haupt, daß Gott ist, so bist Du schon gerettet. Ob Du Dir unter diesem Gott ein wirklich göttliches Wesen oder ein Un- geheuer, einen Nero oder Caligula denkst, ein Bild Deiner Leidenschaft, Deiner Rach- und Ruhmsucht, das ist eins -- die Hauptsache ist, daß Du kein Atheist bist. Die Geschichte der Religion hat diese Folgerung, die wir hier aus dem Be- griffe der Existenz ziehen, hinlänglich bewiesen. Hätte sich nicht die Existenz Gottes für sich selbst als religiöse Wahr- heit in den Gemüthern befestigt, so würde man nie zu jenen schändlichen, unsinnigen, gräuelvollen Vorstellungen von Gott gekommen sein, welche die Geschichte der Religion brandmar- ken. Die Existenz Gottes war eine gemeine, empirische und doch zugleich heilige Sache -- was Wunder, wenn auf die- sem Grunde auch nur die gemeinsten, rohsten, unheiligsten Vorstellungen und Gesinnungen aufkeimten.
Die Moralität befestigt sich an einen ihr äußerlichen Grund, an die Existenz Gottes. Der Atheismus galt und gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller sittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht ist, so hebt sich aller Unterschied zwischen Gut und Böse, Tugend und Laster auf. Der Unterschied liegt also nur an der Exi- stenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr selbst, sondern außer ihr. Allerdings wird also an die Existenz Got- tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu- gendhafter Gesinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in- nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend, ist der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für sich selbst.
Es ist übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em- pirischen Existenz Gottes sich erst in neuerer Zeit, wo über-
18*
haupt, daß Gott iſt, ſo biſt Du ſchon gerettet. Ob Du Dir unter dieſem Gott ein wirklich göttliches Weſen oder ein Un- geheuer, einen Nero oder Caligula denkſt, ein Bild Deiner Leidenſchaft, Deiner Rach- und Ruhmſucht, das iſt eins — die Hauptſache iſt, daß Du kein Atheiſt biſt. Die Geſchichte der Religion hat dieſe Folgerung, die wir hier aus dem Be- griffe der Exiſtenz ziehen, hinlänglich bewieſen. Hätte ſich nicht die Exiſtenz Gottes für ſich ſelbſt als religiöſe Wahr- heit in den Gemüthern befeſtigt, ſo würde man nie zu jenen ſchändlichen, unſinnigen, gräuelvollen Vorſtellungen von Gott gekommen ſein, welche die Geſchichte der Religion brandmar- ken. Die Exiſtenz Gottes war eine gemeine, empiriſche und doch zugleich heilige Sache — was Wunder, wenn auf die- ſem Grunde auch nur die gemeinſten, rohſten, unheiligſten Vorſtellungen und Geſinnungen aufkeimten.
Die Moralität befeſtigt ſich an einen ihr äußerlichen Grund, an die Exiſtenz Gottes. Der Atheismus galt und gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller ſittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht iſt, ſo hebt ſich aller Unterſchied zwiſchen Gut und Böſe, Tugend und Laſter auf. Der Unterſchied liegt alſo nur an der Exi- ſtenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr ſelbſt, ſondern außer ihr. Allerdings wird alſo an die Exiſtenz Got- tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu- gendhafter Geſinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in- nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend, iſt der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für ſich ſelbſt.
Es iſt übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em- piriſchen Exiſtenz Gottes ſich erſt in neuerer Zeit, wo über-
18*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0293"n="275"/>
haupt, daß Gott iſt, ſo biſt Du ſchon gerettet. Ob Du Dir<lb/>
unter dieſem Gott ein wirklich göttliches Weſen oder ein Un-<lb/>
geheuer, einen Nero oder Caligula denkſt, ein Bild Deiner<lb/>
Leidenſchaft, Deiner Rach- und Ruhmſucht, das iſt eins —<lb/>
die Hauptſache iſt, daß Du <hirendition="#g">kein Atheiſt</hi> biſt. Die Geſchichte<lb/>
der Religion hat dieſe Folgerung, die wir hier aus dem Be-<lb/>
griffe der Exiſtenz ziehen, hinlänglich bewieſen. Hätte ſich<lb/>
nicht die Exiſtenz Gottes <hirendition="#g">für ſich ſelbſt</hi> als religiöſe Wahr-<lb/>
heit in den Gemüthern befeſtigt, ſo würde man nie zu jenen<lb/>ſchändlichen, unſinnigen, gräuelvollen Vorſtellungen von Gott<lb/>
gekommen ſein, welche die Geſchichte der Religion brandmar-<lb/>
ken. Die Exiſtenz Gottes war eine gemeine, empiriſche und<lb/>
doch zugleich heilige Sache — was Wunder, wenn auf die-<lb/>ſem Grunde auch nur die gemeinſten, rohſten, unheiligſten<lb/>
Vorſtellungen und Geſinnungen aufkeimten.</p><lb/><p>Die Moralität befeſtigt ſich an einen ihr äußerlichen<lb/>
Grund, an die <hirendition="#g">Exiſtenz</hi> Gottes. Der Atheismus galt und<lb/>
gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller<lb/>ſittlichen Gründe und Bande: <hirendition="#g">wenn Gott nicht iſt, ſo hebt<lb/>ſich aller Unterſchied zwiſchen Gut und Böſe, Tugend<lb/>
und Laſter auf</hi>. Der Unterſchied liegt alſo nur an der Exi-<lb/>ſtenz Gottes; die Realität der Tugend <hirendition="#g">nicht in ihr ſelbſt</hi>,<lb/>ſondern außer ihr. Allerdings wird alſo an die Exiſtenz Got-<lb/>
tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu-<lb/>
gendhafter Geſinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in-<lb/>
nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der<lb/>
Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend,<lb/>
iſt der Glaube an die <hirendition="#g">Nichtigkeit</hi> der Tugend <hirendition="#g">für ſich ſelbſt</hi>.</p><lb/><p>Es iſt übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em-<lb/>
piriſchen Exiſtenz Gottes ſich erſt in neuerer Zeit, wo über-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">18*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[275/0293]
haupt, daß Gott iſt, ſo biſt Du ſchon gerettet. Ob Du Dir
unter dieſem Gott ein wirklich göttliches Weſen oder ein Un-
geheuer, einen Nero oder Caligula denkſt, ein Bild Deiner
Leidenſchaft, Deiner Rach- und Ruhmſucht, das iſt eins —
die Hauptſache iſt, daß Du kein Atheiſt biſt. Die Geſchichte
der Religion hat dieſe Folgerung, die wir hier aus dem Be-
griffe der Exiſtenz ziehen, hinlänglich bewieſen. Hätte ſich
nicht die Exiſtenz Gottes für ſich ſelbſt als religiöſe Wahr-
heit in den Gemüthern befeſtigt, ſo würde man nie zu jenen
ſchändlichen, unſinnigen, gräuelvollen Vorſtellungen von Gott
gekommen ſein, welche die Geſchichte der Religion brandmar-
ken. Die Exiſtenz Gottes war eine gemeine, empiriſche und
doch zugleich heilige Sache — was Wunder, wenn auf die-
ſem Grunde auch nur die gemeinſten, rohſten, unheiligſten
Vorſtellungen und Geſinnungen aufkeimten.
Die Moralität befeſtigt ſich an einen ihr äußerlichen
Grund, an die Exiſtenz Gottes. Der Atheismus galt und
gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller
ſittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht iſt, ſo hebt
ſich aller Unterſchied zwiſchen Gut und Böſe, Tugend
und Laſter auf. Der Unterſchied liegt alſo nur an der Exi-
ſtenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr ſelbſt,
ſondern außer ihr. Allerdings wird alſo an die Exiſtenz Got-
tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu-
gendhafter Geſinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in-
nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der
Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend,
iſt der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für ſich ſelbſt.
Es iſt übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em-
piriſchen Exiſtenz Gottes ſich erſt in neuerer Zeit, wo über-
18*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/293>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.