gelfrei. Der heilige Antonius faßte den Entschluß, der Welt zu entsagen, als er einst den Spruch hörte: "Willst Du voll- kommen sein, so gehe hin, verkaufe, was Du hast und gib es den Armen, so wirst Du einen Schatz im Himmel haben und komm und folge mir nach." Der heilige Antonius gab die allein wahre Auslegung dieses Ausspruchs. Er ging hin und verkaufte seine Reichthümer und gab sie den Armen. Nur so bewährte er seine geistige Freiheit von den Schätzen dieser Welt*).
Solche Freiheit, solche Wahrheit widerspricht nun freilich dem heutigen Christenthum, welchem zufolge der Herr nur eine geistige Freiheit gewollt, d. h. eine Freiheit, die durchaus keine Opfer erheischt, die bei vollem Wanste frei ist von den Be- gierden des Fleisches, bei vollem Geldbeutel frei von den irdischen Sorgen. Deßwegen sagte ja auch der Herr: "mein Joch ist sanft und leicht." Wie barbarisch, wie unsinnig wäre das Christenthum, wenn es den Menschen zumuthete, die Schätze dieser Welt aufzuopfern! Dann paßte ja das Chri- stenthum gar nicht für diese Welt. Aber das sei ferne! Das Christenthum ist höchst praktisch und weltklug. Es überläßt die Freiheit von den Schätzen und Lüsten dieser Welt dem natürlichen Tode, -- die Selbsttödtung der Mönche ist un- christlicher Selbstmord -- aber der Selbstthätigkeit den Erwerb und Genuß der irdischen Schätze. Die ächten Christen zwei- feln zwar nicht an der Wahrheit des himmlischen Lebens, Gott bewahre! Darin stimmen sie noch heute mit den alten Mön-
*) Natürlich hatte das Christenthum nur solche Kraft, als, wie Hieronymus an die Demetrias schreibt, domini nostri adhuc ca- lebat cruor et fervebat recens in credentibus fides.
gelfrei. Der heilige Antonius faßte den Entſchluß, der Welt zu entſagen, als er einſt den Spruch hörte: „Willſt Du voll- kommen ſein, ſo gehe hin, verkaufe, was Du haſt und gib es den Armen, ſo wirſt Du einen Schatz im Himmel haben und komm und folge mir nach.“ Der heilige Antonius gab die allein wahre Auslegung dieſes Ausſpruchs. Er ging hin und verkaufte ſeine Reichthümer und gab ſie den Armen. Nur ſo bewährte er ſeine geiſtige Freiheit von den Schätzen dieſer Welt*).
Solche Freiheit, ſolche Wahrheit widerſpricht nun freilich dem heutigen Chriſtenthum, welchem zufolge der Herr nur eine geiſtige Freiheit gewollt, d. h. eine Freiheit, die durchaus keine Opfer erheiſcht, die bei vollem Wanſte frei iſt von den Be- gierden des Fleiſches, bei vollem Geldbeutel frei von den irdiſchen Sorgen. Deßwegen ſagte ja auch der Herr: „mein Joch iſt ſanft und leicht.“ Wie barbariſch, wie unſinnig wäre das Chriſtenthum, wenn es den Menſchen zumuthete, die Schätze dieſer Welt aufzuopfern! Dann paßte ja das Chri- ſtenthum gar nicht für dieſe Welt. Aber das ſei ferne! Das Chriſtenthum iſt höchſt praktiſch und weltklug. Es überläßt die Freiheit von den Schätzen und Lüſten dieſer Welt dem natürlichen Tode, — die Selbſttödtung der Mönche iſt un- chriſtlicher Selbſtmord — aber der Selbſtthätigkeit den Erwerb und Genuß der irdiſchen Schätze. Die ächten Chriſten zwei- feln zwar nicht an der Wahrheit des himmliſchen Lebens, Gott bewahre! Darin ſtimmen ſie noch heute mit den alten Mön-
*) Natürlich hatte das Chriſtenthum nur ſolche Kraft, als, wie Hieronymus an die Demetrias ſchreibt, domini nostri adhuc ca- lebat cruor et fervebat recens in credentibus fides.
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gelfrei. Der heilige Antonius faßte den Entſchluß, der Welt
zu entſagen, als er einſt den Spruch hörte: „Willſt Du voll-
kommen ſein, ſo gehe hin, verkaufe, was Du haſt und gib es
den Armen, ſo wirſt Du einen Schatz im Himmel haben
und komm und folge mir nach.“ Der heilige Antonius gab
die allein wahre Auslegung dieſes Ausſpruchs. Er ging hin
und verkaufte ſeine Reichthümer und gab ſie den Armen. Nur
ſo bewährte er ſeine geiſtige Freiheit von den Schätzen dieſer
Welt *).
Solche Freiheit, ſolche Wahrheit widerſpricht nun freilich
dem heutigen Chriſtenthum, welchem zufolge der Herr nur eine
geiſtige Freiheit gewollt, d. h. eine Freiheit, die durchaus keine
Opfer erheiſcht, die bei vollem Wanſte frei iſt von den Be-
gierden des Fleiſches, bei vollem Geldbeutel frei von den
irdiſchen Sorgen. Deßwegen ſagte ja auch der Herr: „mein
Joch iſt ſanft und leicht.“ Wie barbariſch, wie unſinnig wäre
das Chriſtenthum, wenn es den Menſchen zumuthete, die
Schätze dieſer Welt aufzuopfern! Dann paßte ja das Chri-
ſtenthum gar nicht für dieſe Welt. Aber das ſei ferne! Das
Chriſtenthum iſt höchſt praktiſch und weltklug. Es überläßt
die Freiheit von den Schätzen und Lüſten dieſer Welt dem
natürlichen Tode, — die Selbſttödtung der Mönche iſt un-
chriſtlicher Selbſtmord — aber der Selbſtthätigkeit den Erwerb
und Genuß der irdiſchen Schätze. Die ächten Chriſten zwei-
feln zwar nicht an der Wahrheit des himmliſchen Lebens, Gott
bewahre! Darin ſtimmen ſie noch heute mit den alten Mön-
*) Natürlich hatte das Chriſtenthum nur ſolche Kraft, als, wie
Hieronymus an die Demetrias ſchreibt, domini nostri adhuc ca-
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/235>, abgerufen am 04.12.2024.
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