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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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thum aufhebt, -- eine Liebe, die durch ihre Particularität mit
dem Wesen der Liebe in Widerspruch tritt, eine abnorme, lieb-
lose Liebe, die daher längst auch mit Recht ein Gegenstand der
Ironie geworden ist. Die wahre Liebe ist sich selbst genug;
sie bedarf keiner besondern Titel, keiner Autorität. Die Liebe
ist das universale Gesetz der Intelligenz und Na-
tur
-- sie ist nichts andres als die Realisation der Einheit
der Gattung auf dem Wege der Gesinnung. Soll diese Liebe
auf den Namen einer Person gegründet werden, so ist dieß
nicht möglich, als dadurch, daß mit dieser Person supersti-
tiöse
Begriffe verbunden werden, seien sie nun religiöser
oder speculativer Art. Aber mit der Superstition ist immer
Particularismus, mit dem Particularismus Fanatismus ver-
bunden. Die Liebe kann sich nur gründen auf die Einheit der
Gattung, der Intelligenz, auf die Natur der Menschheit; nur
dann ist sie eine gründliche, im Princip geschützte, garan-
tirte, freie
Liebe, denn sie stützt sich auf den Ursprung der
Liebe, aus dem selbst die Liebe Christi stammte. Die Liebe
Christi war selbst eine abgeleitete Liebe. Er liebte uns nicht
aus sich, kraft eigner Vollmacht, sondern kraft der Natur der
Menschheit. Stützt sich die Liebe auf seine Person, so ist diese
Liebe eine besondere, die nur so weit geht, als die An-
erkennung dieser Person
geht, eine Liebe, die sich nicht auf
den eignen Grund und Boden der Liebe stützt. Sollen wir
deßwegen uns lieben, weil Christus uns geliebt? Solche Liebe
wäre affectirte, nachgeäffte Liebe. Können wir nur wahr-
haft lieben, wenn wir Christus lieben? Aber ist Christus die
Ursache der Liebe? Oder ist er nicht vielmehr der Apostel der
Liebe? nicht der Grund seiner Liebe die Einheit der Menschen-
natur? Soll ich Christus mehr lieben als die Menschheit?

thum aufhebt, — eine Liebe, die durch ihre Particularität mit
dem Weſen der Liebe in Widerſpruch tritt, eine abnorme, lieb-
loſe Liebe, die daher längſt auch mit Recht ein Gegenſtand der
Ironie geworden iſt. Die wahre Liebe iſt ſich ſelbſt genug;
ſie bedarf keiner beſondern Titel, keiner Autorität. Die Liebe
iſt das univerſale Geſetz der Intelligenz und Na-
tur
— ſie iſt nichts andres als die Realiſation der Einheit
der Gattung auf dem Wege der Geſinnung. Soll dieſe Liebe
auf den Namen einer Perſon gegründet werden, ſo iſt dieß
nicht möglich, als dadurch, daß mit dieſer Perſon ſuperſti-
tiöſe
Begriffe verbunden werden, ſeien ſie nun religiöſer
oder ſpeculativer Art. Aber mit der Superſtition iſt immer
Particularismus, mit dem Particularismus Fanatismus ver-
bunden. Die Liebe kann ſich nur gründen auf die Einheit der
Gattung, der Intelligenz, auf die Natur der Menſchheit; nur
dann iſt ſie eine gründliche, im Princip geſchützte, garan-
tirte, freie
Liebe, denn ſie ſtützt ſich auf den Urſprung der
Liebe, aus dem ſelbſt die Liebe Chriſti ſtammte. Die Liebe
Chriſti war ſelbſt eine abgeleitete Liebe. Er liebte uns nicht
aus ſich, kraft eigner Vollmacht, ſondern kraft der Natur der
Menſchheit. Stützt ſich die Liebe auf ſeine Perſon, ſo iſt dieſe
Liebe eine beſondere, die nur ſo weit geht, als die An-
erkennung dieſer Perſon
geht, eine Liebe, die ſich nicht auf
den eignen Grund und Boden der Liebe ſtützt. Sollen wir
deßwegen uns lieben, weil Chriſtus uns geliebt? Solche Liebe
wäre affectirte, nachgeäffte Liebe. Können wir nur wahr-
haft lieben, wenn wir Chriſtus lieben? Aber iſt Chriſtus die
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Liebe? nicht der Grund ſeiner Liebe die Einheit der Menſchen-
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[364/0382] thum aufhebt, — eine Liebe, die durch ihre Particularität mit dem Weſen der Liebe in Widerſpruch tritt, eine abnorme, lieb- loſe Liebe, die daher längſt auch mit Recht ein Gegenſtand der Ironie geworden iſt. Die wahre Liebe iſt ſich ſelbſt genug; ſie bedarf keiner beſondern Titel, keiner Autorität. Die Liebe iſt das univerſale Geſetz der Intelligenz und Na- tur — ſie iſt nichts andres als die Realiſation der Einheit der Gattung auf dem Wege der Geſinnung. Soll dieſe Liebe auf den Namen einer Perſon gegründet werden, ſo iſt dieß nicht möglich, als dadurch, daß mit dieſer Perſon ſuperſti- tiöſe Begriffe verbunden werden, ſeien ſie nun religiöſer oder ſpeculativer Art. Aber mit der Superſtition iſt immer Particularismus, mit dem Particularismus Fanatismus ver- bunden. Die Liebe kann ſich nur gründen auf die Einheit der Gattung, der Intelligenz, auf die Natur der Menſchheit; nur dann iſt ſie eine gründliche, im Princip geſchützte, garan- tirte, freie Liebe, denn ſie ſtützt ſich auf den Urſprung der Liebe, aus dem ſelbſt die Liebe Chriſti ſtammte. Die Liebe Chriſti war ſelbſt eine abgeleitete Liebe. Er liebte uns nicht aus ſich, kraft eigner Vollmacht, ſondern kraft der Natur der Menſchheit. Stützt ſich die Liebe auf ſeine Perſon, ſo iſt dieſe Liebe eine beſondere, die nur ſo weit geht, als die An- erkennung dieſer Perſon geht, eine Liebe, die ſich nicht auf den eignen Grund und Boden der Liebe ſtützt. Sollen wir deßwegen uns lieben, weil Chriſtus uns geliebt? Solche Liebe wäre affectirte, nachgeäffte Liebe. Können wir nur wahr- haft lieben, wenn wir Chriſtus lieben? Aber iſt Chriſtus die Urſache der Liebe? Oder iſt er nicht vielmehr der Apoſtel der Liebe? nicht der Grund ſeiner Liebe die Einheit der Menſchen- natur? Soll ich Chriſtus mehr lieben als die Menſchheit?

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/382>, abgerufen am 05.12.2024.