniora, die Artes liberales, die Philosophie; der Israelite erhob sich nicht über das Brotstu- dium der Theologie. Dem Griechen war die Natur ein Diamant; er konnte sich nicht satt sehen an seinem wundervol- len Farbenspiel, an seinen regelmäßigen Formen, an seiner
*) Mose II. c. 16, 12.
**) Mose II. 24, 10, 11. Tantum abest, bemerkt ein Exeget, ut mor- tui sint, ut contra convivium hilares celebrarint.
***) Mose I. c. 28, 20.
Feuerbach. 10
Laufe der Geſtirne; ſie ſahen aus dem Schaume des allgebä- renden Oceans die Natur in der Geſtalt der Venus Anadyo- mene emporſteigen. Die Iſraeliten dagegen öffneten der Na- tur nur die gaſtriſchen Sinne; nur im Gaumen fanden ſie Ge- ſchmack an der Natur; nur im Genuſſe des Manna wurden ſie ihres Gottes inne. „Zwiſchen Abend ſollt ihr Fleiſch zu eſſen haben und am Morgen Brots ſatt werden und inne werden, daß ich der Herr euer Gott bin.“ *) Eſſen iſt der feierlichſte Act oder doch die Initiation der jüdiſchen Religion. Im Eſſen feiert und erneuert der Iſraelite den Creationsact; im Eſſen erklärt der Menſch die Natur für ein an ſich nich- tiges Object. Als die ſiebenzig Aelteſten mit Moſe den Berg hinanſtiegen, da „ſahen ſie Gott und da ſie Gott ge- ſchauet hatten, tranken und aßen ſie.“ **) Der Anblick des höchſten Weſens beförderte alſo bei ihnen nur den Appetit zum Eſſen. „Und Jacob that ein Gelübde und ſprach: So Gott wird mit mir ſein und mich behüten auf dem Wege, den ich reiſe, und Brot zu eſſen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, ſo ſoll der Herr mein Gott ſein.“ ***)
Der Grieche trieb Humaniora, die Artes liberales, die Philoſophie; der Iſraelite erhob ſich nicht über das Brotſtu- dium der Theologie. Dem Griechen war die Natur ein Diamant; er konnte ſich nicht ſatt ſehen an ſeinem wundervol- len Farbenſpiel, an ſeinen regelmäßigen Formen, an ſeiner
*) Moſe II. c. 16, 12.
**) Moſe II. 24, 10, 11. Tantum abest, bemerkt ein Exeget, ut mor- tui sint, ut contra convivium hilares celebrarint.
***) Moſe I. c. 28, 20.
Feuerbach. 10
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Laufe der Geſtirne; ſie ſahen aus dem Schaume des allgebä-
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mene emporſteigen. Die Iſraeliten dagegen öffneten der Na-
tur nur die gaſtriſchen Sinne; nur im Gaumen fanden ſie Ge-
ſchmack an der Natur; nur im Genuſſe des Manna wurden
ſie ihres Gottes inne. „Zwiſchen Abend ſollt ihr Fleiſch zu
eſſen haben und am Morgen Brots ſatt werden und inne
werden, daß ich der Herr euer Gott bin.“ *) Eſſen iſt der
feierlichſte Act oder doch die Initiation der jüdiſchen Religion.
Im Eſſen feiert und erneuert der Iſraelite den Creationsact;
im Eſſen erklärt der Menſch die Natur für ein an ſich nich-
tiges Object. Als die ſiebenzig Aelteſten mit Moſe den Berg
hinanſtiegen, da „ſahen ſie Gott und da ſie Gott ge-
ſchauet hatten, tranken und aßen ſie.“ **) Der Anblick
des höchſten Weſens beförderte alſo bei ihnen nur den Appetit
zum Eſſen. „Und Jacob that ein Gelübde und ſprach: So
Gott wird mit mir ſein und mich behüten auf dem Wege, den
ich reiſe, und Brot zu eſſen geben und Kleider anzuziehen
und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen,
ſo ſoll der Herr mein Gott ſein.“ ***)
Der Grieche trieb Humaniora, die Artes liberales, die
Philoſophie; der Iſraelite erhob ſich nicht über das Brotſtu-
dium der Theologie. Dem Griechen war die Natur ein
Diamant; er konnte ſich nicht ſatt ſehen an ſeinem wundervol-
len Farbenſpiel, an ſeinen regelmäßigen Formen, an ſeiner
*) Moſe II. c. 16, 12.
**) Moſe II. 24, 10, 11. Tantum abest, bemerkt ein Exeget, ut mor-
tui sint, ut contra convivium hilares celebrarint.
***) Moſe I. c. 28, 20.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/163>, abgerufen am 04.12.2024.
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