ten ihren Glauben durch ihr Leben. Die Heiden thun, was sie wollen, die Christen, was sie nicht wollen, jene sündigen mit, diese wider ihr Gewissen, jene einfach, diese doppelt, jene aus Hypertrophie, diese aus Atrophie des Fleisches. Das specifische Laster der Heiden ist das ponderable, sinnliche Laster der Unzucht, der Christen das imponderable theolo- gische Laster der Heuchelei -- jener Heuchelei, wovon der Jesuitismus zwar die auffallendste, weltgeschichtlichste, aber gleichwohl nur eine besondere Erscheinung ist. "Die Theo- logie macht sündhafte Leute" sagt Luther -- Luther dessen po- sitive Eigenschaften einzig sein Herz und Verstand so weit sie natürlich, nicht durch die Theologie verdorben waren.
Der christliche Himmel ist die christliche Wahr- heit. Was vom Himmel, ist vom wahren Christen- thum ausgeschlossen. Im Himmel ist der Christ da- von frei, wovon er hier frei zu sein wünscht, frei von dem Geschlechtstrieb, frei von der Materie, frei von der Natur überhaupt.
"In der Auferstehung werden sie weder freyen, noch sich freyen lassen; sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Himmel." Matthäi 22, 30. "Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise, aber Gott wird diesen und jenen hinrichten" (katargesei entbehrlich machen). I Korinth. 6, 13. "Davon sage ich aber lieben Brüder, daß Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben, auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche." (Ebend. 15, 50). "Sie wird nicht mehr hungern, noch dürsten, es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne oder irgend eine Hitze." Offenb. Joh. 7, 16. "Und wird keine Nacht da sein und nicht bedürfen einer Leuchte oder des Lichts der Sonne." Ebend. 22, 5. Comedere, bibere,
ten ihren Glauben durch ihr Leben. Die Heiden thun, was ſie wollen, die Chriſten, was ſie nicht wollen, jene ſündigen mit, dieſe wider ihr Gewiſſen, jene einfach, dieſe doppelt, jene aus Hypertrophie, dieſe aus Atrophie des Fleiſches. Das ſpecifiſche Laſter der Heiden iſt das ponderable, ſinnliche Laſter der Unzucht, der Chriſten das imponderable theolo- giſche Laſter der Heuchelei — jener Heuchelei, wovon der Jeſuitismus zwar die auffallendſte, weltgeſchichtlichſte, aber gleichwohl nur eine beſondere Erſcheinung iſt. „Die Theo- logie macht ſündhafte Leute“ ſagt Luther — Luther deſſen po- ſitive Eigenſchaften einzig ſein Herz und Verſtand ſo weit ſie natürlich, nicht durch die Theologie verdorben waren.
Der chriſtliche Himmel iſt die chriſtliche Wahr- heit. Was vom Himmel, iſt vom wahren Chriſten- thum ausgeſchloſſen. Im Himmel iſt der Chriſt da- von frei, wovon er hier frei zu ſein wünſcht, frei von dem Geſchlechtstrieb, frei von der Materie, frei von der Natur überhaupt.
„In der Auferſtehung werden ſie weder freyen, noch ſich freyen laſſen; ſondern ſie ſind gleich wie die Engel Gottes im Himmel.“ Matthäi 22, 30. „Die Speiſe dem Bauch und der Bauch der Speiſe, aber Gott wird dieſen und jenen hinrichten“ (καταϱγήσει entbehrlich machen). I Korinth. 6, 13. „Davon ſage ich aber lieben Brüder, daß Fleiſch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben, auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche.“ (Ebend. 15, 50). „Sie wird nicht mehr hungern, noch dürſten, es wird auch nicht auf ſie fallen die Sonne oder irgend eine Hitze.“ Offenb. Joh. 7, 16. „Und wird keine Nacht da ſein und nicht bedürfen einer Leuchte oder des Lichts der Sonne.“ Ebend. 22, 5. Comedere, bibere,
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ten ihren Glauben durch ihr Leben. Die Heiden thun, was
ſie wollen, die Chriſten, was ſie nicht wollen, jene ſündigen
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aus Hypertrophie, dieſe aus Atrophie des Fleiſches. Das
ſpecifiſche Laſter der Heiden iſt das ponderable, ſinnliche
Laſter der Unzucht, der Chriſten das imponderable theolo-
giſche Laſter der Heuchelei — jener Heuchelei, wovon der
Jeſuitismus zwar die auffallendſte, weltgeſchichtlichſte, aber
gleichwohl nur eine beſondere Erſcheinung iſt. „Die Theo-
logie macht ſündhafte Leute“ ſagt Luther — Luther deſſen po-
ſitive Eigenſchaften einzig ſein Herz und Verſtand ſo weit
ſie natürlich, nicht durch die Theologie verdorben waren.
Der chriſtliche Himmel iſt die chriſtliche Wahr-
heit. Was vom Himmel, iſt vom wahren Chriſten-
thum ausgeſchloſſen. Im Himmel iſt der Chriſt da-
von frei, wovon er hier frei zu ſein wünſcht, frei von
dem Geſchlechtstrieb, frei von der Materie, frei von
der Natur überhaupt.
„In der Auferſtehung werden ſie weder freyen, noch ſich
freyen laſſen; ſondern ſie ſind gleich wie die Engel Gottes im
Himmel.“ Matthäi 22, 30. „Die Speiſe dem Bauch und der
Bauch der Speiſe, aber Gott wird dieſen und jenen hinrichten“
(καταϱγήσει entbehrlich machen). I Korinth. 6, 13. „Davon
ſage ich aber lieben Brüder, daß Fleiſch und Blut nicht können
das Reich Gottes ererben, auch wird das Verwesliche nicht
erben das Unverwesliche.“ (Ebend. 15, 50). „Sie wird nicht
mehr hungern, noch dürſten, es wird auch nicht auf ſie fallen
die Sonne oder irgend eine Hitze.“ Offenb. Joh. 7, 16. „Und
wird keine Nacht da ſein und nicht bedürfen einer Leuchte oder
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/439>, abgerufen am 05.12.2024.
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