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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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haupt der Empirismus und Materialismus in Flor kam, voll-
kommen ausgebildet hat. Allerdings ist auch schon im ur-
sprünglichen, einfältigen, religiösen Sinne Gott eine empiri-
sche
, selbst an einem Orte befindliche Existenz. Aber sie
hat doch hier nicht eine so nackte prosaische Bedeutung; die
Einbildungskraft identificirt wieder den äußerlichen Gott
mit dem Gemüthe des Menschen. Die Einbildungskraft ist
überhaupt der wahre Ort einer abwesenden, den Sinnen
nicht gegenwärtigen
, aber gleichwohl dem Wesen nach
sinnlichen
Existenz. Nur die Phantasie löst den Widerspruch
zwischen einer zugleich sinnlichen, zugleich unsinnlichen Exi-
stenz; nur die Phantasie bewahrt vor dem Atheismus. In
der Einbildungskraft hat die Existenz sinnliche Wirkun-
gen
-- die Existenz bethätigt sich als eine Macht; die Einbil-
dungskraft gesellt zu dem Wesen der sinnlichen Existenz auch
die Erscheinungen derselben. Wo die Existenz Gottes eine
lebendige Wahrheit, eine Sache der Einbildungskraft ist, da
werden auch Gotteserscheinungen geglaubt. Wo dagegen
das Feuer der religiösen Einbildungskraft erlischt, wo die mit
einer an sich sinnlichen Existenz nothwendig verbundnen sinn-
lichen Wirkungen oder Erscheinungen wegfallen, da wird die
Existenz zu einer todten, sich selbst widersprechenden Existenz,
die rettungslos der Negation des Atheismus anheim fällt.

Der Glaube an die Existenz Gottes ist der Glaube an
eine besondere, von der Existenz des Menschen und der Natur
unterschiedne Existenz. Eine besondere Existenz kann sich nur
auf besondere Weise constatiren. Dieser Glaube ist daher
nur dann ein wahrer lebendiger, wenn besondere Wirkun-
gen, unmittelbare Gotteserscheinungen, Wunder geglaubt
werden. Nur da, wo der Glaube an Gott sich identifi-

haupt der Empirismus und Materialismus in Flor kam, voll-
kommen ausgebildet hat. Allerdings iſt auch ſchon im ur-
ſprünglichen, einfältigen, religiöſen Sinne Gott eine empiri-
ſche
, ſelbſt an einem Orte befindliche Exiſtenz. Aber ſie
hat doch hier nicht eine ſo nackte proſaiſche Bedeutung; die
Einbildungskraft identificirt wieder den äußerlichen Gott
mit dem Gemüthe des Menſchen. Die Einbildungskraft iſt
überhaupt der wahre Ort einer abweſenden, den Sinnen
nicht gegenwärtigen
, aber gleichwohl dem Weſen nach
ſinnlichen
Exiſtenz. Nur die Phantaſie löſt den Widerſpruch
zwiſchen einer zugleich ſinnlichen, zugleich unſinnlichen Exi-
ſtenz; nur die Phantaſie bewahrt vor dem Atheismus. In
der Einbildungskraft hat die Exiſtenz ſinnliche Wirkun-
gen
— die Exiſtenz bethätigt ſich als eine Macht; die Einbil-
dungskraft geſellt zu dem Weſen der ſinnlichen Exiſtenz auch
die Erſcheinungen derſelben. Wo die Exiſtenz Gottes eine
lebendige Wahrheit, eine Sache der Einbildungskraft iſt, da
werden auch Gotteserſcheinungen geglaubt. Wo dagegen
das Feuer der religiöſen Einbildungskraft erliſcht, wo die mit
einer an ſich ſinnlichen Exiſtenz nothwendig verbundnen ſinn-
lichen Wirkungen oder Erſcheinungen wegfallen, da wird die
Exiſtenz zu einer todten, ſich ſelbſt widerſprechenden Exiſtenz,
die rettungslos der Negation des Atheismus anheim fällt.

Der Glaube an die Exiſtenz Gottes iſt der Glaube an
eine beſondere, von der Exiſtenz des Menſchen und der Natur
unterſchiedne Exiſtenz. Eine beſondere Exiſtenz kann ſich nur
auf beſondere Weiſe conſtatiren. Dieſer Glaube iſt daher
nur dann ein wahrer lebendiger, wenn beſondere Wirkun-
gen, unmittelbare Gotteserſcheinungen, Wunder geglaubt
werden. Nur da, wo der Glaube an Gott ſich identifi-

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[276/0294] haupt der Empirismus und Materialismus in Flor kam, voll- kommen ausgebildet hat. Allerdings iſt auch ſchon im ur- ſprünglichen, einfältigen, religiöſen Sinne Gott eine empiri- ſche, ſelbſt an einem Orte befindliche Exiſtenz. Aber ſie hat doch hier nicht eine ſo nackte proſaiſche Bedeutung; die Einbildungskraft identificirt wieder den äußerlichen Gott mit dem Gemüthe des Menſchen. Die Einbildungskraft iſt überhaupt der wahre Ort einer abweſenden, den Sinnen nicht gegenwärtigen, aber gleichwohl dem Weſen nach ſinnlichen Exiſtenz. Nur die Phantaſie löſt den Widerſpruch zwiſchen einer zugleich ſinnlichen, zugleich unſinnlichen Exi- ſtenz; nur die Phantaſie bewahrt vor dem Atheismus. In der Einbildungskraft hat die Exiſtenz ſinnliche Wirkun- gen — die Exiſtenz bethätigt ſich als eine Macht; die Einbil- dungskraft geſellt zu dem Weſen der ſinnlichen Exiſtenz auch die Erſcheinungen derſelben. Wo die Exiſtenz Gottes eine lebendige Wahrheit, eine Sache der Einbildungskraft iſt, da werden auch Gotteserſcheinungen geglaubt. Wo dagegen das Feuer der religiöſen Einbildungskraft erliſcht, wo die mit einer an ſich ſinnlichen Exiſtenz nothwendig verbundnen ſinn- lichen Wirkungen oder Erſcheinungen wegfallen, da wird die Exiſtenz zu einer todten, ſich ſelbſt widerſprechenden Exiſtenz, die rettungslos der Negation des Atheismus anheim fällt. Der Glaube an die Exiſtenz Gottes iſt der Glaube an eine beſondere, von der Exiſtenz des Menſchen und der Natur unterſchiedne Exiſtenz. Eine beſondere Exiſtenz kann ſich nur auf beſondere Weiſe conſtatiren. Dieſer Glaube iſt daher nur dann ein wahrer lebendiger, wenn beſondere Wirkun- gen, unmittelbare Gotteserſcheinungen, Wunder geglaubt werden. Nur da, wo der Glaube an Gott ſich identifi-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/294>, abgerufen am 05.12.2024.