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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Der Christ denkt nur an sich *). Der Verstand betrachtet
mit demselben Enthusiasmus den Floh, die Laus, als das
Ebenbild Gottes, den Menschen. Nicht der Religionsbegei-
sterung, dem Verstandesenthusiasmus verdanken wir das
Dasein einer Botanik, einer Zoologie, einer Mineralogie, ei-
ner Astronomie. -- Kurz der Verstand ist ein universa-
les, pantheistisches
Wesen, die Liebe zum Universum,
aber die Religion, insbesondere die christliche, ein durchaus
anthropotheistisches Wesen, die Liebe des Menschen
zu sich selbst
, die ausschließliche Selbstbejahung des
menschlichen und zwar des subjectiv menschlichen Wesens;
denn allerdings bejaht auch der Verstand das Wesen des Men-
schen, aber das objective, das auf den Gegenstand um des
Gegenstandes willen sich beziehende Wesen, dessen Darstellung
eben die Wissenschaft ist. Es muß auch noch etwas ganz
Andres, als das Wesen des Verstandes, dem Menschen in der
Religion Gegenstand werden, wenn er sich in ihr befriedigen
soll und will, und dieses Etwas wird und muß den eigentli-
chen Kern der Religion enthalten.


Die in der Religion, zumal der christlichen, vor allen an-
dern objectiven Bestimmungen hervortretende Verstandes- oder
Vernunftbestimmung ist diejenige, welche, indem sie Gott vom
Menschen unterscheidet, unmittelbar zugleich eine wesentliche
Beziehung auf den Menschen ausdrückt. Diese Bestimmung

*) Ate incipiat cogitatio tua et in te finiatur, nec frustra in alia
distendaris, te neglecto. Praeter salutem tuam nihil cogites.
De int. Domo
.
(Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard). Si
te vigilanter homo attendas, mirum est, si ad aliud unquam inten-
das
. Divus Bernardus (Tract. de XII gradibus humil. et superbiae.)

Der Chriſt denkt nur an ſich *). Der Verſtand betrachtet
mit demſelben Enthuſiasmus den Floh, die Laus, als das
Ebenbild Gottes, den Menſchen. Nicht der Religionsbegei-
ſterung, dem Verſtandesenthuſiasmus verdanken wir das
Daſein einer Botanik, einer Zoologie, einer Mineralogie, ei-
ner Aſtronomie. — Kurz der Verſtand iſt ein univerſa-
les, pantheiſtiſches
Weſen, die Liebe zum Univerſum,
aber die Religion, insbeſondere die chriſtliche, ein durchaus
anthropotheiſtiſches Weſen, die Liebe des Menſchen
zu ſich ſelbſt
, die ausſchließliche Selbſtbejahung des
menſchlichen und zwar des ſubjectiv menſchlichen Weſens;
denn allerdings bejaht auch der Verſtand das Weſen des Men-
ſchen, aber das objective, das auf den Gegenſtand um des
Gegenſtandes willen ſich beziehende Weſen, deſſen Darſtellung
eben die Wiſſenſchaft iſt. Es muß auch noch etwas ganz
Andres, als das Weſen des Verſtandes, dem Menſchen in der
Religion Gegenſtand werden, wenn er ſich in ihr befriedigen
ſoll und will, und dieſes Etwas wird und muß den eigentli-
chen Kern der Religion enthalten.


Die in der Religion, zumal der chriſtlichen, vor allen an-
dern objectiven Beſtimmungen hervortretende Verſtandes- oder
Vernunftbeſtimmung iſt diejenige, welche, indem ſie Gott vom
Menſchen unterſcheidet, unmittelbar zugleich eine weſentliche
Beziehung auf den Menſchen ausdrückt. Dieſe Beſtimmung

*) Ate incipiat cogitatio tua et in te finiatur, nec frustra in alia
distendaris, te neglecto. Praeter salutem tuam nihil cogites.
De int. Domo
.
(Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard). Si
te vigilanter homo attendas, mirum est, si ad aliud unquam inten-
das
. Divus Bernardus (Tract. de XII gradibus humil. et superbiae.)
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[43/0061] Der Chriſt denkt nur an ſich *). Der Verſtand betrachtet mit demſelben Enthuſiasmus den Floh, die Laus, als das Ebenbild Gottes, den Menſchen. Nicht der Religionsbegei- ſterung, dem Verſtandesenthuſiasmus verdanken wir das Daſein einer Botanik, einer Zoologie, einer Mineralogie, ei- ner Aſtronomie. — Kurz der Verſtand iſt ein univerſa- les, pantheiſtiſches Weſen, die Liebe zum Univerſum, aber die Religion, insbeſondere die chriſtliche, ein durchaus anthropotheiſtiſches Weſen, die Liebe des Menſchen zu ſich ſelbſt, die ausſchließliche Selbſtbejahung des menſchlichen und zwar des ſubjectiv menſchlichen Weſens; denn allerdings bejaht auch der Verſtand das Weſen des Men- ſchen, aber das objective, das auf den Gegenſtand um des Gegenſtandes willen ſich beziehende Weſen, deſſen Darſtellung eben die Wiſſenſchaft iſt. Es muß auch noch etwas ganz Andres, als das Weſen des Verſtandes, dem Menſchen in der Religion Gegenſtand werden, wenn er ſich in ihr befriedigen ſoll und will, und dieſes Etwas wird und muß den eigentli- chen Kern der Religion enthalten. Die in der Religion, zumal der chriſtlichen, vor allen an- dern objectiven Beſtimmungen hervortretende Verſtandes- oder Vernunftbeſtimmung iſt diejenige, welche, indem ſie Gott vom Menſchen unterſcheidet, unmittelbar zugleich eine weſentliche Beziehung auf den Menſchen ausdrückt. Dieſe Beſtimmung *) Ate incipiat cogitatio tua et in te finiatur, nec frustra in alia distendaris, te neglecto. Praeter salutem tuam nihil cogites. De int. Domo. (Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard). Si te vigilanter homo attendas, mirum est, si ad aliud unquam inten- das. Divus Bernardus (Tract. de XII gradibus humil. et superbiae.)

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/61>, abgerufen am 27.11.2024.