Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Katholicismus, daß zugleich die Ehe, zugleich die Ehelosigkeit
heilig ist. Der dogmatische Widerspruch der jungfräu-
lichen Mutter
oder mütterlichen Jungfrau ist hier nur als
ein praktischer Widerspruch verwirklicht. Aber gleichwohl
ist diese wunderbare, der Natur und Vernunft widersprechende,
dem Gemüthe und der Phantasie aber im höchsten Grade ent-
sprechende Verknüpfung der Jungferschaft und Mutterschaft
kein Product des Katholicismus; sie liegt selbst schon in der
zweideutigen Rolle, welche die Ehe in der Bibel, namentlich
im Sinne des Apostels Paulus spielt. Die Lehre von der
übernatürlichen Zeugung und Empfängniß Christi ist eine
wesentliche Lehre des Christenthums, eine Lehre, die sein
inneres dogmatisches Wesen ausspricht, die auf demselben
Fundament, wie alle übrigen Wunder und Glaubensartikel
beruht. So gut die Christen an dem Tode, den der Philo-
soph, der Naturforscher, der freie, objective Mensch überhaupt
für eine natürliche Nothwendigkeit erkennt, überhaupt an den
Gränzen der Natur, welche dem Gemüthe Schranken, der
Vernunft aber vernünftige Gesetze sind, Anstoß nahmen
und sie daher durch die Macht der Wunderthätigkeit beseitig-
ten, so gut mußten sie auch an dem Naturproceß der Zeugung
Anstoß nehmen und ihn durch die Wundermacht negiren. Und
wie die Auferstehung, so kommt auch die übernatürliche Geburt
Allen, nämlich Gläubigen, zu Gute; denn die Empfängniß der
Maria, als unbefleckt durch das männliche Sperma, welches
das eigentliche Contagium der Erbsünde ist, war ja der erste
Neinigungsact der sünden-, d. i. naturbeschmutzten Menschheit.
Nur weil der Theanthropos nicht angesteckt war von der Erb-
sünde, konnte Er, der Reine, die Menschheit reinigen in den
Augen Gottes, welchen der natürliche Zeugungsproceß ein

Katholicismus, daß zugleich die Ehe, zugleich die Eheloſigkeit
heilig iſt. Der dogmatiſche Widerſpruch der jungfräu-
lichen Mutter
oder mütterlichen Jungfrau iſt hier nur als
ein praktiſcher Widerſpruch verwirklicht. Aber gleichwohl
iſt dieſe wunderbare, der Natur und Vernunft widerſprechende,
dem Gemüthe und der Phantaſie aber im höchſten Grade ent-
ſprechende Verknüpfung der Jungferſchaft und Mutterſchaft
kein Product des Katholicismus; ſie liegt ſelbſt ſchon in der
zweideutigen Rolle, welche die Ehe in der Bibel, namentlich
im Sinne des Apoſtels Paulus ſpielt. Die Lehre von der
übernatürlichen Zeugung und Empfängniß Chriſti iſt eine
weſentliche Lehre des Chriſtenthums, eine Lehre, die ſein
inneres dogmatiſches Weſen ausſpricht, die auf demſelben
Fundament, wie alle übrigen Wunder und Glaubensartikel
beruht. So gut die Chriſten an dem Tode, den der Philo-
ſoph, der Naturforſcher, der freie, objective Menſch überhaupt
für eine natürliche Nothwendigkeit erkennt, überhaupt an den
Gränzen der Natur, welche dem Gemüthe Schranken, der
Vernunft aber vernünftige Geſetze ſind, Anſtoß nahmen
und ſie daher durch die Macht der Wunderthätigkeit beſeitig-
ten, ſo gut mußten ſie auch an dem Naturproceß der Zeugung
Anſtoß nehmen und ihn durch die Wundermacht negiren. Und
wie die Auferſtehung, ſo kommt auch die übernatürliche Geburt
Allen, nämlich Gläubigen, zu Gute; denn die Empfängniß der
Maria, als unbefleckt durch das männliche Sperma, welches
das eigentliche Contagium der Erbſünde iſt, war ja der erſte
Neinigungsact der ſünden-, d. i. naturbeſchmutzten Menſchheit.
Nur weil der Theanthropos nicht angeſteckt war von der Erb-
ſünde, konnte Er, der Reine, die Menſchheit reinigen in den
Augen Gottes, welchen der natürliche Zeugungsproceß ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="180"/>
Katholicismus, daß zugleich die Ehe, zugleich die Ehelo&#x017F;igkeit<lb/>
heilig i&#x017F;t. Der <hi rendition="#g">dogmati&#x017F;che Wider&#x017F;pruch</hi> der <hi rendition="#g">jungfräu-<lb/>
lichen Mutter</hi> oder mütterlichen Jungfrau i&#x017F;t hier nur als<lb/>
ein <hi rendition="#g">prakti&#x017F;cher Wider&#x017F;pruch</hi> verwirklicht. Aber gleichwohl<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;e wunderbare, der Natur und Vernunft wider&#x017F;prechende,<lb/>
dem Gemüthe und der Phanta&#x017F;ie aber im höch&#x017F;ten Grade ent-<lb/>
&#x017F;prechende Verknüpfung der Jungfer&#x017F;chaft und Mutter&#x017F;chaft<lb/>
kein Product des Katholicismus; &#x017F;ie liegt &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon in der<lb/>
zweideutigen Rolle, welche die Ehe in der Bibel, namentlich<lb/>
im Sinne des Apo&#x017F;tels Paulus &#x017F;pielt. Die Lehre von der<lb/>
übernatürlichen Zeugung und Empfängniß Chri&#x017F;ti i&#x017F;t eine<lb/><hi rendition="#g">we&#x017F;entliche</hi> Lehre des Chri&#x017F;tenthums, eine Lehre, die &#x017F;ein<lb/>
inneres dogmati&#x017F;ches We&#x017F;en aus&#x017F;pricht, die auf dem&#x017F;elben<lb/>
Fundament, wie alle übrigen Wunder und Glaubensartikel<lb/>
beruht. So gut die Chri&#x017F;ten an dem Tode, den der Philo-<lb/>
&#x017F;oph, der Naturfor&#x017F;cher, der freie, objective Men&#x017F;ch überhaupt<lb/>
für eine natürliche Nothwendigkeit erkennt, überhaupt an den<lb/>
Gränzen der Natur, welche dem Gemüthe Schranken, der<lb/>
Vernunft aber vernünftige Ge&#x017F;etze &#x017F;ind, An&#x017F;toß nahmen<lb/>
und &#x017F;ie daher durch die Macht der Wunderthätigkeit be&#x017F;eitig-<lb/>
ten, &#x017F;o gut mußten &#x017F;ie auch an dem Naturproceß der Zeugung<lb/>
An&#x017F;toß nehmen und ihn durch die Wundermacht negiren. Und<lb/>
wie die Aufer&#x017F;tehung, &#x017F;o kommt auch die übernatürliche Geburt<lb/>
Allen, nämlich Gläubigen, zu Gute; denn die Empfängniß der<lb/>
Maria, als unbefleckt durch das männliche Sperma, welches<lb/>
das eigentliche Contagium der Erb&#x017F;ünde i&#x017F;t, war ja der er&#x017F;te<lb/>
Neinigungsact der &#x017F;ünden-, d. i. naturbe&#x017F;chmutzten Men&#x017F;chheit.<lb/>
Nur weil der Theanthropos nicht ange&#x017F;teckt war von der Erb-<lb/>
&#x017F;ünde, konnte Er, der Reine, die Men&#x017F;chheit reinigen in den<lb/>
Augen Gottes, welchen der natürliche Zeugungsproceß ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0198] Katholicismus, daß zugleich die Ehe, zugleich die Eheloſigkeit heilig iſt. Der dogmatiſche Widerſpruch der jungfräu- lichen Mutter oder mütterlichen Jungfrau iſt hier nur als ein praktiſcher Widerſpruch verwirklicht. Aber gleichwohl iſt dieſe wunderbare, der Natur und Vernunft widerſprechende, dem Gemüthe und der Phantaſie aber im höchſten Grade ent- ſprechende Verknüpfung der Jungferſchaft und Mutterſchaft kein Product des Katholicismus; ſie liegt ſelbſt ſchon in der zweideutigen Rolle, welche die Ehe in der Bibel, namentlich im Sinne des Apoſtels Paulus ſpielt. Die Lehre von der übernatürlichen Zeugung und Empfängniß Chriſti iſt eine weſentliche Lehre des Chriſtenthums, eine Lehre, die ſein inneres dogmatiſches Weſen ausſpricht, die auf demſelben Fundament, wie alle übrigen Wunder und Glaubensartikel beruht. So gut die Chriſten an dem Tode, den der Philo- ſoph, der Naturforſcher, der freie, objective Menſch überhaupt für eine natürliche Nothwendigkeit erkennt, überhaupt an den Gränzen der Natur, welche dem Gemüthe Schranken, der Vernunft aber vernünftige Geſetze ſind, Anſtoß nahmen und ſie daher durch die Macht der Wunderthätigkeit beſeitig- ten, ſo gut mußten ſie auch an dem Naturproceß der Zeugung Anſtoß nehmen und ihn durch die Wundermacht negiren. Und wie die Auferſtehung, ſo kommt auch die übernatürliche Geburt Allen, nämlich Gläubigen, zu Gute; denn die Empfängniß der Maria, als unbefleckt durch das männliche Sperma, welches das eigentliche Contagium der Erbſünde iſt, war ja der erſte Neinigungsact der ſünden-, d. i. naturbeſchmutzten Menſchheit. Nur weil der Theanthropos nicht angeſteckt war von der Erb- ſünde, konnte Er, der Reine, die Menſchheit reinigen in den Augen Gottes, welchen der natürliche Zeugungsproceß ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/198
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/198>, abgerufen am 04.12.2024.