Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist Selbstbetrug, das Mönchthum nur aus dem Orient
ableiten zu wollen. Wenigstens muß man, wenn diese Ab-
leitung gelten soll, dann auch so gerecht sein und die dem
Mönchthum entgegengesetzte Tendenz der Christenheit nicht
aus dem Christenthum, sondern aus dem Geiste, aus der Na-
tur des Occidents überhaupt ableiten. Aber wie erklärt sich
dann die Begeisterung des Abendlandes für das Mönchsleben?
Das Mönchthum muß vielmehr geradezu aus dem Christen-
thum selbst abgeleitet werden: es war eine nothwendige
Folge
von dem Glauben an den Himmel, welchen das
Christenthum der Menschheit verhieß. Wo das himmlische
Leben eine Wahrheit, da ist das irdische Leben eine Lüge --
wo Alles die Phantasie, die Wirklichkeit Nichts. Wer ein
ewiges himmlisches Leben glaubt, dem verliert dieses Leben
seinen Werth. Oder vielmehr es hat schon seinen Werth ver-
loren: der Glaube an das himmlische Leben ist eben der Glaube
an die Nichtigkeit und Werthlosigkeit dieses Lebens.
Das Jenseits kann ich mir nicht vorstellen, ohne mich nach
ihm zu sehnen, ohne mit einem Blicke des Mitleids oder der
Verachtung auf dieses erbärmliche Leben herabzuschauen. Das
himmlische Leben kann kein Gegenstand, kein Gesetz des Glau-
bens
sein, ohne zugleich ein Gesetz der Moral zu sein: es
muß meine Handlungen bestimmen *), wenn anders mein
Leben mit meinem Glauben übereinstimmen
soll: ich
darf mich nicht hängen an die vergänglichen Dinge dieser
Erde. Ich darf nicht, aber ich mag auch nicht, denn was

elementis hujus mundi, abscondere vitam in Deo. Am-
brosius
. Liber de fuga seculi. c. 2. 4. 7.
*) Eo dirigendus est spiritus quo aliquando est iturus.
Meditat. sacrae Joh. Gerhardi
. Med. 46.

Es iſt Selbſtbetrug, das Mönchthum nur aus dem Orient
ableiten zu wollen. Wenigſtens muß man, wenn dieſe Ab-
leitung gelten ſoll, dann auch ſo gerecht ſein und die dem
Mönchthum entgegengeſetzte Tendenz der Chriſtenheit nicht
aus dem Chriſtenthum, ſondern aus dem Geiſte, aus der Na-
tur des Occidents überhaupt ableiten. Aber wie erklärt ſich
dann die Begeiſterung des Abendlandes für das Mönchsleben?
Das Mönchthum muß vielmehr geradezu aus dem Chriſten-
thum ſelbſt abgeleitet werden: es war eine nothwendige
Folge
von dem Glauben an den Himmel, welchen das
Chriſtenthum der Menſchheit verhieß. Wo das himmliſche
Leben eine Wahrheit, da iſt das irdiſche Leben eine Lüge —
wo Alles die Phantaſie, die Wirklichkeit Nichts. Wer ein
ewiges himmliſches Leben glaubt, dem verliert dieſes Leben
ſeinen Werth. Oder vielmehr es hat ſchon ſeinen Werth ver-
loren: der Glaube an das himmliſche Leben iſt eben der Glaube
an die Nichtigkeit und Werthloſigkeit dieſes Lebens.
Das Jenſeits kann ich mir nicht vorſtellen, ohne mich nach
ihm zu ſehnen, ohne mit einem Blicke des Mitleids oder der
Verachtung auf dieſes erbärmliche Leben herabzuſchauen. Das
himmliſche Leben kann kein Gegenſtand, kein Geſetz des Glau-
bens
ſein, ohne zugleich ein Geſetz der Moral zu ſein: es
muß meine Handlungen beſtimmen *), wenn anders mein
Leben mit meinem Glauben übereinſtimmen
ſoll: ich
darf mich nicht hängen an die vergänglichen Dinge dieſer
Erde. Ich darf nicht, aber ich mag auch nicht, denn was

elementis hujus mundi, abscondere vitam in Deo. Am-
brosius
. Liber de fuga seculi. c. 2. 4. 7.
*) Eo dirigendus est spiritus quo aliquando est iturus.
Meditat. sacrae Joh. Gerhardi
. Med. 46.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0232" n="214"/>
          <p>Es i&#x017F;t Selb&#x017F;tbetrug, das Mönchthum nur aus dem Orient<lb/>
ableiten zu wollen. Wenig&#x017F;tens muß man, wenn die&#x017F;e Ab-<lb/>
leitung gelten &#x017F;oll, dann auch &#x017F;o gerecht &#x017F;ein und die dem<lb/>
Mönchthum entgegenge&#x017F;etzte Tendenz der Chri&#x017F;tenheit nicht<lb/>
aus dem Chri&#x017F;tenthum, &#x017F;ondern aus dem Gei&#x017F;te, aus der Na-<lb/>
tur des Occidents überhaupt ableiten. Aber wie erklärt &#x017F;ich<lb/>
dann die Begei&#x017F;terung des Abendlandes für das Mönchsleben?<lb/>
Das Mönchthum muß vielmehr geradezu aus dem Chri&#x017F;ten-<lb/>
thum &#x017F;elb&#x017F;t abgeleitet werden: es war eine <hi rendition="#g">nothwendige<lb/>
Folge</hi> von dem <hi rendition="#g">Glauben an den Himmel</hi>, welchen das<lb/>
Chri&#x017F;tenthum der Men&#x017F;chheit verhieß. Wo das himmli&#x017F;che<lb/>
Leben eine Wahrheit, da i&#x017F;t das irdi&#x017F;che Leben eine Lüge &#x2014;<lb/>
wo Alles die Phanta&#x017F;ie, die Wirklichkeit Nichts. Wer ein<lb/>
ewiges himmli&#x017F;ches Leben glaubt, dem verliert die&#x017F;es Leben<lb/>
&#x017F;einen Werth. Oder vielmehr es hat &#x017F;chon &#x017F;einen Werth ver-<lb/>
loren: der Glaube an das himmli&#x017F;che Leben i&#x017F;t eben der Glaube<lb/>
an die <hi rendition="#g">Nichtigkeit</hi> und <hi rendition="#g">Werthlo&#x017F;igkeit die&#x017F;es Lebens</hi>.<lb/>
Das Jen&#x017F;eits kann ich mir nicht <hi rendition="#g">vor&#x017F;tellen</hi>, ohne mich nach<lb/>
ihm zu <hi rendition="#g">&#x017F;ehnen</hi>, ohne mit einem Blicke des Mitleids oder der<lb/>
Verachtung auf die&#x017F;es erbärmliche Leben herabzu&#x017F;chauen. Das<lb/>
himmli&#x017F;che Leben kann kein Gegen&#x017F;tand, kein <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz des Glau-<lb/>
bens</hi> &#x017F;ein, ohne zugleich ein <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz der Moral</hi> zu &#x017F;ein: es<lb/>
muß meine Handlungen be&#x017F;timmen <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Eo <hi rendition="#g">dirigendus est spiritus quo aliquando est iturus.<lb/>
Meditat. sacrae Joh. Gerhardi</hi>. Med. 46.</hi></note>, wenn anders <hi rendition="#g">mein<lb/>
Leben mit meinem Glauben überein&#x017F;timmen</hi> &#x017F;oll: ich<lb/><hi rendition="#g">darf</hi> mich nicht hängen an die vergänglichen Dinge die&#x017F;er<lb/>
Erde. Ich darf nicht, aber ich <hi rendition="#g">mag</hi> auch nicht, denn was<lb/><note xml:id="note-0232" prev="#note-0231" place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">elementis hujus mundi, abscondere vitam in Deo. Am-<lb/>
brosius</hi>. Liber de fuga seculi. c. 2. 4. 7.</hi></note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0232] Es iſt Selbſtbetrug, das Mönchthum nur aus dem Orient ableiten zu wollen. Wenigſtens muß man, wenn dieſe Ab- leitung gelten ſoll, dann auch ſo gerecht ſein und die dem Mönchthum entgegengeſetzte Tendenz der Chriſtenheit nicht aus dem Chriſtenthum, ſondern aus dem Geiſte, aus der Na- tur des Occidents überhaupt ableiten. Aber wie erklärt ſich dann die Begeiſterung des Abendlandes für das Mönchsleben? Das Mönchthum muß vielmehr geradezu aus dem Chriſten- thum ſelbſt abgeleitet werden: es war eine nothwendige Folge von dem Glauben an den Himmel, welchen das Chriſtenthum der Menſchheit verhieß. Wo das himmliſche Leben eine Wahrheit, da iſt das irdiſche Leben eine Lüge — wo Alles die Phantaſie, die Wirklichkeit Nichts. Wer ein ewiges himmliſches Leben glaubt, dem verliert dieſes Leben ſeinen Werth. Oder vielmehr es hat ſchon ſeinen Werth ver- loren: der Glaube an das himmliſche Leben iſt eben der Glaube an die Nichtigkeit und Werthloſigkeit dieſes Lebens. Das Jenſeits kann ich mir nicht vorſtellen, ohne mich nach ihm zu ſehnen, ohne mit einem Blicke des Mitleids oder der Verachtung auf dieſes erbärmliche Leben herabzuſchauen. Das himmliſche Leben kann kein Gegenſtand, kein Geſetz des Glau- bens ſein, ohne zugleich ein Geſetz der Moral zu ſein: es muß meine Handlungen beſtimmen *), wenn anders mein Leben mit meinem Glauben übereinſtimmen ſoll: ich darf mich nicht hängen an die vergänglichen Dinge dieſer Erde. Ich darf nicht, aber ich mag auch nicht, denn was *) *) Eo dirigendus est spiritus quo aliquando est iturus. Meditat. sacrae Joh. Gerhardi. Med. 46. *) elementis hujus mundi, abscondere vitam in Deo. Am- brosius. Liber de fuga seculi. c. 2. 4. 7.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/232
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/232>, abgerufen am 04.12.2024.