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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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im Bewußtsein der Realität der Geschlechtsdifferenz. Er
betrachtet dieselbe nicht als einen mechanisch eingesprengten
zufälligen Stein des Anstoßes; er betrachtet sie als einen inni-
gen, einen chemischen Bestandtheil seines Wesens. Er weiß
sich wohl als Mensch, aber zugleich in der Bestimmtheit der
Geschlechtsdifferenz, die nicht nur Mark und Bein durchdringt,
sondern auch sein innerstes Selbst, die wesentliche Art seines
Denkens, Wollens, Empfindens bestimmt. Wer daher im
Bewußtsein der Gattung lebt, wer sein Gemüth und seine
Phantasie beschränkt, bestimmt durch die Anschauung des wirk-
lichen Lebens, des wirklichen Menschen, der kann sich kein
Leben denken, wo das Gattungsleben und damit die Ge-
schlechtsdifferenz aufgehoben ist: er hält das geschlechtslose In-
dividuum, den himmlischen Geist für eine gemüthliche Vor-
stellung der Phantasie.

Aber eben so wenig, wie von der Geschlechtsdifferenz,
kann der reale Mensch von seiner sittlichen oder geistigen Be-
stimmtheit, die ja aufs innigste mit seiner natürlichen Be-
stimmtheit zusammenhängt, abstrahiren. Eben, weil er in der
Anschauung des Ganzen lebt, so lebt er in der Anschauung
seiner nur als eines Theilwesens, das nur ist, was es ist,
durch die Bestimmtheit, die es eben zum Theil des Ganzen
oder zu einem relativen Ganzen macht. Jeder hält daher mit
Recht sein Geschäft, seinen Stand, seine Kunst oder Wissen-
schaft für die höchste: denn der Geist des Menschen ist nichts
als die wesentliche Art seiner Thätigkeit. Wer etwas Tüchti-
ges in seinem Stande, seiner Kunst ist, wer, wie man im
Leben sagt, seinen Posten ausfüllt, mit Leib und Leben seinem
Berufe ergeben ist, der denkt sich auch seinen Beruf als den
höchsten und schönsten. Wie sollte er in seinem Geiste ver-

im Bewußtſein der Realität der Geſchlechtsdifferenz. Er
betrachtet dieſelbe nicht als einen mechaniſch eingeſprengten
zufälligen Stein des Anſtoßes; er betrachtet ſie als einen inni-
gen, einen chemiſchen Beſtandtheil ſeines Weſens. Er weiß
ſich wohl als Menſch, aber zugleich in der Beſtimmtheit der
Geſchlechtsdifferenz, die nicht nur Mark und Bein durchdringt,
ſondern auch ſein innerſtes Selbſt, die weſentliche Art ſeines
Denkens, Wollens, Empfindens beſtimmt. Wer daher im
Bewußtſein der Gattung lebt, wer ſein Gemüth und ſeine
Phantaſie beſchränkt, beſtimmt durch die Anſchauung des wirk-
lichen Lebens, des wirklichen Menſchen, der kann ſich kein
Leben denken, wo das Gattungsleben und damit die Ge-
ſchlechtsdifferenz aufgehoben iſt: er hält das geſchlechtsloſe In-
dividuum, den himmliſchen Geiſt für eine gemüthliche Vor-
ſtellung der Phantaſie.

Aber eben ſo wenig, wie von der Geſchlechtsdifferenz,
kann der reale Menſch von ſeiner ſittlichen oder geiſtigen Be-
ſtimmtheit, die ja aufs innigſte mit ſeiner natürlichen Be-
ſtimmtheit zuſammenhängt, abſtrahiren. Eben, weil er in der
Anſchauung des Ganzen lebt, ſo lebt er in der Anſchauung
ſeiner nur als eines Theilweſens, das nur iſt, was es iſt,
durch die Beſtimmtheit, die es eben zum Theil des Ganzen
oder zu einem relativen Ganzen macht. Jeder hält daher mit
Recht ſein Geſchäft, ſeinen Stand, ſeine Kunſt oder Wiſſen-
ſchaft für die höchſte: denn der Geiſt des Menſchen iſt nichts
als die weſentliche Art ſeiner Thätigkeit. Wer etwas Tüchti-
ges in ſeinem Stande, ſeiner Kunſt iſt, wer, wie man im
Leben ſagt, ſeinen Poſten ausfüllt, mit Leib und Leben ſeinem
Berufe ergeben iſt, der denkt ſich auch ſeinen Beruf als den
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[226/0244] im Bewußtſein der Realität der Geſchlechtsdifferenz. Er betrachtet dieſelbe nicht als einen mechaniſch eingeſprengten zufälligen Stein des Anſtoßes; er betrachtet ſie als einen inni- gen, einen chemiſchen Beſtandtheil ſeines Weſens. Er weiß ſich wohl als Menſch, aber zugleich in der Beſtimmtheit der Geſchlechtsdifferenz, die nicht nur Mark und Bein durchdringt, ſondern auch ſein innerſtes Selbſt, die weſentliche Art ſeines Denkens, Wollens, Empfindens beſtimmt. Wer daher im Bewußtſein der Gattung lebt, wer ſein Gemüth und ſeine Phantaſie beſchränkt, beſtimmt durch die Anſchauung des wirk- lichen Lebens, des wirklichen Menſchen, der kann ſich kein Leben denken, wo das Gattungsleben und damit die Ge- ſchlechtsdifferenz aufgehoben iſt: er hält das geſchlechtsloſe In- dividuum, den himmliſchen Geiſt für eine gemüthliche Vor- ſtellung der Phantaſie. Aber eben ſo wenig, wie von der Geſchlechtsdifferenz, kann der reale Menſch von ſeiner ſittlichen oder geiſtigen Be- ſtimmtheit, die ja aufs innigſte mit ſeiner natürlichen Be- ſtimmtheit zuſammenhängt, abſtrahiren. Eben, weil er in der Anſchauung des Ganzen lebt, ſo lebt er in der Anſchauung ſeiner nur als eines Theilweſens, das nur iſt, was es iſt, durch die Beſtimmtheit, die es eben zum Theil des Ganzen oder zu einem relativen Ganzen macht. Jeder hält daher mit Recht ſein Geſchäft, ſeinen Stand, ſeine Kunſt oder Wiſſen- ſchaft für die höchſte: denn der Geiſt des Menſchen iſt nichts als die weſentliche Art ſeiner Thätigkeit. Wer etwas Tüchti- ges in ſeinem Stande, ſeiner Kunſt iſt, wer, wie man im Leben ſagt, ſeinen Poſten ausfüllt, mit Leib und Leben ſeinem Berufe ergeben iſt, der denkt ſich auch ſeinen Beruf als den höchſten und ſchönſten. Wie ſollte er in ſeinem Geiſte ver-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/244>, abgerufen am 04.12.2024.