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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Quo pacto, inquam aut sanctus asseretur conceptus, qui
de spiritu s. non est, ne dicam de peccato est?
Ders.
(Epist. 174. Edit. cit.)

Es erhellt hieraus zur Genüge, daß die fleischliche Ver-
mischung an und für sich selbst das Grundübel der Menschheit
und folglich die Ehe, inwiefern sie auf den Geschlechts-
trieb sich gründet
, ehrlich herausgesagt, ein Product des
Teufels ist. Der Christ hat freilich gesagt, daß den Reinen
alles rein, daß alle Creatur als Geschöpf Gottes gut sei.
Aber aus demselben Munde, der diesen Satz ausgesprochen,
ist der entgegengesetzte gekommen, daß wir alle von Natur
phusei Kinder des Zornes Gottes sind. Wäre wirklich
und wahrhaft das Natürliche als das Gute anerkannt, so
würde das Christenthum mit allen seinen übernatürlichen Leh-
ren und Gnadenmitteln zusammenstürzen, als welche eben die
Verdorbenheit der Natur zur Voraussetzung haben. Wohl ist
die Creatur als Geschöpf Gottes gut, aber so, wie sie erschaf-
fen worden, so existirt sie ja längst schon nicht mehr. Der
Teufel hat die Creatur Gott abspenstig gemacht und bis in den
Grund hinein verdorben. "Verflucht sei der Acker um deinet-
willen." Der Fall der Creatur ist aber nur eine Hypothese,
wodurch sich der Glaube den lästigen, beunruhigenden Wider-
spruch, daß die Natur ein Product Gottes ist und dennoch so,
wie sie wirklich ist, sich nicht mit Gott, d. h. dem christlichen
Gemüthe zusammenreimen läßt, aus dem Sinne schlägt.

Allerdings hat das Christenthum nicht das Fleisch als
Fleisch, die Materie als Materie für etwas Sündhaftes, Un-
reines erklärt, im Gegentheil aufs heftigste gegen die Ketzer,
welche dieses aussprachen und die Ehe verwarfen, geeifert (s.
z. B. Clemens Alex. Stromata lib. III. und den h. Bernhard:
Super Cantica. Sermo 66.) -- übrigens, auch ganz abge-
sehen von dem Haß gegen die Ketzer, der so häufig die
heilige christliche Kirche inspirirte und so weltklug machte, aus
Gründen, aus denen keineswegs die Anerkennung der Natur
als solcher folgte, und unter Beschränkungen, d. i. Nega-

Quo pacto, inquam aut sanctus asseretur conceptus, qui
de spiritu s. non est, ne dicam de peccato est?
Derſ.
(Epist. 174. Edit. cit.)

Es erhellt hieraus zur Genüge, daß die fleiſchliche Ver-
miſchung an und für ſich ſelbſt das Grundübel der Menſchheit
und folglich die Ehe, inwiefern ſie auf den Geſchlechts-
trieb ſich gründet
, ehrlich herausgeſagt, ein Product des
Teufels iſt. Der Chriſt hat freilich geſagt, daß den Reinen
alles rein, daß alle Creatur als Geſchöpf Gottes gut ſei.
Aber aus demſelben Munde, der dieſen Satz ausgeſprochen,
iſt der entgegengeſetzte gekommen, daß wir alle von Natur
φύσει Kinder des Zornes Gottes ſind. Wäre wirklich
und wahrhaft das Natürliche als das Gute anerkannt, ſo
würde das Chriſtenthum mit allen ſeinen übernatürlichen Leh-
ren und Gnadenmitteln zuſammenſtürzen, als welche eben die
Verdorbenheit der Natur zur Vorausſetzung haben. Wohl iſt
die Creatur als Geſchöpf Gottes gut, aber ſo, wie ſie erſchaf-
fen worden, ſo exiſtirt ſie ja längſt ſchon nicht mehr. Der
Teufel hat die Creatur Gott abſpenſtig gemacht und bis in den
Grund hinein verdorben. „Verflucht ſei der Acker um deinet-
willen.“ Der Fall der Creatur iſt aber nur eine Hypotheſe,
wodurch ſich der Glaube den läſtigen, beunruhigenden Wider-
ſpruch, daß die Natur ein Product Gottes iſt und dennoch ſo,
wie ſie wirklich iſt, ſich nicht mit Gott, d. h. dem chriſtlichen
Gemüthe zuſammenreimen läßt, aus dem Sinne ſchlägt.

Allerdings hat das Chriſtenthum nicht das Fleiſch als
Fleiſch, die Materie als Materie für etwas Sündhaftes, Un-
reines erklärt, im Gegentheil aufs heftigſte gegen die Ketzer,
welche dieſes ausſprachen und die Ehe verwarfen, geeifert (ſ.
z. B. Clemens Alex. Stromata lib. III. und den h. Bernhard:
Super Cantica. Sermo 66.) — übrigens, auch ganz abge-
ſehen von dem Haß gegen die Ketzer, der ſo häufig die
heilige chriſtliche Kirche inſpirirte und ſo weltklug machte, aus
Gründen, aus denen keineswegs die Anerkennung der Natur
als ſolcher folgte, und unter Beſchränkungen, d. i. Nega-

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[416/0434] Quo pacto, inquam aut sanctus asseretur conceptus, qui de spiritu s. non est, ne dicam de peccato est? Derſ. (Epist. 174. Edit. cit.) Es erhellt hieraus zur Genüge, daß die fleiſchliche Ver- miſchung an und für ſich ſelbſt das Grundübel der Menſchheit und folglich die Ehe, inwiefern ſie auf den Geſchlechts- trieb ſich gründet, ehrlich herausgeſagt, ein Product des Teufels iſt. Der Chriſt hat freilich geſagt, daß den Reinen alles rein, daß alle Creatur als Geſchöpf Gottes gut ſei. Aber aus demſelben Munde, der dieſen Satz ausgeſprochen, iſt der entgegengeſetzte gekommen, daß wir alle von Natur φύσει Kinder des Zornes Gottes ſind. Wäre wirklich und wahrhaft das Natürliche als das Gute anerkannt, ſo würde das Chriſtenthum mit allen ſeinen übernatürlichen Leh- ren und Gnadenmitteln zuſammenſtürzen, als welche eben die Verdorbenheit der Natur zur Vorausſetzung haben. Wohl iſt die Creatur als Geſchöpf Gottes gut, aber ſo, wie ſie erſchaf- fen worden, ſo exiſtirt ſie ja längſt ſchon nicht mehr. Der Teufel hat die Creatur Gott abſpenſtig gemacht und bis in den Grund hinein verdorben. „Verflucht ſei der Acker um deinet- willen.“ Der Fall der Creatur iſt aber nur eine Hypotheſe, wodurch ſich der Glaube den läſtigen, beunruhigenden Wider- ſpruch, daß die Natur ein Product Gottes iſt und dennoch ſo, wie ſie wirklich iſt, ſich nicht mit Gott, d. h. dem chriſtlichen Gemüthe zuſammenreimen läßt, aus dem Sinne ſchlägt. Allerdings hat das Chriſtenthum nicht das Fleiſch als Fleiſch, die Materie als Materie für etwas Sündhaftes, Un- reines erklärt, im Gegentheil aufs heftigſte gegen die Ketzer, welche dieſes ausſprachen und die Ehe verwarfen, geeifert (ſ. z. B. Clemens Alex. Stromata lib. III. und den h. Bernhard: Super Cantica. Sermo 66.) — übrigens, auch ganz abge- ſehen von dem Haß gegen die Ketzer, der ſo häufig die heilige chriſtliche Kirche inſpirirte und ſo weltklug machte, aus Gründen, aus denen keineswegs die Anerkennung der Natur als ſolcher folgte, und unter Beſchränkungen, d. i. Nega-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/434>, abgerufen am 05.12.2024.