rer Menschen. Der Mensch daher, der seine Mannheit nicht negirt, der sich fühlt als Mann und dieses Gefühl als ein natur- und gesetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt sich als ein Theilwesen, welches eines andern Theilwesens zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menschheit, bedarf. Der Christ dagegen erfaßt sich in seiner überschwäng- lichen, transcendenten Subjectivität als ein für sich selbst vollkommnes Wesen. Aber dieser Anschauung war der Ge- schlechtstrieb entgegen; er stand mit seinem Ideal, seinem höch- sten Wesen in Widerspruch; der Christ mußte daher diesen Trieb negiren.
Wohl empfand auch der Christ das Bedürfniß der Ge- schlechterliebe, aber nur als ein seiner himmlischen Bestimmung widersprechendes, nur natürliches -- natürlich in dem gemei- nen, verächtlichen Sinne, den dieses Wort im Christenthum hat -- nicht als ein moralisches, inniges Bedürfniß, nicht als ein, um mich so auszudrücken, metaphysisches, d. i. wesentliches Bedürf- niß, welches der Mensch aber nur da empfinden kann, wo er die Geschlechtsdifferenz nicht von sich absondert, sondern vielmehr zu seinem innern Wesen rechnet. Heilig ist darum nicht die Ehe im Christenthume -- wenigstens nur scheinbar, illusorisch -- denn das natürliche Princip der Ehe, die Geschlechterliebe -- mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal diesem Prin- cip widersprechen -- ist im Christenthum ein unheiliges, vom Himmel ausgeschlossenes. Was aber der Mensch von seinem Himmel ausschließt, das schließt er von seinem wahren Wesen aus*). Der Himmel ist sein Schatz-
*) Dieß läßt sich auch so ausdrücken: die Ehe hat im Christen- thum nur eine moralische, aber keine religiöse Bedeutung, kein
rer Menſchen. Der Menſch daher, der ſeine Mannheit nicht negirt, der ſich fühlt als Mann und dieſes Gefühl als ein natur- und geſetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt ſich als ein Theilweſen, welches eines andern Theilweſens zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menſchheit, bedarf. Der Chriſt dagegen erfaßt ſich in ſeiner überſchwäng- lichen, transcendenten Subjectivität als ein für ſich ſelbſt vollkommnes Weſen. Aber dieſer Anſchauung war der Ge- ſchlechtstrieb entgegen; er ſtand mit ſeinem Ideal, ſeinem höch- ſten Weſen in Widerſpruch; der Chriſt mußte daher dieſen Trieb negiren.
Wohl empfand auch der Chriſt das Bedürfniß der Ge- ſchlechterliebe, aber nur als ein ſeiner himmliſchen Beſtimmung widerſprechendes, nur natürliches — natürlich in dem gemei- nen, verächtlichen Sinne, den dieſes Wort im Chriſtenthum hat — nicht als ein moraliſches, inniges Bedürfniß, nicht als ein, um mich ſo auszudrücken, metaphyſiſches, d. i. weſentliches Bedürf- niß, welches der Menſch aber nur da empfinden kann, wo er die Geſchlechtsdifferenz nicht von ſich abſondert, ſondern vielmehr zu ſeinem innern Weſen rechnet. Heilig iſt darum nicht die Ehe im Chriſtenthume — wenigſtens nur ſcheinbar, illuſoriſch — denn das natürliche Princip der Ehe, die Geſchlechterliebe — mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal dieſem Prin- cip widerſprechen — iſt im Chriſtenthum ein unheiliges, vom Himmel ausgeſchloſſenes. Was aber der Menſch von ſeinem Himmel ausſchließt, das ſchließt er von ſeinem wahren Weſen aus*). Der Himmel iſt ſein Schatz-
*) Dieß läßt ſich auch ſo ausdrücken: die Ehe hat im Chriſten- thum nur eine moraliſche, aber keine religiöſe Bedeutung, kein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0241"n="223"/>
rer Menſchen. Der Menſch daher, der ſeine Mannheit nicht<lb/>
negirt, der ſich fühlt als Mann und dieſes Gefühl als ein<lb/>
natur- und geſetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt<lb/>ſich als ein <hirendition="#g">Theilweſen</hi>, welches eines andern Theilweſens<lb/>
zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menſchheit,<lb/>
bedarf. Der Chriſt dagegen erfaßt ſich in ſeiner überſchwäng-<lb/>
lichen, transcendenten Subjectivität als ein <hirendition="#g">für ſich ſelbſt</hi><lb/>
vollkommnes Weſen. Aber dieſer Anſchauung war der Ge-<lb/>ſchlechtstrieb entgegen; er ſtand mit ſeinem Ideal, ſeinem höch-<lb/>ſten Weſen in Widerſpruch; der Chriſt mußte daher dieſen<lb/>
Trieb negiren.</p><lb/><p>Wohl empfand auch der Chriſt das Bedürfniß der Ge-<lb/>ſchlechterliebe, aber nur als ein ſeiner himmliſchen Beſtimmung<lb/>
widerſprechendes, nur natürliches — natürlich in dem gemei-<lb/>
nen, verächtlichen Sinne, den dieſes Wort im Chriſtenthum<lb/>
hat — nicht als ein moraliſches, inniges Bedürfniß, nicht als ein,<lb/>
um mich ſo auszudrücken, metaphyſiſches, d. i. weſentliches Bedürf-<lb/>
niß, welches der Menſch aber nur da empfinden kann, wo er die<lb/>
Geſchlechtsdifferenz nicht von ſich abſondert, ſondern vielmehr zu<lb/>ſeinem innern Weſen rechnet. Heilig iſt darum nicht die Ehe im<lb/>
Chriſtenthume — wenigſtens nur <hirendition="#g">ſcheinbar, illuſoriſch</hi>—<lb/>
denn das natürliche Princip der Ehe, die <hirendition="#g">Geſchlechterliebe</hi><lb/>— mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal dieſem Prin-<lb/>
cip widerſprechen — iſt im Chriſtenthum ein <hirendition="#g">unheiliges</hi>,<lb/>
vom <hirendition="#g">Himmel ausgeſchloſſenes</hi>. Was aber der Menſch<lb/>
von <hirendition="#g">ſeinem Himmel ausſchließt</hi>, das <hirendition="#g">ſchließt er</hi> von<lb/>ſeinem <hirendition="#g">wahren Weſen aus</hi><notexml:id="note-0241"next="#note-0242"place="foot"n="*)">Dieß läßt ſich auch ſo ausdrücken: die Ehe hat im Chriſten-<lb/>
thum nur eine <hirendition="#g">moraliſche</hi>, aber keine <hirendition="#g">religiöſe</hi> Bedeutung, <hirendition="#g">kein</hi></note>. Der Himmel iſt ſein Schatz-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[223/0241]
rer Menſchen. Der Menſch daher, der ſeine Mannheit nicht
negirt, der ſich fühlt als Mann und dieſes Gefühl als ein
natur- und geſetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt
ſich als ein Theilweſen, welches eines andern Theilweſens
zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menſchheit,
bedarf. Der Chriſt dagegen erfaßt ſich in ſeiner überſchwäng-
lichen, transcendenten Subjectivität als ein für ſich ſelbſt
vollkommnes Weſen. Aber dieſer Anſchauung war der Ge-
ſchlechtstrieb entgegen; er ſtand mit ſeinem Ideal, ſeinem höch-
ſten Weſen in Widerſpruch; der Chriſt mußte daher dieſen
Trieb negiren.
Wohl empfand auch der Chriſt das Bedürfniß der Ge-
ſchlechterliebe, aber nur als ein ſeiner himmliſchen Beſtimmung
widerſprechendes, nur natürliches — natürlich in dem gemei-
nen, verächtlichen Sinne, den dieſes Wort im Chriſtenthum
hat — nicht als ein moraliſches, inniges Bedürfniß, nicht als ein,
um mich ſo auszudrücken, metaphyſiſches, d. i. weſentliches Bedürf-
niß, welches der Menſch aber nur da empfinden kann, wo er die
Geſchlechtsdifferenz nicht von ſich abſondert, ſondern vielmehr zu
ſeinem innern Weſen rechnet. Heilig iſt darum nicht die Ehe im
Chriſtenthume — wenigſtens nur ſcheinbar, illuſoriſch —
denn das natürliche Princip der Ehe, die Geſchlechterliebe
— mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal dieſem Prin-
cip widerſprechen — iſt im Chriſtenthum ein unheiliges,
vom Himmel ausgeſchloſſenes. Was aber der Menſch
von ſeinem Himmel ausſchließt, das ſchließt er von
ſeinem wahren Weſen aus *). Der Himmel iſt ſein Schatz-
*) Dieß läßt ſich auch ſo ausdrücken: die Ehe hat im Chriſten-
thum nur eine moraliſche, aber keine religiöſe Bedeutung, kein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/241>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.