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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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daß daher das Tugendbild wohl tugendhafte Handlungen zur
Folge hat, aber ohne die Gesinnungen und Beweggründe der
Tugend. Aber dieser einfache und wahre Sinn von der erlö-
senden und versöhnenden Macht des Beispiels im Unterschiede
von der Macht des Gesetzes, auf welchen wir reducirten den
Gegensatz von Gesetz und Christus, ist keineswegs der volle
erschöpfende Sinn der religiösen oder dogmatischen Erlösung
und Versöhnung. Hier reducirt sich Alles auf die persönliche
Kraft jenes wunderbaren Mittelwesens, welches weder Gott,
noch Mensch allein, sondern ein Mensch ist, der zugleich Gott
und ein Gott, der zugleich Mensch ist, und welches daher nur
im Zusammenhang mit der Bedeutung des Wunders begrif-
fen werden kann*). Das Wunder ist der realisirte Wunsch
des Menschen, frei zu sein von den Bedingungen, Schranken,
Gesetzen, an welche der Vernunft und Natur nach die Befrie-
digung der physischen Bedürfnisse geknüpft ist; der wunderbare
Erlöser ist der realisirte Wunsch des Gemüths, frei zu sein von
den Gesetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an
welche die Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden ist,
der realisirte Wunsch, von den moralischen Uebeln augen-
blicklich, unmittelbar, mit einem Zauberschlag, d. h. auf abso-
lut subjective, gemüthliche Weise erlöst zu werden. Der höchste
Selbstgenuß der Subjectivität, die höchste Selbstgewißheit des
Menschen überhaupt ist, daß Gott für ihn handelt, für ihn
leidet, für ihn sich opfert.

*) Die Theologen beschränkten zwar den Ausdruck mesos, mesites,
medius, mediator nur auf das Munus und Officium Christi. Aber
gleichwohl ist in seiner Substanz die menschliche und göttliche Natur
auf eine mystische, d. i. wunderbare Weise verknüpft. (S. hierüber im
Anhang.) Wie hätte er auch dieses vermittelnde Amt übernehmen
können, wenn er nicht seiner Natur nach ein Mittelwesen wäre?

daß daher das Tugendbild wohl tugendhafte Handlungen zur
Folge hat, aber ohne die Geſinnungen und Beweggründe der
Tugend. Aber dieſer einfache und wahre Sinn von der erlö-
ſenden und verſöhnenden Macht des Beiſpiels im Unterſchiede
von der Macht des Geſetzes, auf welchen wir reducirten den
Gegenſatz von Geſetz und Chriſtus, iſt keineswegs der volle
erſchöpfende Sinn der religiöſen oder dogmatiſchen Erlöſung
und Verſöhnung. Hier reducirt ſich Alles auf die perſönliche
Kraft jenes wunderbaren Mittelweſens, welches weder Gott,
noch Menſch allein, ſondern ein Menſch iſt, der zugleich Gott
und ein Gott, der zugleich Menſch iſt, und welches daher nur
im Zuſammenhang mit der Bedeutung des Wunders begrif-
fen werden kann*). Das Wunder iſt der realiſirte Wunſch
des Menſchen, frei zu ſein von den Bedingungen, Schranken,
Geſetzen, an welche der Vernunft und Natur nach die Befrie-
digung der phyſiſchen Bedürfniſſe geknüpft iſt; der wunderbare
Erlöſer iſt der realiſirte Wunſch des Gemüths, frei zu ſein von
den Geſetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an
welche die Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden iſt,
der realiſirte Wunſch, von den moraliſchen Uebeln augen-
blicklich, unmittelbar, mit einem Zauberſchlag, d. h. auf abſo-
lut ſubjective, gemüthliche Weiſe erlöſt zu werden. Der höchſte
Selbſtgenuß der Subjectivität, die höchſte Selbſtgewißheit des
Menſchen überhaupt iſt, daß Gott für ihn handelt, für ihn
leidet, für ihn ſich opfert.

*) Die Theologen beſchränkten zwar den Ausdruck μέσος, μεσίτης,
medius, mediator nur auf das Munus und Officium Christi. Aber
gleichwohl iſt in ſeiner Subſtanz die menſchliche und göttliche Natur
auf eine myſtiſche, d. i. wunderbare Weiſe verknüpft. (S. hierüber im
Anhang.) Wie hätte er auch dieſes vermittelnde Amt übernehmen
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[187/0205] daß daher das Tugendbild wohl tugendhafte Handlungen zur Folge hat, aber ohne die Geſinnungen und Beweggründe der Tugend. Aber dieſer einfache und wahre Sinn von der erlö- ſenden und verſöhnenden Macht des Beiſpiels im Unterſchiede von der Macht des Geſetzes, auf welchen wir reducirten den Gegenſatz von Geſetz und Chriſtus, iſt keineswegs der volle erſchöpfende Sinn der religiöſen oder dogmatiſchen Erlöſung und Verſöhnung. Hier reducirt ſich Alles auf die perſönliche Kraft jenes wunderbaren Mittelweſens, welches weder Gott, noch Menſch allein, ſondern ein Menſch iſt, der zugleich Gott und ein Gott, der zugleich Menſch iſt, und welches daher nur im Zuſammenhang mit der Bedeutung des Wunders begrif- fen werden kann *). Das Wunder iſt der realiſirte Wunſch des Menſchen, frei zu ſein von den Bedingungen, Schranken, Geſetzen, an welche der Vernunft und Natur nach die Befrie- digung der phyſiſchen Bedürfniſſe geknüpft iſt; der wunderbare Erlöſer iſt der realiſirte Wunſch des Gemüths, frei zu ſein von den Geſetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an welche die Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden iſt, der realiſirte Wunſch, von den moraliſchen Uebeln augen- blicklich, unmittelbar, mit einem Zauberſchlag, d. h. auf abſo- lut ſubjective, gemüthliche Weiſe erlöſt zu werden. Der höchſte Selbſtgenuß der Subjectivität, die höchſte Selbſtgewißheit des Menſchen überhaupt iſt, daß Gott für ihn handelt, für ihn leidet, für ihn ſich opfert. *) Die Theologen beſchränkten zwar den Ausdruck μέσος, μεσίτης, medius, mediator nur auf das Munus und Officium Christi. Aber gleichwohl iſt in ſeiner Subſtanz die menſchliche und göttliche Natur auf eine myſtiſche, d. i. wunderbare Weiſe verknüpft. (S. hierüber im Anhang.) Wie hätte er auch dieſes vermittelnde Amt übernehmen können, wenn er nicht ſeiner Natur nach ein Mittelweſen wäre?

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/205>, abgerufen am 04.12.2024.