nur, daß er dort davon frei ist, wovon er hier frei zu sein wünscht und sich durch den Willen, die Andacht, die Ca- steiung frei zu machen sucht. Darum ist dieses Leben für den Christen ein Leben der Qual und Pein, weil er hier noch mit seinem Gegensatz behaftet ist, mit den Lüsten des Fleisches, den Anfechtungen des Teufels zu kämpfen hat.
Der Glaube der cultivirten Völker unterscheidet sich also nur dadurch von dem Glauben der uncultivirten, wodurch sich überhaupt die Cultur von der Uncultur unterscheidet -- da- durch, daß der Glaube der Cultur ein unterscheidender, aussondernder, abstracter Glaube ist. Wo unterschieden wird, da wird geurtheilt; wo aber geurtheilt, da entsteht die Scheidung zwischen Positivem und Negativem. Der Glaube der wilden Völker ist ein Glaube ohne Urtheil. Die Bildung dagegen urtheilt: dem gebildeten Menschen ist nur das gebil- dete Leben das wahre, dem Christen das christliche. Der rohe Naturmensch tritt ohne Anstand, so wie er steht und geht, ins Jenseits ein: das Jenseits ist seine natürliche Blöße. Der Gebildete dagegen nimmt an einem solchen ungezügelten Le- ben nach dem Tode Anstand, weil er schon hier das ungezü- gelte Naturleben beanstandet. Der Glaube an das jenseitige Leben ist daher nur der Glaube an das dießseitige wahre Leben: die wesentliche Inhaltsbestimmtheit des Dießseits ist auch die wesentliche Inhaltsbestimmtheit des Jenseits; der Glaube an das Jenseits demnach kein Glaube an ein an- deres unbekanntes Leben, sondern an die Wahrheit, Un- endlichkeit, folglich Unaufhörlichkeit des Lebens, das schon hier für das authentische Leben gilt.
Feuerbach. 16
nur, daß er dort davon frei iſt, wovon er hier frei zu ſein wünſcht und ſich durch den Willen, die Andacht, die Ca- ſteiung frei zu machen ſucht. Darum iſt dieſes Leben für den Chriſten ein Leben der Qual und Pein, weil er hier noch mit ſeinem Gegenſatz behaftet iſt, mit den Lüſten des Fleiſches, den Anfechtungen des Teufels zu kämpfen hat.
Der Glaube der cultivirten Völker unterſcheidet ſich alſo nur dadurch von dem Glauben der uncultivirten, wodurch ſich überhaupt die Cultur von der Uncultur unterſcheidet — da- durch, daß der Glaube der Cultur ein unterſcheidender, ausſondernder, abſtracter Glaube iſt. Wo unterſchieden wird, da wird geurtheilt; wo aber geurtheilt, da entſteht die Scheidung zwiſchen Poſitivem und Negativem. Der Glaube der wilden Völker iſt ein Glaube ohne Urtheil. Die Bildung dagegen urtheilt: dem gebildeten Menſchen iſt nur das gebil- dete Leben das wahre, dem Chriſten das chriſtliche. Der rohe Naturmenſch tritt ohne Anſtand, ſo wie er ſteht und geht, ins Jenſeits ein: das Jenſeits iſt ſeine natürliche Blöße. Der Gebildete dagegen nimmt an einem ſolchen ungezügelten Le- ben nach dem Tode Anſtand, weil er ſchon hier das ungezü- gelte Naturleben beanſtandet. Der Glaube an das jenſeitige Leben iſt daher nur der Glaube an das dießſeitige wahre Leben: die weſentliche Inhaltsbeſtimmtheit des Dießſeits iſt auch die weſentliche Inhaltsbeſtimmtheit des Jenſeits; der Glaube an das Jenſeits demnach kein Glaube an ein an- deres unbekanntes Leben, ſondern an die Wahrheit, Un- endlichkeit, folglich Unaufhörlichkeit des Lebens, das ſchon hier für das authentiſche Leben gilt.
Feuerbach. 16
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nur, daß er dort davon frei iſt, wovon er hier frei zu ſein
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ſteiung frei zu machen ſucht. Darum iſt dieſes Leben für den
Chriſten ein Leben der Qual und Pein, weil er hier noch mit
ſeinem Gegenſatz behaftet iſt, mit den Lüſten des Fleiſches,
den Anfechtungen des Teufels zu kämpfen hat.
Der Glaube der cultivirten Völker unterſcheidet ſich alſo
nur dadurch von dem Glauben der uncultivirten, wodurch ſich
überhaupt die Cultur von der Uncultur unterſcheidet — da-
durch, daß der Glaube der Cultur ein unterſcheidender,
ausſondernder, abſtracter Glaube iſt. Wo unterſchieden
wird, da wird geurtheilt; wo aber geurtheilt, da entſteht die
Scheidung zwiſchen Poſitivem und Negativem. Der Glaube
der wilden Völker iſt ein Glaube ohne Urtheil. Die Bildung
dagegen urtheilt: dem gebildeten Menſchen iſt nur das gebil-
dete Leben das wahre, dem Chriſten das chriſtliche. Der rohe
Naturmenſch tritt ohne Anſtand, ſo wie er ſteht und geht, ins
Jenſeits ein: das Jenſeits iſt ſeine natürliche Blöße. Der
Gebildete dagegen nimmt an einem ſolchen ungezügelten Le-
ben nach dem Tode Anſtand, weil er ſchon hier das ungezü-
gelte Naturleben beanſtandet. Der Glaube an das jenſeitige
Leben iſt daher nur der Glaube an das dießſeitige wahre
Leben: die weſentliche Inhaltsbeſtimmtheit des Dießſeits iſt
auch die weſentliche Inhaltsbeſtimmtheit des Jenſeits; der
Glaube an das Jenſeits demnach kein Glaube an ein an-
deres unbekanntes Leben, ſondern an die Wahrheit, Un-
endlichkeit, folglich Unaufhörlichkeit des Lebens, das ſchon
hier für das authentiſche Leben gilt.
Feuerbach. 16
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/259>, abgerufen am 05.12.2024.
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