Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

nothwendig einen Gefallen an sich. Weil es ist, ist es vor-
trefflich. Sein ist ein Glück, ein Vorzug. Was ist, liebt sich.
Tadelst Du, daß es sich liebt, so machst Du ihm den Vorwurf,
daß es ist. Sein heißt Sich bejahen, Sich lieben. Wer des
Lebens überdrüssig, nimmt sich das Leben. Wo die Empfin-
dung daher nicht zurückgesetzt oder unterdrückt wird, wie bei
den Stoikern, wo ihr Sein gegönnt wird, da ist ihr auch
schon religiöse Macht und Bedeutung eingeräumt, da ist
sie auch schon auf die Stufe erhoben, auf welcher sie sich in
sich spiegeln und reflectiren, in Gott in ihren eignen Spiegel
blicken kann. Gott ist der Spiegel des Menschen.

Was für den Menschen wesentlichen Werth hat, was ihm
für das Vollkommne, das Treffliche gilt, woran er wahres
Gefallen hat, das allein ist ihm Gott. Wem die Empfin-
dung für eine herrliche Eigenschaft, für eine Realität gilt, dem
gilt sie eben damit für eine göttliche Eigenschaft, eine gött-
liche Essenz. Der empfindende, gefühlvolle Mensch glaubt an
einen empfindenden, gefühlvollen Gott, glaubt nur an die
Wahrheit seines eignen Seins und Wesens, denn er kann
nichts andres glauben, als was er selbst in seinem
Wesen
ist. Sein Glaube ist das Bewußtsein dessen, was ihm
heilig ist. Aber heilig ist dem Menschen nur, was sein In-
nerstes
, sein Eigenstes, der letzte Grund, das Wesen
seiner Individualität ist. Dem empfindungsvollen Menschen
ist ein empfindungsloser Gott ein leerer, todter, abstracter, ne-
gativer Gott, weil ihm das fehlt, was dem Menschen werth
und heilig ist, und weil nur der Gott den Menschen befrie-
digt
, welcher des Menschen eignes Wesen enthält und aus-
drückt. Gott ist dem Menschen das Collectaneenbuch seiner
höchsten Gedanken und Empfindungen, das Stammbuch,

nothwendig einen Gefallen an ſich. Weil es iſt, iſt es vor-
trefflich. Sein iſt ein Glück, ein Vorzug. Was iſt, liebt ſich.
Tadelſt Du, daß es ſich liebt, ſo machſt Du ihm den Vorwurf,
daß es iſt. Sein heißt Sich bejahen, Sich lieben. Wer des
Lebens überdrüſſig, nimmt ſich das Leben. Wo die Empfin-
dung daher nicht zurückgeſetzt oder unterdrückt wird, wie bei
den Stoikern, wo ihr Sein gegönnt wird, da iſt ihr auch
ſchon religiöſe Macht und Bedeutung eingeräumt, da iſt
ſie auch ſchon auf die Stufe erhoben, auf welcher ſie ſich in
ſich ſpiegeln und reflectiren, in Gott in ihren eignen Spiegel
blicken kann. Gott iſt der Spiegel des Menſchen.

Was für den Menſchen weſentlichen Werth hat, was ihm
für das Vollkommne, das Treffliche gilt, woran er wahres
Gefallen hat, das allein iſt ihm Gott. Wem die Empfin-
dung für eine herrliche Eigenſchaft, für eine Realität gilt, dem
gilt ſie eben damit für eine göttliche Eigenſchaft, eine gött-
liche Eſſenz. Der empfindende, gefühlvolle Menſch glaubt an
einen empfindenden, gefühlvollen Gott, glaubt nur an die
Wahrheit ſeines eignen Seins und Weſens, denn er kann
nichts andres glauben, als was er ſelbſt in ſeinem
Weſen
iſt. Sein Glaube iſt das Bewußtſein deſſen, was ihm
heilig iſt. Aber heilig iſt dem Menſchen nur, was ſein In-
nerſtes
, ſein Eigenſtes, der letzte Grund, das Weſen
ſeiner Individualität iſt. Dem empfindungsvollen Menſchen
iſt ein empfindungsloſer Gott ein leerer, todter, abſtracter, ne-
gativer Gott, weil ihm das fehlt, was dem Menſchen werth
und heilig iſt, und weil nur der Gott den Menſchen befrie-
digt
, welcher des Menſchen eignes Weſen enthält und aus-
drückt. Gott iſt dem Menſchen das Collectaneenbuch ſeiner
höchſten Gedanken und Empfindungen, das Stammbuch,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="69"/>
nothwendig einen Gefallen an &#x017F;ich. Weil es i&#x017F;t, i&#x017F;t es vor-<lb/>
trefflich. Sein i&#x017F;t ein Glück, ein Vorzug. Was i&#x017F;t, liebt &#x017F;ich.<lb/>
Tadel&#x017F;t Du, daß es &#x017F;ich liebt, &#x017F;o mach&#x017F;t Du ihm den Vorwurf,<lb/>
daß es i&#x017F;t. Sein heißt Sich bejahen, Sich lieben. Wer des<lb/>
Lebens überdrü&#x017F;&#x017F;ig, nimmt &#x017F;ich das Leben. Wo die Empfin-<lb/>
dung daher nicht zurückge&#x017F;etzt oder unterdrückt wird, wie bei<lb/>
den Stoikern, wo ihr <hi rendition="#g">Sein</hi> gegönnt wird, da i&#x017F;t ihr auch<lb/>
&#x017F;chon <hi rendition="#g">religiö&#x017F;e Macht und Bedeutung</hi> eingeräumt, da i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie auch &#x017F;chon auf <hi rendition="#g">die</hi> Stufe erhoben, auf welcher &#x017F;ie &#x017F;ich in<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;piegeln und reflectiren, in Gott in ihren eignen Spiegel<lb/>
blicken kann. <hi rendition="#g">Gott i&#x017F;t der Spiegel des Men&#x017F;chen</hi>.</p><lb/>
          <p>Was für den Men&#x017F;chen we&#x017F;entlichen Werth hat, was ihm<lb/>
für das Vollkommne, das Treffliche gilt, woran er wahres<lb/>
Gefallen hat, das <hi rendition="#g">allein</hi> i&#x017F;t ihm <hi rendition="#g">Gott</hi>. Wem die Empfin-<lb/>
dung für eine herrliche Eigen&#x017F;chaft, für eine Realität gilt, dem<lb/>
gilt &#x017F;ie eben damit für eine <hi rendition="#g">göttliche Eigen&#x017F;chaft</hi>, eine gött-<lb/>
liche E&#x017F;&#x017F;enz. Der empfindende, gefühlvolle Men&#x017F;ch glaubt an<lb/>
einen empfindenden, gefühlvollen Gott, glaubt nur an die<lb/><hi rendition="#g">Wahrheit</hi> &#x017F;eines eignen Seins und We&#x017F;ens, denn er kann<lb/><hi rendition="#g">nichts andres glauben, als was er &#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;einem<lb/>
We&#x017F;en</hi> i&#x017F;t. Sein Glaube i&#x017F;t das Bewußt&#x017F;ein de&#x017F;&#x017F;en, was ihm<lb/>
heilig i&#x017F;t. Aber <hi rendition="#g">heilig</hi> i&#x017F;t dem Men&#x017F;chen nur, was &#x017F;ein <hi rendition="#g">In-<lb/>
ner&#x017F;tes</hi>, &#x017F;ein <hi rendition="#g">Eigen&#x017F;tes</hi>, der <hi rendition="#g">letzte Grund</hi>, das <hi rendition="#g">We&#x017F;en</hi><lb/>
&#x017F;einer Individualität i&#x017F;t. Dem empfindungsvollen Men&#x017F;chen<lb/>
i&#x017F;t ein empfindungslo&#x017F;er Gott ein leerer, todter, ab&#x017F;tracter, ne-<lb/>
gativer Gott, weil ihm das <hi rendition="#g">fehlt</hi>, was dem Men&#x017F;chen werth<lb/>
und heilig i&#x017F;t, und weil nur <hi rendition="#g">der</hi> Gott den Men&#x017F;chen <hi rendition="#g">befrie-<lb/>
digt</hi>, welcher des Men&#x017F;chen eignes We&#x017F;en enthält und aus-<lb/>
drückt. Gott i&#x017F;t dem Men&#x017F;chen das <hi rendition="#g">Collectaneenbuch</hi> &#x017F;einer<lb/>
höch&#x017F;ten Gedanken und Empfindungen, das <hi rendition="#g">Stammbuch</hi>,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0087] nothwendig einen Gefallen an ſich. Weil es iſt, iſt es vor- trefflich. Sein iſt ein Glück, ein Vorzug. Was iſt, liebt ſich. Tadelſt Du, daß es ſich liebt, ſo machſt Du ihm den Vorwurf, daß es iſt. Sein heißt Sich bejahen, Sich lieben. Wer des Lebens überdrüſſig, nimmt ſich das Leben. Wo die Empfin- dung daher nicht zurückgeſetzt oder unterdrückt wird, wie bei den Stoikern, wo ihr Sein gegönnt wird, da iſt ihr auch ſchon religiöſe Macht und Bedeutung eingeräumt, da iſt ſie auch ſchon auf die Stufe erhoben, auf welcher ſie ſich in ſich ſpiegeln und reflectiren, in Gott in ihren eignen Spiegel blicken kann. Gott iſt der Spiegel des Menſchen. Was für den Menſchen weſentlichen Werth hat, was ihm für das Vollkommne, das Treffliche gilt, woran er wahres Gefallen hat, das allein iſt ihm Gott. Wem die Empfin- dung für eine herrliche Eigenſchaft, für eine Realität gilt, dem gilt ſie eben damit für eine göttliche Eigenſchaft, eine gött- liche Eſſenz. Der empfindende, gefühlvolle Menſch glaubt an einen empfindenden, gefühlvollen Gott, glaubt nur an die Wahrheit ſeines eignen Seins und Weſens, denn er kann nichts andres glauben, als was er ſelbſt in ſeinem Weſen iſt. Sein Glaube iſt das Bewußtſein deſſen, was ihm heilig iſt. Aber heilig iſt dem Menſchen nur, was ſein In- nerſtes, ſein Eigenſtes, der letzte Grund, das Weſen ſeiner Individualität iſt. Dem empfindungsvollen Menſchen iſt ein empfindungsloſer Gott ein leerer, todter, abſtracter, ne- gativer Gott, weil ihm das fehlt, was dem Menſchen werth und heilig iſt, und weil nur der Gott den Menſchen befrie- digt, welcher des Menſchen eignes Weſen enthält und aus- drückt. Gott iſt dem Menſchen das Collectaneenbuch ſeiner höchſten Gedanken und Empfindungen, das Stammbuch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/87
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/87>, abgerufen am 30.11.2024.