Allerdings widersprechen sie auch -- der Grund davon ist selbst implicite in dieser Schrift ausgesprochen -- dem Christenthum; aber nur weil das Christenthum selbst ein Wi- derspruch ist. Sie widersprechen dem exoterischen, praktischen, aber nicht dem esoterischen, theoretischen Christenthum; sie wi- dersprechen der christlichen Liebe, inwiefern diese sich auf den Menschen bezieht, aber nicht dem christlichen Glauben, nicht der christlichen Liebe, inwiefern sie nur um Gottes willen die Menschen liebt, sich auf Gott, als das außerweltliche, übernatürliche Wesen, bezieht. Vom Cälibat und Mönchs- thum steht nun freilich nichts in der Bibel. Und das ist sehr natürlich. Im Anfang des Christenthums handelte es sich nur um die Anerkennung Jesu als des Christus, des Messias, nur um die Bekehrung der Heiden und Juden. Und diese Bekehrung war um so dringender, je näher man sich die Zeit des Gerichts und Weltuntergangs dachte, -- also periculum in mora. Es fehlte überhaupt Zeit und Gelegenheit zum Stillleben, zur Contemplation des Mönchthums. Nothwendig waltete daher damals eine mehr praktische und auch libera- lere Gesinnung vor, als in der spätern Zeit, wo das Chri- stenthum bereits zu weltlicher Herrschaft gelangt und damit der Bekehrungstrieb erloschen war. Apostoli (sagt ganz rich- tig die Kirche: Carranza l. c. p. 256.) cum fides incipe- ret, ad fidelium imbecillitatem se magis demitte- bant, cum autem evangelii praedicatio sit magis ampliata, oportet et Pontifices ad perfectam continentiam vitam suam dirigere. So wie einmal das Christenthum sich welt- lich realisirte, so mußte sich auch nothwendig die supernatura- listische, überweltliche Tendenz des Christenthums zu einer selbst weltlichen Scheidung von der Welt ausbilden. Und diese Gesinnung der Absonderung vom Leben, vom Leibe, von der Welt, diese erst hyper-, dann antikosmische Tendenz ist ächt biblischen Sinnes und Geistes. Außer den bereits an- geführten und andern allgemein bekannten Stellen mögen noch folgende als Beispiele dastehen. "Wer sein Leben auf dieser
Allerdings widerſprechen ſie auch — der Grund davon iſt ſelbſt implicite in dieſer Schrift ausgeſprochen — dem Chriſtenthum; aber nur weil das Chriſtenthum ſelbſt ein Wi- derſpruch iſt. Sie widerſprechen dem exoteriſchen, praktiſchen, aber nicht dem eſoteriſchen, theoretiſchen Chriſtenthum; ſie wi- derſprechen der chriſtlichen Liebe, inwiefern dieſe ſich auf den Menſchen bezieht, aber nicht dem chriſtlichen Glauben, nicht der chriſtlichen Liebe, inwiefern ſie nur um Gottes willen die Menſchen liebt, ſich auf Gott, als das außerweltliche, übernatürliche Weſen, bezieht. Vom Cälibat und Mönchs- thum ſteht nun freilich nichts in der Bibel. Und das iſt ſehr natürlich. Im Anfang des Chriſtenthums handelte es ſich nur um die Anerkennung Jeſu als des Chriſtus, des Meſſias, nur um die Bekehrung der Heiden und Juden. Und dieſe Bekehrung war um ſo dringender, je näher man ſich die Zeit des Gerichts und Weltuntergangs dachte, — alſo periculum in mora. Es fehlte überhaupt Zeit und Gelegenheit zum Stillleben, zur Contemplation des Mönchthums. Nothwendig waltete daher damals eine mehr praktiſche und auch libera- lere Geſinnung vor, als in der ſpätern Zeit, wo das Chri- ſtenthum bereits zu weltlicher Herrſchaft gelangt und damit der Bekehrungstrieb erloſchen war. Apostoli (ſagt ganz rich- tig die Kirche: Carranza l. c. p. 256.) cum fides incipe- ret, ad fidelium imbecillitatem se magis demitte- bant, cum autem evangelii praedicatio sit magis ampliata, oportet et Pontifices ad perfectam continentiam vitam suam dirigere. So wie einmal das Chriſtenthum ſich welt- lich realiſirte, ſo mußte ſich auch nothwendig die ſupernatura- liſtiſche, überweltliche Tendenz des Chriſtenthums zu einer ſelbſt weltlichen Scheidung von der Welt ausbilden. Und dieſe Geſinnung der Abſonderung vom Leben, vom Leibe, von der Welt, dieſe erſt hyper-, dann antikosmiſche Tendenz iſt ächt bibliſchen Sinnes und Geiſtes. Außer den bereits an- geführten und andern allgemein bekannten Stellen mögen noch folgende als Beiſpiele daſtehen. „Wer ſein Leben auf dieſer
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Allerdings widerſprechen ſie auch — der Grund davon
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aber nicht dem eſoteriſchen, theoretiſchen Chriſtenthum; ſie wi-
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Menſchen bezieht, aber nicht dem chriſtlichen Glauben,
nicht der chriſtlichen Liebe, inwiefern ſie nur um Gottes willen
die Menſchen liebt, ſich auf Gott, als das außerweltliche,
übernatürliche Weſen, bezieht. Vom Cälibat und Mönchs-
thum ſteht nun freilich nichts in der Bibel. Und das iſt ſehr
natürlich. Im Anfang des Chriſtenthums handelte es ſich nur
um die Anerkennung Jeſu als des Chriſtus, des Meſſias,
nur um die Bekehrung der Heiden und Juden. Und dieſe
Bekehrung war um ſo dringender, je näher man ſich die Zeit
des Gerichts und Weltuntergangs dachte, — alſo periculum
in mora. Es fehlte überhaupt Zeit und Gelegenheit zum
Stillleben, zur Contemplation des Mönchthums. Nothwendig
waltete daher damals eine mehr praktiſche und auch libera-
lere Geſinnung vor, als in der ſpätern Zeit, wo das Chri-
ſtenthum bereits zu weltlicher Herrſchaft gelangt und damit
der Bekehrungstrieb erloſchen war. Apostoli (ſagt ganz rich-
tig die Kirche: Carranza l. c. p. 256.) cum fides incipe-
ret, ad fidelium imbecillitatem se magis demitte-
bant, cum autem evangelii praedicatio sit magis ampliata,
oportet et Pontifices ad perfectam continentiam vitam
suam dirigere. So wie einmal das Chriſtenthum ſich welt-
lich realiſirte, ſo mußte ſich auch nothwendig die ſupernatura-
liſtiſche, überweltliche Tendenz des Chriſtenthums zu einer
ſelbſt weltlichen Scheidung von der Welt ausbilden. Und
dieſe Geſinnung der Abſonderung vom Leben, vom Leibe, von
der Welt, dieſe erſt hyper-, dann antikosmiſche Tendenz
iſt ächt bibliſchen Sinnes und Geiſtes. Außer den bereits an-
geführten und andern allgemein bekannten Stellen mögen noch
folgende als Beiſpiele daſtehen. „Wer ſein Leben auf dieſer
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/428>, abgerufen am 05.12.2024.
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