Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

bildet, und dadurch, was ursprünglich nur ein Gemüthsaffect,
ein unmittelbarer Ausdruck der Bewunderung, der Entzückung,
ein Eindruck der Phantasie auf das Gemüth ist, als eine
objective Beschaffenheit, als wirkliche Unbegreiflichkeit
fixirt. Die beliebteste Ausdrucksweise der Reflexion in dieser
Beziehung ist, daß wir von Gott wohl das Daß, aber nim-
mermehr das Wie begreifen. Daß z. B. Gott das Prädicat
des Schöpfers wesentlich zukommt, daß er die Welt und zwar
nicht aus einer vorhandenen Materie, sondern durch seine All-
macht aus Nichts geschaffen, das ist klar, gewiß, ja unbezwei-
felbar gewiß; aber wie dieß möglich, das natürlich geht über
unsern beschränkten Verstand. Das heißt: der Gattungs-
begriff
ist klar, gewiß, aber der Artbegriff ist unklar, un-
gewiß.

Der Begriff der Thätigkeit, des Machens, Schaf-
fens ist an und für sich ein göttlicher Begriff; er wird
daher unbedenklich auf Gott angewendet. Im Thun fühlt
sich der Mensch frei, unbeschränkt, glücklich, im Leiden be-
schränkt, gedrückt, unglücklich. Thätigkeit ist positives
Selbstgefühl
. Positiv überhaupt ist, was im Menschen
von einer Freude begleitet ist -- Gott daher, wie wir schon
oben sagten, der Begriff der reinen, unbeschränkten
Freude
. Es gelingt uns nur, was wir gern thun. Alles
überwindet die Freudigkeit. Eine freudige Thätigkeit ist aber
eine solche, die mit unserem Wesen übereinstimmt, die wir
nicht als Schranke, folglich nicht als Zwang empfinden.
Die glücklichste, seligste Thätigkeit ist jedoch die producirende.
Lesen ist köstlich; Lesen ist passive Thätigkeit, aber Lesenswür-
diges Schaffen ist noch köstlicher. Geben ist seliger als
Nehmen, heißt es auch hier. Der Gattungsbegriff der her-

bildet, und dadurch, was urſprünglich nur ein Gemüthsaffect,
ein unmittelbarer Ausdruck der Bewunderung, der Entzückung,
ein Eindruck der Phantaſie auf das Gemüth iſt, als eine
objective Beſchaffenheit, als wirkliche Unbegreiflichkeit
fixirt. Die beliebteſte Ausdrucksweiſe der Reflexion in dieſer
Beziehung iſt, daß wir von Gott wohl das Daß, aber nim-
mermehr das Wie begreifen. Daß z. B. Gott das Prädicat
des Schöpfers weſentlich zukommt, daß er die Welt und zwar
nicht aus einer vorhandenen Materie, ſondern durch ſeine All-
macht aus Nichts geſchaffen, das iſt klar, gewiß, ja unbezwei-
felbar gewiß; aber wie dieß möglich, das natürlich geht über
unſern beſchränkten Verſtand. Das heißt: der Gattungs-
begriff
iſt klar, gewiß, aber der Artbegriff iſt unklar, un-
gewiß.

Der Begriff der Thätigkeit, des Machens, Schaf-
fens iſt an und für ſich ein göttlicher Begriff; er wird
daher unbedenklich auf Gott angewendet. Im Thun fühlt
ſich der Menſch frei, unbeſchränkt, glücklich, im Leiden be-
ſchränkt, gedrückt, unglücklich. Thätigkeit iſt poſitives
Selbſtgefühl
. Poſitiv überhaupt iſt, was im Menſchen
von einer Freude begleitet iſt — Gott daher, wie wir ſchon
oben ſagten, der Begriff der reinen, unbeſchränkten
Freude
. Es gelingt uns nur, was wir gern thun. Alles
überwindet die Freudigkeit. Eine freudige Thätigkeit iſt aber
eine ſolche, die mit unſerem Weſen übereinſtimmt, die wir
nicht als Schranke, folglich nicht als Zwang empfinden.
Die glücklichſte, ſeligſte Thätigkeit iſt jedoch die producirende.
Leſen iſt köſtlich; Leſen iſt paſſive Thätigkeit, aber Leſenswür-
diges Schaffen iſt noch köſtlicher. Geben iſt ſeliger als
Nehmen, heißt es auch hier. Der Gattungsbegriff der her-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0314" n="296"/>
bildet, und dadurch, was ur&#x017F;prünglich nur ein Gemüthsaffect,<lb/>
ein unmittelbarer Ausdruck der Bewunderung, der Entzückung,<lb/>
ein Eindruck der Phanta&#x017F;ie auf das Gemüth i&#x017F;t, als eine<lb/><hi rendition="#g">objective Be&#x017F;chaffenheit</hi>, als wirkliche Unbegreiflichkeit<lb/>
fixirt. Die beliebte&#x017F;te Ausdruckswei&#x017F;e der Reflexion in die&#x017F;er<lb/>
Beziehung i&#x017F;t, daß wir von Gott wohl das <hi rendition="#g">Daß</hi>, aber nim-<lb/>
mermehr das <hi rendition="#g">Wie</hi> begreifen. Daß z. B. Gott das Prädicat<lb/>
des Schöpfers we&#x017F;entlich zukommt, daß er die Welt und zwar<lb/>
nicht aus einer vorhandenen Materie, &#x017F;ondern durch &#x017F;eine All-<lb/>
macht aus Nichts ge&#x017F;chaffen, das i&#x017F;t klar, gewiß, ja unbezwei-<lb/>
felbar gewiß; aber <hi rendition="#g">wie</hi> dieß möglich, das natürlich geht über<lb/>
un&#x017F;ern be&#x017F;chränkten Ver&#x017F;tand. Das heißt: der <hi rendition="#g">Gattungs-<lb/>
begriff</hi> i&#x017F;t klar, gewiß, aber der <hi rendition="#g">Artbegriff</hi> i&#x017F;t unklar, un-<lb/>
gewiß.</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#g">Begriff der Thätigkeit</hi>, des Machens, Schaf-<lb/>
fens i&#x017F;t an und für &#x017F;ich ein <hi rendition="#g">göttlicher Begriff</hi>; er wird<lb/>
daher unbedenklich auf Gott angewendet. Im Thun fühlt<lb/>
&#x017F;ich der Men&#x017F;ch frei, unbe&#x017F;chränkt, glücklich, im Leiden be-<lb/>
&#x017F;chränkt, gedrückt, unglücklich. <hi rendition="#g">Thätigkeit</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#g">po&#x017F;itives<lb/>
Selb&#x017F;tgefühl</hi>. Po&#x017F;itiv überhaupt i&#x017F;t, was im Men&#x017F;chen<lb/>
von einer <hi rendition="#g">Freude</hi> begleitet i&#x017F;t &#x2014; Gott daher, wie wir &#x017F;chon<lb/>
oben &#x017F;agten, der Begriff der <hi rendition="#g">reinen, unbe&#x017F;chränkten<lb/>
Freude</hi>. Es gelingt uns nur, was wir gern thun. Alles<lb/>
überwindet die Freudigkeit. Eine freudige Thätigkeit i&#x017F;t aber<lb/>
eine &#x017F;olche, die mit un&#x017F;erem We&#x017F;en überein&#x017F;timmt, die wir<lb/>
nicht als Schranke, folglich nicht als Zwang empfinden.<lb/>
Die glücklich&#x017F;te, &#x017F;elig&#x017F;te Thätigkeit i&#x017F;t jedoch die producirende.<lb/>
Le&#x017F;en i&#x017F;t kö&#x017F;tlich; Le&#x017F;en i&#x017F;t pa&#x017F;&#x017F;ive Thätigkeit, aber Le&#x017F;enswür-<lb/>
diges Schaffen i&#x017F;t noch kö&#x017F;tlicher. Geben i&#x017F;t &#x017F;eliger als<lb/>
Nehmen, heißt es auch hier. Der Gattungsbegriff der her-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0314] bildet, und dadurch, was urſprünglich nur ein Gemüthsaffect, ein unmittelbarer Ausdruck der Bewunderung, der Entzückung, ein Eindruck der Phantaſie auf das Gemüth iſt, als eine objective Beſchaffenheit, als wirkliche Unbegreiflichkeit fixirt. Die beliebteſte Ausdrucksweiſe der Reflexion in dieſer Beziehung iſt, daß wir von Gott wohl das Daß, aber nim- mermehr das Wie begreifen. Daß z. B. Gott das Prädicat des Schöpfers weſentlich zukommt, daß er die Welt und zwar nicht aus einer vorhandenen Materie, ſondern durch ſeine All- macht aus Nichts geſchaffen, das iſt klar, gewiß, ja unbezwei- felbar gewiß; aber wie dieß möglich, das natürlich geht über unſern beſchränkten Verſtand. Das heißt: der Gattungs- begriff iſt klar, gewiß, aber der Artbegriff iſt unklar, un- gewiß. Der Begriff der Thätigkeit, des Machens, Schaf- fens iſt an und für ſich ein göttlicher Begriff; er wird daher unbedenklich auf Gott angewendet. Im Thun fühlt ſich der Menſch frei, unbeſchränkt, glücklich, im Leiden be- ſchränkt, gedrückt, unglücklich. Thätigkeit iſt poſitives Selbſtgefühl. Poſitiv überhaupt iſt, was im Menſchen von einer Freude begleitet iſt — Gott daher, wie wir ſchon oben ſagten, der Begriff der reinen, unbeſchränkten Freude. Es gelingt uns nur, was wir gern thun. Alles überwindet die Freudigkeit. Eine freudige Thätigkeit iſt aber eine ſolche, die mit unſerem Weſen übereinſtimmt, die wir nicht als Schranke, folglich nicht als Zwang empfinden. Die glücklichſte, ſeligſte Thätigkeit iſt jedoch die producirende. Leſen iſt köſtlich; Leſen iſt paſſive Thätigkeit, aber Leſenswür- diges Schaffen iſt noch köſtlicher. Geben iſt ſeliger als Nehmen, heißt es auch hier. Der Gattungsbegriff der her-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/314
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/314>, abgerufen am 05.12.2024.