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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Nicht so der Katholicismus. Die übernatürlichen Glaubens-
principien waren ihm zugleich übernatürliche Moralprin-
cipien
. Eben deßwegen weil das Mysterium der Virgo
Deipara
bei den Protestanten nur noch in der Theorie oder
vielmehr in der Dogmatik, aber nicht mehr in praxi galt, sag-
ten sie, daß man sich nicht vorsichtig, nicht zurückhaltend genug
darüber ausdrücken könne, daß man es durchaus nicht zu
einem Object der Speculation machen dürfe. Was man
praktisch negirt, hat keinen wahren Grund und Bestand mehr
im Menschen, ist nur noch ein Gespenst der Vorstellung.
Deßhalb verbirgt, entzieht man es dem Verstande. Gespen-
ster vertragen nicht das Tageslicht.

Selbst auch die spätere, übrigens schon in einem Briefe
an den heiligen Bernhard, der sie aber verwirft, ausgespro-
chene, Glaubensvorstellung, daß auch die Maria unbefleckt ohne
Erbsünde empfangen worden sei, ist keineswegs eine "son-
derbare Schulmeinung
," wie sie Ranke in seiner Ge-
schichte der Reformation nennt. Sie ergab sich vielmehr aus
einer natürlichen Folgerung und einer frommen dankbaren
Gesinnung gegen die Mutter Gottes. Was ein Wunder,
was Gott gebiert, muß selbst wunderbaren, göttlichen Ur-
sprungs und Wesens sein. Wie hätte Maria die Ehre ha-
ben können vom heiligen Geiste beschattet zu werden, wenn
sie nicht vorher schon von Hause aus wäre purificirt worden?
Konnte der heil. Geist in einem von der Erbsünde besudelten
Leibe Wohnung nehmen? Wenn ihr das Princip des Chri-
stenthums, die heil- und wundervolle Geburt des Heilands
nicht sonderbar findet -- o! so findet doch auch die naiven,
einfältigen, gutmüthigen Folgerungen des Katholicismus nicht
sonderbar.

Nicht ſo der Katholicismus. Die übernatürlichen Glaubens-
principien waren ihm zugleich übernatürliche Moralprin-
cipien
. Eben deßwegen weil das Myſterium der Virgo
Deipara
bei den Proteſtanten nur noch in der Theorie oder
vielmehr in der Dogmatik, aber nicht mehr in praxi galt, ſag-
ten ſie, daß man ſich nicht vorſichtig, nicht zurückhaltend genug
darüber ausdrücken könne, daß man es durchaus nicht zu
einem Object der Speculation machen dürfe. Was man
praktiſch negirt, hat keinen wahren Grund und Beſtand mehr
im Menſchen, iſt nur noch ein Geſpenſt der Vorſtellung.
Deßhalb verbirgt, entzieht man es dem Verſtande. Geſpen-
ſter vertragen nicht das Tageslicht.

Selbſt auch die ſpätere, übrigens ſchon in einem Briefe
an den heiligen Bernhard, der ſie aber verwirft, ausgeſpro-
chene, Glaubensvorſtellung, daß auch die Maria unbefleckt ohne
Erbſünde empfangen worden ſei, iſt keineswegs eine „ſon-
derbare Schulmeinung
,“ wie ſie Ranke in ſeiner Ge-
ſchichte der Reformation nennt. Sie ergab ſich vielmehr aus
einer natürlichen Folgerung und einer frommen dankbaren
Geſinnung gegen die Mutter Gottes. Was ein Wunder,
was Gott gebiert, muß ſelbſt wunderbaren, göttlichen Ur-
ſprungs und Weſens ſein. Wie hätte Maria die Ehre ha-
ben können vom heiligen Geiſte beſchattet zu werden, wenn
ſie nicht vorher ſchon von Hauſe aus wäre purificirt worden?
Konnte der heil. Geiſt in einem von der Erbſünde beſudelten
Leibe Wohnung nehmen? Wenn ihr das Princip des Chri-
ſtenthums, die heil- und wundervolle Geburt des Heilands
nicht ſonderbar findet — o! ſo findet doch auch die naiven,
einfältigen, gutmüthigen Folgerungen des Katholicismus nicht
ſonderbar.

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[182/0200] Nicht ſo der Katholicismus. Die übernatürlichen Glaubens- principien waren ihm zugleich übernatürliche Moralprin- cipien. Eben deßwegen weil das Myſterium der Virgo Deipara bei den Proteſtanten nur noch in der Theorie oder vielmehr in der Dogmatik, aber nicht mehr in praxi galt, ſag- ten ſie, daß man ſich nicht vorſichtig, nicht zurückhaltend genug darüber ausdrücken könne, daß man es durchaus nicht zu einem Object der Speculation machen dürfe. Was man praktiſch negirt, hat keinen wahren Grund und Beſtand mehr im Menſchen, iſt nur noch ein Geſpenſt der Vorſtellung. Deßhalb verbirgt, entzieht man es dem Verſtande. Geſpen- ſter vertragen nicht das Tageslicht. Selbſt auch die ſpätere, übrigens ſchon in einem Briefe an den heiligen Bernhard, der ſie aber verwirft, ausgeſpro- chene, Glaubensvorſtellung, daß auch die Maria unbefleckt ohne Erbſünde empfangen worden ſei, iſt keineswegs eine „ſon- derbare Schulmeinung,“ wie ſie Ranke in ſeiner Ge- ſchichte der Reformation nennt. Sie ergab ſich vielmehr aus einer natürlichen Folgerung und einer frommen dankbaren Geſinnung gegen die Mutter Gottes. Was ein Wunder, was Gott gebiert, muß ſelbſt wunderbaren, göttlichen Ur- ſprungs und Weſens ſein. Wie hätte Maria die Ehre ha- ben können vom heiligen Geiſte beſchattet zu werden, wenn ſie nicht vorher ſchon von Hauſe aus wäre purificirt worden? Konnte der heil. Geiſt in einem von der Erbſünde beſudelten Leibe Wohnung nehmen? Wenn ihr das Princip des Chri- ſtenthums, die heil- und wundervolle Geburt des Heilands nicht ſonderbar findet — o! ſo findet doch auch die naiven, einfältigen, gutmüthigen Folgerungen des Katholicismus nicht ſonderbar.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/200>, abgerufen am 04.12.2024.