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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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auf ihren Anfang zurück. Aber die Wunderthätigkeit unter-
scheidet sich dadurch von der gemeinen Verwirklichung des
Zwecks, daß sie einen Zweck ohne Mittel realisirt, daß sie
eine unmittelbare Identität des Wunsches und der Er-
füllung
bewirkt, daß sie folglich einen Kreis beschreibt, aber
nicht in krummer, sondern in gerader, folglich der kürzesten
Linie. Ein Kreis in gerader Linie ist das mathematische Sinn-
und Ebenbild des Wunders. So lächerlich es daher wäre,
einen Kreis in gerader Linie construiren zu wollen, so lächer-
lich ist es, das Wunder philosophisch deduciren zu wollen.
Das Wunder ist für die Vernunft sinnlos, undenkbar, so un-
denkbar als ein hölzernes Eisen, ein Kreis ohne Peripherie.
Ehe man die Möglichkeit bespricht, ob ein Wunder geschehen
kann, zeige man die Möglichkeit, ob das Wunder, d. h. das
Undenkbare denkbar ist.

Was dem Menschen die Einbildung der Denkbarkeit des
Wunders beibringt, ist, daß das Wunder als eine sinnliche
Begebenheit vorgestellt wird und der Mensch daher seine Ver-
nunft durch, zwischen den Widerspruch sich einschiebende, sinn-
liche Vorstellungen täuscht. Das Wunder der Verwandlung
des Wassers in Wein z. B. sagt in Wahrheit nichts andres
als: Wasser ist Wein, nichts andres als die Identität zweier
sich absolut widersprechender Prädicate oder Subjecte; denn in
der Hand des Wunderthäters ist kein Unterschied zwischen
beiden Substanzen; die Verwandlung ist nur die sinnliche Er-
scheinung von dieser Identität des sich Widersprechenden. Aber
die Verwandlung verhüllt den Widerspruch, weil die natür-
liche Vorstellung der Veränderung sich dazwischen einschiebt.
Allein es ist ja keine allmählige, keine natürliche, so zu sagen
organische, sondern eine absolute, stofflose Verwandlung --

auf ihren Anfang zurück. Aber die Wunderthätigkeit unter-
ſcheidet ſich dadurch von der gemeinen Verwirklichung des
Zwecks, daß ſie einen Zweck ohne Mittel realiſirt, daß ſie
eine unmittelbare Identität des Wunſches und der Er-
füllung
bewirkt, daß ſie folglich einen Kreis beſchreibt, aber
nicht in krummer, ſondern in gerader, folglich der kürzeſten
Linie. Ein Kreis in gerader Linie iſt das mathematiſche Sinn-
und Ebenbild des Wunders. So lächerlich es daher wäre,
einen Kreis in gerader Linie conſtruiren zu wollen, ſo lächer-
lich iſt es, das Wunder philoſophiſch deduciren zu wollen.
Das Wunder iſt für die Vernunft ſinnlos, undenkbar, ſo un-
denkbar als ein hölzernes Eiſen, ein Kreis ohne Peripherie.
Ehe man die Möglichkeit beſpricht, ob ein Wunder geſchehen
kann, zeige man die Möglichkeit, ob das Wunder, d. h. das
Undenkbare denkbar iſt.

Was dem Menſchen die Einbildung der Denkbarkeit des
Wunders beibringt, iſt, daß das Wunder als eine ſinnliche
Begebenheit vorgeſtellt wird und der Menſch daher ſeine Ver-
nunft durch, zwiſchen den Widerſpruch ſich einſchiebende, ſinn-
liche Vorſtellungen täuſcht. Das Wunder der Verwandlung
des Waſſers in Wein z. B. ſagt in Wahrheit nichts andres
als: Waſſer iſt Wein, nichts andres als die Identität zweier
ſich abſolut widerſprechender Prädicate oder Subjecte; denn in
der Hand des Wunderthäters iſt kein Unterſchied zwiſchen
beiden Subſtanzen; die Verwandlung iſt nur die ſinnliche Er-
ſcheinung von dieſer Identität des ſich Widerſprechenden. Aber
die Verwandlung verhüllt den Widerſpruch, weil die natür-
liche Vorſtellung der Veränderung ſich dazwiſchen einſchiebt.
Allein es iſt ja keine allmählige, keine natürliche, ſo zu ſagen
organiſche, ſondern eine abſolute, ſtoffloſe Verwandlung —

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[169/0187] auf ihren Anfang zurück. Aber die Wunderthätigkeit unter- ſcheidet ſich dadurch von der gemeinen Verwirklichung des Zwecks, daß ſie einen Zweck ohne Mittel realiſirt, daß ſie eine unmittelbare Identität des Wunſches und der Er- füllung bewirkt, daß ſie folglich einen Kreis beſchreibt, aber nicht in krummer, ſondern in gerader, folglich der kürzeſten Linie. Ein Kreis in gerader Linie iſt das mathematiſche Sinn- und Ebenbild des Wunders. So lächerlich es daher wäre, einen Kreis in gerader Linie conſtruiren zu wollen, ſo lächer- lich iſt es, das Wunder philoſophiſch deduciren zu wollen. Das Wunder iſt für die Vernunft ſinnlos, undenkbar, ſo un- denkbar als ein hölzernes Eiſen, ein Kreis ohne Peripherie. Ehe man die Möglichkeit beſpricht, ob ein Wunder geſchehen kann, zeige man die Möglichkeit, ob das Wunder, d. h. das Undenkbare denkbar iſt. Was dem Menſchen die Einbildung der Denkbarkeit des Wunders beibringt, iſt, daß das Wunder als eine ſinnliche Begebenheit vorgeſtellt wird und der Menſch daher ſeine Ver- nunft durch, zwiſchen den Widerſpruch ſich einſchiebende, ſinn- liche Vorſtellungen täuſcht. Das Wunder der Verwandlung des Waſſers in Wein z. B. ſagt in Wahrheit nichts andres als: Waſſer iſt Wein, nichts andres als die Identität zweier ſich abſolut widerſprechender Prädicate oder Subjecte; denn in der Hand des Wunderthäters iſt kein Unterſchied zwiſchen beiden Subſtanzen; die Verwandlung iſt nur die ſinnliche Er- ſcheinung von dieſer Identität des ſich Widerſprechenden. Aber die Verwandlung verhüllt den Widerſpruch, weil die natür- liche Vorſtellung der Veränderung ſich dazwiſchen einſchiebt. Allein es iſt ja keine allmählige, keine natürliche, ſo zu ſagen organiſche, ſondern eine abſolute, ſtoffloſe Verwandlung —

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/187>, abgerufen am 04.12.2024.