läugnen, in seinem Denken erniedrigen, was er durch die That celebrirt, indem er mit Freuden demselben seine Kräfte weiht? Was ich gering schätze, wie kann ich dem meine Zeit, meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, so ist meine Thätig- keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir selbst. Arbeiten ist Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenstand dienen, mich ihm subjiciren, wenn er mir nicht im Geiste hoch steht? Kurz, die Beschäftigungen bestimmen das Urtheil, die Denkart, die Gesinnung des Menschen. Und je höher die Art der Beschäftigung, desto mehr identificirt sich der Mensch damit. Was überhaupt der Mensch zum wesentlichen Zweck seines Lebens macht, das erklärt er für seine Seele; denn es ist das Princip der Bewegung in ihm. Durch seine Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er diese Zwecke reali- sirt, ist aber der Mensch zugleich, wie Etwas für sich, so Etwas für Andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer daher in dem Bewußtsein der Gattung als einer Realität lebt, der hält sein Sein für Andere, sein öffentliches, gemein- nütziges Sein für das Sein, welches eins ist mit dem Sein seines Wesens, für sein unsterbliches Sein. Er lebt mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menschheit. Wie könnte er eine besondere Existenz für sich noch im Rückhalt ha- ben, wie sich von der Menschheit scheiden? Wie sollte er im Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber sein Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se credere mundo.
Das himmlische Leben oder -- was wir hier nicht unter- scheiden -- die persönliche Unsterblichkeit ist eine charakteri- stische Lehre des Christenthums. Allerdings findet sie sich zum Theil auch schon bei den heidnischen Philosophen, aber hier
15*
läugnen, in ſeinem Denken erniedrigen, was er durch die That celebrirt, indem er mit Freuden demſelben ſeine Kräfte weiht? Was ich gering ſchätze, wie kann ich dem meine Zeit, meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, ſo iſt meine Thätig- keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir ſelbſt. Arbeiten iſt Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenſtand dienen, mich ihm ſubjiciren, wenn er mir nicht im Geiſte hoch ſteht? Kurz, die Beſchäftigungen beſtimmen das Urtheil, die Denkart, die Geſinnung des Menſchen. Und je höher die Art der Beſchäftigung, deſto mehr identificirt ſich der Menſch damit. Was überhaupt der Menſch zum weſentlichen Zweck ſeines Lebens macht, das erklärt er für ſeine Seele; denn es iſt das Princip der Bewegung in ihm. Durch ſeine Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er dieſe Zwecke reali- ſirt, iſt aber der Menſch zugleich, wie Etwas für ſich, ſo Etwas für Andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer daher in dem Bewußtſein der Gattung als einer Realität lebt, der hält ſein Sein für Andere, ſein öffentliches, gemein- nütziges Sein für das Sein, welches eins iſt mit dem Sein ſeines Weſens, für ſein unſterbliches Sein. Er lebt mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menſchheit. Wie könnte er eine beſondere Exiſtenz für ſich noch im Rückhalt ha- ben, wie ſich von der Menſchheit ſcheiden? Wie ſollte er im Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber ſein Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se credere mundo.
Das himmliſche Leben oder — was wir hier nicht unter- ſcheiden — die perſönliche Unſterblichkeit iſt eine charakteri- ſtiſche Lehre des Chriſtenthums. Allerdings findet ſie ſich zum Theil auch ſchon bei den heidniſchen Philoſophen, aber hier
15*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0245"n="227"/>
läugnen, in ſeinem Denken erniedrigen, was er durch die<lb/>
That celebrirt, indem er mit Freuden demſelben ſeine Kräfte<lb/>
weiht? Was ich gering ſchätze, wie kann ich dem meine Zeit,<lb/>
meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, ſo iſt meine Thätig-<lb/>
keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir ſelbſt.<lb/>
Arbeiten iſt Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenſtand<lb/>
dienen, mich ihm ſubjiciren, wenn er mir nicht im Geiſte hoch<lb/>ſteht? Kurz, die Beſchäftigungen beſtimmen das Urtheil, die<lb/>
Denkart, die Geſinnung des Menſchen. Und je höher die<lb/>
Art der Beſchäftigung, deſto mehr identificirt ſich der<lb/>
Menſch damit. Was überhaupt der Menſch zum weſentlichen<lb/>
Zweck ſeines Lebens macht, das erklärt er für ſeine Seele;<lb/>
denn es iſt das Princip der Bewegung in ihm. Durch ſeine<lb/>
Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er dieſe Zwecke reali-<lb/>ſirt, iſt aber der Menſch zugleich, wie Etwas für ſich, ſo<lb/><hirendition="#g">Etwas für Andere</hi>, für das Allgemeine, die Gattung. Wer<lb/>
daher in dem Bewußtſein der Gattung als einer Realität<lb/>
lebt, der hält ſein Sein für Andere, ſein öffentliches, gemein-<lb/>
nütziges Sein für <hirendition="#g">das</hi> Sein, welches eins iſt mit dem Sein<lb/><hirendition="#g">ſeines</hi> Weſens, für ſein unſterbliches Sein. Er lebt mit<lb/>
ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menſchheit. Wie<lb/>
könnte er eine beſondere Exiſtenz für ſich noch im Rückhalt ha-<lb/>
ben, wie ſich von der Menſchheit ſcheiden? Wie ſollte er im<lb/>
Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber ſein<lb/>
Glaube im Leben war: <hirendition="#aq"><hirendition="#g">Nec sibi sed toti genitum se<lb/>
credere mundo</hi>.</hi></p><lb/><p>Das himmliſche Leben oder — was wir hier nicht unter-<lb/>ſcheiden — die perſönliche Unſterblichkeit iſt eine charakteri-<lb/>ſtiſche Lehre des Chriſtenthums. Allerdings findet ſie ſich zum<lb/>
Theil auch ſchon bei den heidniſchen Philoſophen, aber hier<lb/><fwplace="bottom"type="sig">15*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[227/0245]
läugnen, in ſeinem Denken erniedrigen, was er durch die
That celebrirt, indem er mit Freuden demſelben ſeine Kräfte
weiht? Was ich gering ſchätze, wie kann ich dem meine Zeit,
meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, ſo iſt meine Thätig-
keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir ſelbſt.
Arbeiten iſt Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenſtand
dienen, mich ihm ſubjiciren, wenn er mir nicht im Geiſte hoch
ſteht? Kurz, die Beſchäftigungen beſtimmen das Urtheil, die
Denkart, die Geſinnung des Menſchen. Und je höher die
Art der Beſchäftigung, deſto mehr identificirt ſich der
Menſch damit. Was überhaupt der Menſch zum weſentlichen
Zweck ſeines Lebens macht, das erklärt er für ſeine Seele;
denn es iſt das Princip der Bewegung in ihm. Durch ſeine
Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er dieſe Zwecke reali-
ſirt, iſt aber der Menſch zugleich, wie Etwas für ſich, ſo
Etwas für Andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer
daher in dem Bewußtſein der Gattung als einer Realität
lebt, der hält ſein Sein für Andere, ſein öffentliches, gemein-
nütziges Sein für das Sein, welches eins iſt mit dem Sein
ſeines Weſens, für ſein unſterbliches Sein. Er lebt mit
ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menſchheit. Wie
könnte er eine beſondere Exiſtenz für ſich noch im Rückhalt ha-
ben, wie ſich von der Menſchheit ſcheiden? Wie ſollte er im
Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber ſein
Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se
credere mundo.
Das himmliſche Leben oder — was wir hier nicht unter-
ſcheiden — die perſönliche Unſterblichkeit iſt eine charakteri-
ſtiſche Lehre des Chriſtenthums. Allerdings findet ſie ſich zum
Theil auch ſchon bei den heidniſchen Philoſophen, aber hier
15*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/245>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.