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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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ter, die keine Beschwerden leidet, die Mutter, die schon das
Kindlein auf den Armen trägt.

An und für sich ist die Jungfrauschaft im innersten Wesen
seines Geistes, seines Glaubens sein höchster Begriff, das
Cornu copiae seiner supranaturalistischen Gefühle und Vor-
stellungen, sein personificirtes Ehr- und Schamgefühl vor
der gemeinen Natur*). Aber zugleich regt sich doch auch
ein natürliches Gefühl in seiner Brust, das barmherzige
Gefühl der Mutterliebe. Was ist nun in dieser Herzensnoth,
in diesem Zwiespalt zwischen einem natürlichen und über-
oder widernatürlichen Gefühl zu thun? Der Supranatura-
list muß Beides verbinden, in einem und demselben Subjecte
zwei sich gegenseitig ausschließende Prädicate zusammenfas-
sen**). O welche Fülle gemüthlicher, holdseliger, übersinnlich
sinnlicher Gefühle liegt in dieser Verknüpfung!

Hier haben wir den Schlüssel zu dem Widerspruch im

*) Tantum denique abest incesti cupido, ut nonnullis rubori
sit etiam pudica conjunctio. M. Felicis Oct. c.
31. Der Pater
Gil war so außerordentlich keusch, daß er kein Weib von Gesicht kannte,
ja er fürchtete sich sogar, nur sich selbst anzufassen, se quoque ipsum
attingere quodammodo horrebat
.
Der Pater Coton hatte
einen so feinen Geruch in diesem Punkte, daß er bei Annäherung von
unkeuschen Personen einen unerträglichen Gestank wahrnahm. (Bayle
Dict. Art. Mariana Rem. C.
) Aber das oberste, das göttliche Princip
dieser hyperphysischen Delicatesse ist die Jungfrau Maria; daher sie
bei den Katholiken heißt: Virginum gloria, Virginitatis coro-
na, Virginitatis typus et forma puritatis, Virginum ve-
xillifera, Virginitatis magistra, Virginum prima, Virgi-
nitatis primiceria
.
**) Salve sancta parens, enixa puerpera Regem,
Gaudia matris habens cum Virginitatis honore.
(Theol. schol. Mezger T. IV. p. 132.)
12*

ter, die keine Beſchwerden leidet, die Mutter, die ſchon das
Kindlein auf den Armen trägt.

An und für ſich iſt die Jungfrauſchaft im innerſten Weſen
ſeines Geiſtes, ſeines Glaubens ſein höchſter Begriff, das
Cornu copiae ſeiner ſupranaturaliſtiſchen Gefühle und Vor-
ſtellungen, ſein perſonificirtes Ehr- und Schamgefühl vor
der gemeinen Natur*). Aber zugleich regt ſich doch auch
ein natürliches Gefühl in ſeiner Bruſt, das barmherzige
Gefühl der Mutterliebe. Was iſt nun in dieſer Herzensnoth,
in dieſem Zwieſpalt zwiſchen einem natürlichen und über-
oder widernatürlichen Gefühl zu thun? Der Supranatura-
liſt muß Beides verbinden, in einem und demſelben Subjecte
zwei ſich gegenſeitig ausſchließende Prädicate zuſammenfaſ-
ſen**). O welche Fülle gemüthlicher, holdſeliger, überſinnlich
ſinnlicher Gefühle liegt in dieſer Verknüpfung!

Hier haben wir den Schlüſſel zu dem Widerſpruch im

*) Tantum denique abest incesti cupido, ut nonnullis rubori
sit etiam pudica conjunctio. M. Felicis Oct. c.
31. Der Pater
Gil war ſo außerordentlich keuſch, daß er kein Weib von Geſicht kannte,
ja er fürchtete ſich ſogar, nur ſich ſelbſt anzufaſſen, se quoque ipsum
attingere quodammodo horrebat
.
Der Pater Coton hatte
einen ſo feinen Geruch in dieſem Punkte, daß er bei Annäherung von
unkeuſchen Perſonen einen unerträglichen Geſtank wahrnahm. (Bayle
Dict. Art. Mariana Rem. C.
) Aber das oberſte, das göttliche Princip
dieſer hyperphyſiſchen Delicateſſe iſt die Jungfrau Maria; daher ſie
bei den Katholiken heißt: Virginum gloria, Virginitatis coro-
na, Virginitatis typus et forma puritatis, Virginum ve-
xillifera, Virginitatis magistra, Virginum prima, Virgi-
nitatis primiceria
.
**) Salve sancta parens, enixa puerpera Regem,
Gaudia matris habens cum Virginitatis honore.
(Theol. schol. Mezger T. IV. p. 132.)
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[179/0197] ter, die keine Beſchwerden leidet, die Mutter, die ſchon das Kindlein auf den Armen trägt. An und für ſich iſt die Jungfrauſchaft im innerſten Weſen ſeines Geiſtes, ſeines Glaubens ſein höchſter Begriff, das Cornu copiae ſeiner ſupranaturaliſtiſchen Gefühle und Vor- ſtellungen, ſein perſonificirtes Ehr- und Schamgefühl vor der gemeinen Natur *). Aber zugleich regt ſich doch auch ein natürliches Gefühl in ſeiner Bruſt, das barmherzige Gefühl der Mutterliebe. Was iſt nun in dieſer Herzensnoth, in dieſem Zwieſpalt zwiſchen einem natürlichen und über- oder widernatürlichen Gefühl zu thun? Der Supranatura- liſt muß Beides verbinden, in einem und demſelben Subjecte zwei ſich gegenſeitig ausſchließende Prädicate zuſammenfaſ- ſen **). O welche Fülle gemüthlicher, holdſeliger, überſinnlich ſinnlicher Gefühle liegt in dieſer Verknüpfung! Hier haben wir den Schlüſſel zu dem Widerſpruch im *) Tantum denique abest incesti cupido, ut nonnullis rubori sit etiam pudica conjunctio. M. Felicis Oct. c. 31. Der Pater Gil war ſo außerordentlich keuſch, daß er kein Weib von Geſicht kannte, ja er fürchtete ſich ſogar, nur ſich ſelbſt anzufaſſen, se quoque ipsum attingere quodammodo horrebat. Der Pater Coton hatte einen ſo feinen Geruch in dieſem Punkte, daß er bei Annäherung von unkeuſchen Perſonen einen unerträglichen Geſtank wahrnahm. (Bayle Dict. Art. Mariana Rem. C.) Aber das oberſte, das göttliche Princip dieſer hyperphyſiſchen Delicateſſe iſt die Jungfrau Maria; daher ſie bei den Katholiken heißt: Virginum gloria, Virginitatis coro- na, Virginitatis typus et forma puritatis, Virginum ve- xillifera, Virginitatis magistra, Virginum prima, Virgi- nitatis primiceria. **) Salve sancta parens, enixa puerpera Regem, Gaudia matris habens cum Virginitatis honore. (Theol. schol. Mezger T. IV. p. 132.) 12*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/197>, abgerufen am 04.12.2024.