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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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"Vieh, Vögeln, von Gewürme und von Fischen." (I. Könige
4, 30--34.) Aber Salomo diente auch dem Jehovah nicht
mit ganzem Herzen; Salomo huldigte fremden Göttern und
Weibern; Salomo hatte also polytheistischen Sinn und
Geschmack. Der polytheistische Sinn ist die Grundlage
der Wissenschaft
. Naturstudium ist vom Standpunkt des
Jehovah aus Götzendienst; denn der Naturforscher vertieft
sich in den Gegenstand um des Gegenstandes willen; er wid-
met ihm enthusiastische, göttliche Verehrung. Kein Studium
ist wahr, fruchtbar, productiv ohne Enthusiasmus. Ein der
Wissenschaft unwürdiges, ein feiles Subject ist Jeder, dem sein
Gegenstand nicht der höchste, der absolute ist. Heilig muß
dem Menschen sein, was er zum wesentlichen Gegenstand
seines Lebens und Denkens macht. Heuchelei ist alle Wissen-
schaftlichkeit mit einer ihrem Gegenstande fremden Religiosität.
In der Wissenschaft gilt keine andre als die wissenschaft-
liche Frömmigkeit
-- die Pietät gegen die Wissenschaft, die
Gesinnung der Gründlichkeit, der Treue, der Aufrichtigkeit, der
Wahrhaftigkeit, mit welcher sich der Mensch seinem Gegen-
stande ergibt.

Eins nun mit dieser Bedeutung, welche die Natur überhaupt
für den Hebräer hatte, ist auch die Bedeutung ihres Ursprungs.
In der Art, wie ich mir die Genesis eines Dings erkläre, spreche
ich nur unverhohlen meine Meinung, meine Gesinnung von
demselben aus. Denke ich despectirlich davon, so denke ich mir
auch einen despectirlichen Ursprung. Das Ungeziefer, die In-
secten leiteten sonst die Menschen vom Aas und sonstigem Un-
rath ab. Nicht weil sie das Ungeziefer von einem so unappe-
titlichen Ursprung ableiteten, dachten sie so verächtlich davon,
sondern weil sie so dachten, weil ihnen ihr Wesen so verächt-

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„Vieh, Vögeln, von Gewürme und von Fiſchen.“ (I. Könige
4, 30—34.) Aber Salomo diente auch dem Jehovah nicht
mit ganzem Herzen; Salomo huldigte fremden Göttern und
Weibern; Salomo hatte alſo polytheiſtiſchen Sinn und
Geſchmack. Der polytheiſtiſche Sinn iſt die Grundlage
der Wiſſenſchaft
. Naturſtudium iſt vom Standpunkt des
Jehovah aus Götzendienſt; denn der Naturforſcher vertieft
ſich in den Gegenſtand um des Gegenſtandes willen; er wid-
met ihm enthuſiaſtiſche, göttliche Verehrung. Kein Studium
iſt wahr, fruchtbar, productiv ohne Enthuſiasmus. Ein der
Wiſſenſchaft unwürdiges, ein feiles Subject iſt Jeder, dem ſein
Gegenſtand nicht der höchſte, der abſolute iſt. Heilig muß
dem Menſchen ſein, was er zum weſentlichen Gegenſtand
ſeines Lebens und Denkens macht. Heuchelei iſt alle Wiſſen-
ſchaftlichkeit mit einer ihrem Gegenſtande fremden Religioſität.
In der Wiſſenſchaft gilt keine andre als die wiſſenſchaft-
liche Frömmigkeit
— die Pietät gegen die Wiſſenſchaft, die
Geſinnung der Gründlichkeit, der Treue, der Aufrichtigkeit, der
Wahrhaftigkeit, mit welcher ſich der Menſch ſeinem Gegen-
ſtande ergibt.

Eins nun mit dieſer Bedeutung, welche die Natur überhaupt
für den Hebräer hatte, iſt auch die Bedeutung ihres Urſprungs.
In der Art, wie ich mir die Geneſis eines Dings erkläre, ſpreche
ich nur unverhohlen meine Meinung, meine Geſinnung von
demſelben aus. Denke ich deſpectirlich davon, ſo denke ich mir
auch einen deſpectirlichen Urſprung. Das Ungeziefer, die In-
ſecten leiteten ſonſt die Menſchen vom Aas und ſonſtigem Un-
rath ab. Nicht weil ſie das Ungeziefer von einem ſo unappe-
titlichen Urſprung ableiteten, dachten ſie ſo verächtlich davon,
ſondern weil ſie ſo dachten, weil ihnen ihr Weſen ſo verächt-

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[147/0165] „Vieh, Vögeln, von Gewürme und von Fiſchen.“ (I. Könige 4, 30—34.) Aber Salomo diente auch dem Jehovah nicht mit ganzem Herzen; Salomo huldigte fremden Göttern und Weibern; Salomo hatte alſo polytheiſtiſchen Sinn und Geſchmack. Der polytheiſtiſche Sinn iſt die Grundlage der Wiſſenſchaft. Naturſtudium iſt vom Standpunkt des Jehovah aus Götzendienſt; denn der Naturforſcher vertieft ſich in den Gegenſtand um des Gegenſtandes willen; er wid- met ihm enthuſiaſtiſche, göttliche Verehrung. Kein Studium iſt wahr, fruchtbar, productiv ohne Enthuſiasmus. Ein der Wiſſenſchaft unwürdiges, ein feiles Subject iſt Jeder, dem ſein Gegenſtand nicht der höchſte, der abſolute iſt. Heilig muß dem Menſchen ſein, was er zum weſentlichen Gegenſtand ſeines Lebens und Denkens macht. Heuchelei iſt alle Wiſſen- ſchaftlichkeit mit einer ihrem Gegenſtande fremden Religioſität. In der Wiſſenſchaft gilt keine andre als die wiſſenſchaft- liche Frömmigkeit — die Pietät gegen die Wiſſenſchaft, die Geſinnung der Gründlichkeit, der Treue, der Aufrichtigkeit, der Wahrhaftigkeit, mit welcher ſich der Menſch ſeinem Gegen- ſtande ergibt. Eins nun mit dieſer Bedeutung, welche die Natur überhaupt für den Hebräer hatte, iſt auch die Bedeutung ihres Urſprungs. In der Art, wie ich mir die Geneſis eines Dings erkläre, ſpreche ich nur unverhohlen meine Meinung, meine Geſinnung von demſelben aus. Denke ich deſpectirlich davon, ſo denke ich mir auch einen deſpectirlichen Urſprung. Das Ungeziefer, die In- ſecten leiteten ſonſt die Menſchen vom Aas und ſonſtigem Un- rath ab. Nicht weil ſie das Ungeziefer von einem ſo unappe- titlichen Urſprung ableiteten, dachten ſie ſo verächtlich davon, ſondern weil ſie ſo dachten, weil ihnen ihr Weſen ſo verächt- 10*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/165>, abgerufen am 04.12.2024.