Existenz; wenn außerdem der Mensch in der Religion sein Sein vom Sein Gottes abhängig macht, so macht er hier die Realität Gottes von seiner eignen Realität abhängig; was ihm sonst die primitive, unmittelbare Wahrheit, das ist ihm daher hier eine abgeleitete, secundäre Wahrheit: wenn ich nicht ewig bin, so ist Gott nicht Gott, wenn keine Unsterblichkeit, so ist kein Gott. Und diesen Schluß hat schon der Apostel gemacht. Wenn wir nicht auferstehen, so ist Christus nicht auferstanden und Alles ist Nichts. Edite, bibite. Allerdings kann man das scheinbar oder wirklich Anstößige, was in der populären Argumentation liegt, beseiti- gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch, daß man die Unsterblichkeit zu einer analytischen Wahr- heit macht, so daß eben der Begriff Gottes, als der abso- luten Persönlichkeit oder Subjectivität, per se schon der Begriff der Unsterblichkeit ist. Gott ist die Bürgschaft meiner zukünftigen Existenz, weil er schon die Gewißheit und Realität meiner gegenwärtigen Existenz, mein Heil, mein Trost, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt ist; ich brauche also die Unsterblichkeit gar nicht expreß zu folgern, nicht als eine aparte Wahrheit herauszustellen; habe ich Gott, so habe ich Unsterblichkeit. So war es bei den tiefern christlichen Mystikern: ihnen ging der Begriff der Unsterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen ihr unsterbliches Leben -- Gott selbst die subjective Seligkeit, also das für sie, für ihr Bewußtsein, was er an sich selbst, d. i. im Wesen der Religion ist.
Somit ist bewiesen, daß Gott der Himmel ist, daß beide identisch sind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis gewesen, nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menschen
Exiſtenz; wenn außerdem der Menſch in der Religion ſein Sein vom Sein Gottes abhängig macht, ſo macht er hier die Realität Gottes von ſeiner eignen Realität abhängig; was ihm ſonſt die primitive, unmittelbare Wahrheit, das iſt ihm daher hier eine abgeleitete, ſecundäre Wahrheit: wenn ich nicht ewig bin, ſo iſt Gott nicht Gott, wenn keine Unſterblichkeit, ſo iſt kein Gott. Und dieſen Schluß hat ſchon der Apoſtel gemacht. Wenn wir nicht auferſtehen, ſo iſt Chriſtus nicht auferſtanden und Alles iſt Nichts. Edite, bibite. Allerdings kann man das ſcheinbar oder wirklich Anſtößige, was in der populären Argumentation liegt, beſeiti- gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch, daß man die Unſterblichkeit zu einer analytiſchen Wahr- heit macht, ſo daß eben der Begriff Gottes, als der abſo- luten Perſönlichkeit oder Subjectivität, per se ſchon der Begriff der Unſterblichkeit iſt. Gott iſt die Bürgſchaft meiner zukünftigen Exiſtenz, weil er ſchon die Gewißheit und Realität meiner gegenwärtigen Exiſtenz, mein Heil, mein Troſt, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt iſt; ich brauche alſo die Unſterblichkeit gar nicht expreß zu folgern, nicht als eine aparte Wahrheit herauszuſtellen; habe ich Gott, ſo habe ich Unſterblichkeit. So war es bei den tiefern chriſtlichen Myſtikern: ihnen ging der Begriff der Unſterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen ihr unſterbliches Leben — Gott ſelbſt die ſubjective Seligkeit, alſo das für ſie, für ihr Bewußtſein, was er an ſich ſelbſt, d. i. im Weſen der Religion iſt.
Somit iſt bewieſen, daß Gott der Himmel iſt, daß beide identiſch ſind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis geweſen, nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0250"n="232"/>
Exiſtenz</hi>; wenn außerdem der Menſch in der Religion ſein<lb/>
Sein vom Sein Gottes abhängig macht, ſo macht er hier die<lb/>
Realität Gottes von ſeiner eignen Realität abhängig; was<lb/>
ihm ſonſt die primitive, unmittelbare Wahrheit, das iſt ihm<lb/>
daher hier eine abgeleitete, ſecundäre Wahrheit: <hirendition="#g">wenn ich<lb/>
nicht ewig bin, ſo iſt Gott nicht Gott</hi>, wenn <hirendition="#g">keine<lb/>
Unſterblichkeit</hi>, ſo iſt <hirendition="#g">kein Gott</hi>. Und dieſen Schluß hat<lb/>ſchon der Apoſtel gemacht. Wenn wir nicht auferſtehen, ſo iſt<lb/>
Chriſtus nicht auferſtanden und Alles iſt Nichts. <hirendition="#aq">Edite,<lb/>
bibite</hi>. Allerdings kann man das ſcheinbar oder wirklich<lb/>
Anſtößige, was in der populären Argumentation liegt, beſeiti-<lb/>
gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch,<lb/>
daß man die Unſterblichkeit zu einer <hirendition="#g">analytiſchen Wahr-<lb/>
heit</hi> macht, ſo daß eben der <hirendition="#g">Begriff Gottes</hi>, als der abſo-<lb/>
luten Perſönlichkeit oder Subjectivität, <hirendition="#g"><hirendition="#aq">per se</hi>ſchon der<lb/>
Begriff der Unſterblichkeit</hi> iſt. Gott iſt die Bürgſchaft<lb/>
meiner zukünftigen Exiſtenz, weil er ſchon die Gewißheit und<lb/>
Realität meiner gegenwärtigen Exiſtenz, mein Heil, mein<lb/>
Troſt, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt iſt; ich<lb/>
brauche alſo die Unſterblichkeit gar <hirendition="#g">nicht expreß</hi> zu folgern,<lb/>
nicht als eine <hirendition="#g">aparte Wahrheit</hi> herauszuſtellen; <hirendition="#g">habe ich<lb/>
Gott, ſo habe ich Unſterblichkeit</hi>. So war es bei<lb/>
den tiefern chriſtlichen Myſtikern: ihnen ging der Begriff der<lb/>
Unſterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen<lb/>
ihr unſterbliches Leben — Gott ſelbſt die ſubjective Seligkeit,<lb/>
alſo das <hirendition="#g">für ſie</hi>, für ihr <hirendition="#g">Bewußtſein, was er an ſich<lb/>ſelbſt</hi>, d. i. im <hirendition="#g">Weſen</hi> der Religion iſt.</p><lb/><p>Somit iſt bewieſen, daß Gott der Himmel iſt, daß beide<lb/><choice><sic>dentiſch</sic><corr>identiſch</corr></choice>ſind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis geweſen,<lb/>
nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menſchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[232/0250]
Exiſtenz; wenn außerdem der Menſch in der Religion ſein
Sein vom Sein Gottes abhängig macht, ſo macht er hier die
Realität Gottes von ſeiner eignen Realität abhängig; was
ihm ſonſt die primitive, unmittelbare Wahrheit, das iſt ihm
daher hier eine abgeleitete, ſecundäre Wahrheit: wenn ich
nicht ewig bin, ſo iſt Gott nicht Gott, wenn keine
Unſterblichkeit, ſo iſt kein Gott. Und dieſen Schluß hat
ſchon der Apoſtel gemacht. Wenn wir nicht auferſtehen, ſo iſt
Chriſtus nicht auferſtanden und Alles iſt Nichts. Edite,
bibite. Allerdings kann man das ſcheinbar oder wirklich
Anſtößige, was in der populären Argumentation liegt, beſeiti-
gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch,
daß man die Unſterblichkeit zu einer analytiſchen Wahr-
heit macht, ſo daß eben der Begriff Gottes, als der abſo-
luten Perſönlichkeit oder Subjectivität, per se ſchon der
Begriff der Unſterblichkeit iſt. Gott iſt die Bürgſchaft
meiner zukünftigen Exiſtenz, weil er ſchon die Gewißheit und
Realität meiner gegenwärtigen Exiſtenz, mein Heil, mein
Troſt, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt iſt; ich
brauche alſo die Unſterblichkeit gar nicht expreß zu folgern,
nicht als eine aparte Wahrheit herauszuſtellen; habe ich
Gott, ſo habe ich Unſterblichkeit. So war es bei
den tiefern chriſtlichen Myſtikern: ihnen ging der Begriff der
Unſterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen
ihr unſterbliches Leben — Gott ſelbſt die ſubjective Seligkeit,
alſo das für ſie, für ihr Bewußtſein, was er an ſich
ſelbſt, d. i. im Weſen der Religion iſt.
Somit iſt bewieſen, daß Gott der Himmel iſt, daß beide
identiſch ſind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis geweſen,
nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/250>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.