Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.eine reine creatio ex nihilo. In dem geheimniß- und Der Wunderact -- und das Wunder ist nur ein flüchti- *) Freilich ist diese Befriedigung -- eine Bemerkung, die sich übri-
gens von selbst versteht -- insofern beschränkt, als sie an die Religion, den Glauben an Gott gebunden ist. Aber diese Beschränkung ist in Wahr- heit keine Beschränkung, denn Gott selbst ist das unbeschränkte, das ab- solut befriedigte, in sich gesättigte Wesen des menschlichen Gemüthes. eine reine creatio ex nihilo. In dem geheimniß- und Der Wunderact — und das Wunder iſt nur ein flüchti- *) Freilich iſt dieſe Befriedigung — eine Bemerkung, die ſich übri-
gens von ſelbſt verſteht — inſofern beſchränkt, als ſie an die Religion, den Glauben an Gott gebunden iſt. Aber dieſe Beſchränkung iſt in Wahr- heit keine Beſchraͤnkung, denn Gott ſelbſt iſt das unbeſchränkte, das ab- ſolut befriedigte, in ſich geſättigte Weſen des menſchlichen Gemüthes. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0188" n="170"/> eine reine <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">creatio ex nihilo</hi>.</hi> In dem geheimniß- und<lb/> verhängnißvollen Wunderact, in dem Act, der das Wunder<lb/> zum <hi rendition="#g">Wunder</hi> macht, iſt urplötzlich, ununterſcheidbar Waſſer<lb/> Wein — was eben ſo viel ſagen will, als Eiſen iſt Holz oder<lb/> ein hölzernes Eiſen.</p><lb/> <p>Der Wunderact — und das Wunder iſt nur ein flüchti-<lb/> ger Act — iſt daher kein denkbarer, denn er hebt das Princip<lb/> der Denkbarkeit auf — aber eben ſo wenig ein Object des<lb/> Sinnes, ein Object wirklicher oder nur möglicher Erfahrung.<lb/> Waſſer iſt wohl Gegenſtand des Sinnes, auch Wein; ich ſehe<lb/> jetzt wohl Waſſer, hernach Wein; aber <hi rendition="#g">das Wunder</hi> ſelbſt,<lb/> das was dieſes Waſſer urplötzlich zum Wein macht, dieß iſt,<lb/> weil kein Naturproceß, ein reines Perfectum ohne vorherge-<lb/> hendes Imperfectum ohne Modus, ohne Mittel und Weiſe iſt,<lb/> kein Gegenſtand wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Das<lb/> Wunder iſt ein <hi rendition="#g">Ding der Einbildung</hi> — eben deßwegen<lb/> auch ſo <hi rendition="#g">gemüthlich</hi>, denn die Phantaſie iſt die dem ſubjec-<lb/> tiven Gemüthe allein entſprechende Thätigkeit, weil ſie alle<lb/> Schranken, alle Geſetze, welche dem Gemüthe wehethun, be-<lb/> ſeitigt, und ſo dem Menſchen die unmittelbare, ſchlechthin un-<lb/> beſchränkte Befriedigung ſeiner ſubjectivſten Wünſche vergegen-<lb/> ſtändlicht<note place="foot" n="*)">Freilich iſt dieſe Befriedigung — eine Bemerkung, die ſich übri-<lb/> gens von ſelbſt verſteht — inſofern beſchränkt, als ſie an die Religion, den<lb/> Glauben an Gott gebunden iſt. Aber dieſe Beſchränkung iſt in Wahr-<lb/> heit <hi rendition="#g">keine</hi> Beſchraͤnkung, denn Gott ſelbſt iſt das unbeſchränkte, das ab-<lb/> ſolut befriedigte, in ſich geſättigte Weſen des menſchlichen Gemüthes.</note>. Gemüthlichkeit iſt die weſentliche Eigenſchaft des<lb/> Wunders. Wohl macht auch das Wunder einen erhabnen,<lb/> erſchütternden Eindruck, inſofern als es eine Macht ausdrückt,<lb/> vor der nichts beſteht — die Macht der Phantaſie. Aber die-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [170/0188]
eine reine creatio ex nihilo. In dem geheimniß- und
verhängnißvollen Wunderact, in dem Act, der das Wunder
zum Wunder macht, iſt urplötzlich, ununterſcheidbar Waſſer
Wein — was eben ſo viel ſagen will, als Eiſen iſt Holz oder
ein hölzernes Eiſen.
Der Wunderact — und das Wunder iſt nur ein flüchti-
ger Act — iſt daher kein denkbarer, denn er hebt das Princip
der Denkbarkeit auf — aber eben ſo wenig ein Object des
Sinnes, ein Object wirklicher oder nur möglicher Erfahrung.
Waſſer iſt wohl Gegenſtand des Sinnes, auch Wein; ich ſehe
jetzt wohl Waſſer, hernach Wein; aber das Wunder ſelbſt,
das was dieſes Waſſer urplötzlich zum Wein macht, dieß iſt,
weil kein Naturproceß, ein reines Perfectum ohne vorherge-
hendes Imperfectum ohne Modus, ohne Mittel und Weiſe iſt,
kein Gegenſtand wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Das
Wunder iſt ein Ding der Einbildung — eben deßwegen
auch ſo gemüthlich, denn die Phantaſie iſt die dem ſubjec-
tiven Gemüthe allein entſprechende Thätigkeit, weil ſie alle
Schranken, alle Geſetze, welche dem Gemüthe wehethun, be-
ſeitigt, und ſo dem Menſchen die unmittelbare, ſchlechthin un-
beſchränkte Befriedigung ſeiner ſubjectivſten Wünſche vergegen-
ſtändlicht *). Gemüthlichkeit iſt die weſentliche Eigenſchaft des
Wunders. Wohl macht auch das Wunder einen erhabnen,
erſchütternden Eindruck, inſofern als es eine Macht ausdrückt,
vor der nichts beſteht — die Macht der Phantaſie. Aber die-
*) Freilich iſt dieſe Befriedigung — eine Bemerkung, die ſich übri-
gens von ſelbſt verſteht — inſofern beſchränkt, als ſie an die Religion, den
Glauben an Gott gebunden iſt. Aber dieſe Beſchränkung iſt in Wahr-
heit keine Beſchraͤnkung, denn Gott ſelbſt iſt das unbeſchränkte, das ab-
ſolut befriedigte, in ſich geſättigte Weſen des menſchlichen Gemüthes.
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