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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Der Vater nimmt uns in seinen Hut,
Der Sohn wäscht uns mit seinem Blut,
Der heilig Geist ist stets bemüht,
Daß er uns pfleget und erzieht.

Was hat mein armes Herze
Vor Liebe krank gemacht?
Ach Jesu Tod und Schmerze,
Darein ich ihn gebracht.

Ach König groß zu aller Zeit
Doch mir niemalen größer
Als in dem blutgen Marterkleid.

Mein Wohlergehn im Herzen
Kommt von den bittern Schmerzen
Des Lammes Gottes her
Ich kann vor Liebesthränen
Der Sache kaum erwähnen;
Ach seht nur seine Wunden an!

Ihr auserwählten Wunden,
Wie seid ihr mir so schön!
Mein Herz wünscht alle Stunden
Euch gläubig anzusehn.
Ach bliebe durch den steten Blick
Der Eindruck seiner Marter
Recht tief in mir zurück.

Mein Freund ist mir und ich bin ihm
Wie's Gnadenstuhles Cherubim:
Wir sehn einander immer an,
So viel er mag, so viel ich kann.
Er sucht in meinem Herzen Ruh
Und ich eil immer seinem zu:
Er wünscht zu sein in meiner Seel
Und ich in seiner Seitenhöhl.

Diese Lieder sind entnommen dem "Gesangbuch zum Ge-
brauch der evangelischen Brüdergemeine. Gnadau, 1824."
Wir sehen an den bisher gegebenen Beispielen deutlich genug,
daß das tiefste Mysterium der christlichen Religion sich in das
Geheimniß der menschlichen Selbstliebe auflöst, daß aber
die religiöse Selbstliebe sich dadurch von der natürlichen un-
terscheidet, daß sie das Activum in ein Passivum verwandelt.

Der Vater nimmt uns in ſeinen Hut,
Der Sohn wäſcht uns mit ſeinem Blut,
Der heilig Geiſt iſt ſtets bemüht,
Daß er uns pfleget und erzieht.

Was hat mein armes Herze
Vor Liebe krank gemacht?
Ach Jeſu Tod und Schmerze,
Darein ich ihn gebracht.

Ach König groß zu aller Zeit
Doch mir niemalen größer
Als in dem blutgen Marterkleid.

Mein Wohlergehn im Herzen
Kommt von den bittern Schmerzen
Des Lammes Gottes her
Ich kann vor Liebesthränen
Der Sache kaum erwähnen;
Ach ſeht nur ſeine Wunden an!

Ihr auserwählten Wunden,
Wie ſeid ihr mir ſo ſchön!
Mein Herz wünſcht alle Stunden
Euch gläubig anzuſehn.
Ach bliebe durch den ſteten Blick
Der Eindruck ſeiner Marter
Recht tief in mir zurück.

Mein Freund iſt mir und ich bin ihm
Wie’s Gnadenſtuhles Cherubim:
Wir ſehn einander immer an,
So viel er mag, ſo viel ich kann.
Er ſucht in meinem Herzen Ruh
Und ich eil immer ſeinem zu:
Er wünſcht zu ſein in meiner Seel
Und ich in ſeiner Seitenhöhl.

Dieſe Lieder ſind entnommen dem „Geſangbuch zum Ge-
brauch der evangeliſchen Brüdergemeine. Gnadau, 1824.“
Wir ſehen an den bisher gegebenen Beiſpielen deutlich genug,
daß das tiefſte Myſterium der chriſtlichen Religion ſich in das
Geheimniß der menſchlichen Selbſtliebe auflöſt, daß aber
die religiöſe Selbſtliebe ſich dadurch von der natürlichen un-
terſcheidet, daß ſie das Activum in ein Paſſivum verwandelt.

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[394/0412] Der Vater nimmt uns in ſeinen Hut, Der Sohn wäſcht uns mit ſeinem Blut, Der heilig Geiſt iſt ſtets bemüht, Daß er uns pfleget und erzieht. Was hat mein armes Herze Vor Liebe krank gemacht? Ach Jeſu Tod und Schmerze, Darein ich ihn gebracht. Ach König groß zu aller Zeit Doch mir niemalen größer Als in dem blutgen Marterkleid. Mein Wohlergehn im Herzen Kommt von den bittern Schmerzen Des Lammes Gottes her Ich kann vor Liebesthränen Der Sache kaum erwähnen; Ach ſeht nur ſeine Wunden an! Ihr auserwählten Wunden, Wie ſeid ihr mir ſo ſchön! Mein Herz wünſcht alle Stunden Euch gläubig anzuſehn. Ach bliebe durch den ſteten Blick Der Eindruck ſeiner Marter Recht tief in mir zurück. Mein Freund iſt mir und ich bin ihm Wie’s Gnadenſtuhles Cherubim: Wir ſehn einander immer an, So viel er mag, ſo viel ich kann. Er ſucht in meinem Herzen Ruh Und ich eil immer ſeinem zu: Er wünſcht zu ſein in meiner Seel Und ich in ſeiner Seitenhöhl. Dieſe Lieder ſind entnommen dem „Geſangbuch zum Ge- brauch der evangeliſchen Brüdergemeine. Gnadau, 1824.“ Wir ſehen an den bisher gegebenen Beiſpielen deutlich genug, daß das tiefſte Myſterium der chriſtlichen Religion ſich in das Geheimniß der menſchlichen Selbſtliebe auflöſt, daß aber die religiöſe Selbſtliebe ſich dadurch von der natürlichen un- terſcheidet, daß ſie das Activum in ein Paſſivum verwandelt.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/412>, abgerufen am 05.12.2024.