Ferne beschaut das himmlische Leben aussieht, desto mehr stellt sich am Ende oder in der Nähe betrachtet die Identität des himmlischen mit dem natürlichen Leben heraus -- eine Iden- tität, die sich zuletzt bis auf das Fleisch, bis auf den Leib er- streckt. Zunächst handelt es sich um die Scheidung der Seele vom Leibe, wie in der Anschauung Gottes um die Scheidung des Wesens von dem Individuum -- das Individuum stirbt einen geistigen Tod, der todte Leib, der zurückbleibt, ist das menschliche Individuum, die Seele, die sich davon geschieden, Gott. Aber die Scheidung der Seele vom Leibe, des Wesens vom Individuum, Gottes vom Menschen ist nicht von Bestand. Jede Trennung thut wehe. Die Seele sehnt sich wieder nach ihrem verlornen Theile, nach ihrem Leibe, wie Gott, die abge- schiedene Seele, sich wieder nach dem wirklichen Menschen sehnt. Wie Gott daher wieder Mensch wird, so kehrt die Seele wieder in ihren Leib zurück -- und die vollkommene Iden- tität des Dieß- und Jenseits ist jetzt wieder hergestellt. Zwar ist dieser neue Leib ein lichtvoller, verklärter, wunderbarer Leib, aber -- und das ist die Hauptsache -- es ist ein ande- rer und doch derselbe Leib *), wie Gott ein anderes und doch dasselbe Wesen als das menschliche ist. Wir kommen hier wieder auf den Begriff des Wunders, welches Wider- sprechendes vereinigt. Der übernatürliche Körper ist ein Kör- per der Phantasie, aber eben deßwegen ein dem Gemüthe des Menschen adäquater, weil ihn nicht belästigender -- ein rein subjectiver Körper **). Der Glaube an das Jenseits ist nichts
*)Ipsum (corpus) erit et non ipsum erit. Augustinus. (v. J. Ch. Doederlein. Inst. Theol. Christ. Altorf. 1781. §. 280.)
**)Caro et sanguis regnum Dei non possidebunt. Non quod car- nis illic substantia futura non sit, sed quod carnalis omnis
Ferne beſchaut das himmliſche Leben ausſieht, deſto mehr ſtellt ſich am Ende oder in der Nähe betrachtet die Identität des himmliſchen mit dem natürlichen Leben heraus — eine Iden- tität, die ſich zuletzt bis auf das Fleiſch, bis auf den Leib er- ſtreckt. Zunächſt handelt es ſich um die Scheidung der Seele vom Leibe, wie in der Anſchauung Gottes um die Scheidung des Weſens von dem Individuum — das Individuum ſtirbt einen geiſtigen Tod, der todte Leib, der zurückbleibt, iſt das menſchliche Individuum, die Seele, die ſich davon geſchieden, Gott. Aber die Scheidung der Seele vom Leibe, des Weſens vom Individuum, Gottes vom Menſchen iſt nicht von Beſtand. Jede Trennung thut wehe. Die Seele ſehnt ſich wieder nach ihrem verlornen Theile, nach ihrem Leibe, wie Gott, die abge- ſchiedene Seele, ſich wieder nach dem wirklichen Menſchen ſehnt. Wie Gott daher wieder Menſch wird, ſo kehrt die Seele wieder in ihren Leib zurück — und die vollkommene Iden- tität des Dieß- und Jenſeits iſt jetzt wieder hergeſtellt. Zwar iſt dieſer neue Leib ein lichtvoller, verklärter, wunderbarer Leib, aber — und das iſt die Hauptſache — es iſt ein ande- rer und doch derſelbe Leib *), wie Gott ein anderes und doch daſſelbe Weſen als das menſchliche iſt. Wir kommen hier wieder auf den Begriff des Wunders, welches Wider- ſprechendes vereinigt. Der übernatürliche Körper iſt ein Kör- per der Phantaſie, aber eben deßwegen ein dem Gemüthe des Menſchen adäquater, weil ihn nicht beläſtigender — ein rein ſubjectiver Körper **). Der Glaube an das Jenſeits iſt nichts
*)Ipsum (corpus) erit et non ipsum erit. Augustinus. (v. J. Ch. Doederlein. Inst. Theol. Christ. Altorf. 1781. §. 280.)
**)Caro et sanguis regnum Dei non possidebunt. Non quod car- nis illic substantia futura non sit, sed quod carnalis omnis
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0263"n="245"/>
Ferne beſchaut das himmliſche Leben ausſieht, deſto mehr ſtellt<lb/>ſich am Ende oder in der Nähe betrachtet die Identität des<lb/>
himmliſchen mit dem natürlichen Leben heraus — eine Iden-<lb/>
tität, die ſich zuletzt bis auf das Fleiſch, bis auf den Leib er-<lb/>ſtreckt. Zunächſt handelt es ſich um die Scheidung der <hirendition="#g">Seele</hi><lb/>
vom Leibe, wie in der Anſchauung Gottes um die Scheidung<lb/>
des <hirendition="#g">Weſens</hi> von dem Individuum — das Individuum ſtirbt<lb/>
einen <hirendition="#g">geiſtigen</hi> Tod, der todte Leib, der zurückbleibt, iſt das<lb/>
menſchliche Individuum, die Seele, die ſich davon geſchieden,<lb/>
Gott. Aber die Scheidung der Seele vom Leibe, des Weſens<lb/>
vom Individuum, Gottes vom Menſchen iſt nicht von Beſtand.<lb/>
Jede Trennung thut wehe. Die Seele ſehnt ſich wieder nach<lb/>
ihrem verlornen Theile, nach ihrem Leibe, wie Gott, die abge-<lb/>ſchiedene Seele, ſich wieder nach dem wirklichen Menſchen<lb/>ſehnt. Wie Gott daher wieder Menſch wird, ſo kehrt die Seele<lb/>
wieder in ihren Leib zurück — und die <hirendition="#g">vollkommene Iden-<lb/>
tität</hi> des Dieß- und Jenſeits iſt jetzt wieder hergeſtellt. Zwar<lb/>
iſt dieſer neue Leib ein lichtvoller, verklärter, wunderbarer<lb/>
Leib, aber — und das iſt die Hauptſache — es iſt ein <hirendition="#g">ande-<lb/>
rer</hi> und <hirendition="#g">doch derſelbe</hi> Leib <noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#aq">Ipsum (corpus) erit et non ipsum erit. <hirendition="#g">Augustinus</hi>. (v. J. Ch.<lb/>
Doederlein. Inst. Theol. Christ. Altorf. 1781. §. 280</hi>.)</note>, wie Gott ein <hirendition="#g">anderes</hi> und<lb/>
doch <hirendition="#g">daſſelbe</hi> Weſen als das menſchliche iſt. Wir kommen<lb/>
hier wieder auf den Begriff des Wunders, welches Wider-<lb/>ſprechendes vereinigt. Der übernatürliche Körper iſt ein Kör-<lb/>
per der Phantaſie, aber eben deßwegen ein dem Gemüthe des<lb/>
Menſchen adäquater, weil ihn nicht beläſtigender — ein rein<lb/>ſubjectiver Körper <notexml:id="note-0263"next="#note-0264"place="foot"n="**)"><hirendition="#aq">Caro et sanguis regnum Dei non possidebunt. Non quod <hirendition="#g">car-<lb/>
nis illic substantia</hi> futura non sit, sed quod <hirendition="#g">carnalis omnis</hi></hi></note>. Der Glaube an das Jenſeits iſt nichts<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[245/0263]
Ferne beſchaut das himmliſche Leben ausſieht, deſto mehr ſtellt
ſich am Ende oder in der Nähe betrachtet die Identität des
himmliſchen mit dem natürlichen Leben heraus — eine Iden-
tität, die ſich zuletzt bis auf das Fleiſch, bis auf den Leib er-
ſtreckt. Zunächſt handelt es ſich um die Scheidung der Seele
vom Leibe, wie in der Anſchauung Gottes um die Scheidung
des Weſens von dem Individuum — das Individuum ſtirbt
einen geiſtigen Tod, der todte Leib, der zurückbleibt, iſt das
menſchliche Individuum, die Seele, die ſich davon geſchieden,
Gott. Aber die Scheidung der Seele vom Leibe, des Weſens
vom Individuum, Gottes vom Menſchen iſt nicht von Beſtand.
Jede Trennung thut wehe. Die Seele ſehnt ſich wieder nach
ihrem verlornen Theile, nach ihrem Leibe, wie Gott, die abge-
ſchiedene Seele, ſich wieder nach dem wirklichen Menſchen
ſehnt. Wie Gott daher wieder Menſch wird, ſo kehrt die Seele
wieder in ihren Leib zurück — und die vollkommene Iden-
tität des Dieß- und Jenſeits iſt jetzt wieder hergeſtellt. Zwar
iſt dieſer neue Leib ein lichtvoller, verklärter, wunderbarer
Leib, aber — und das iſt die Hauptſache — es iſt ein ande-
rer und doch derſelbe Leib *), wie Gott ein anderes und
doch daſſelbe Weſen als das menſchliche iſt. Wir kommen
hier wieder auf den Begriff des Wunders, welches Wider-
ſprechendes vereinigt. Der übernatürliche Körper iſt ein Kör-
per der Phantaſie, aber eben deßwegen ein dem Gemüthe des
Menſchen adäquater, weil ihn nicht beläſtigender — ein rein
ſubjectiver Körper **). Der Glaube an das Jenſeits iſt nichts
*) Ipsum (corpus) erit et non ipsum erit. Augustinus. (v. J. Ch.
Doederlein. Inst. Theol. Christ. Altorf. 1781. §. 280.)
**) Caro et sanguis regnum Dei non possidebunt. Non quod car-
nis illic substantia futura non sit, sed quod carnalis omnis
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/263>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.