Die Stärke oder Schwäche der Indicien hängt ab: A) von dem Verhältniss derselben zu den entgegenstehenden Gegenindicien. Es gilt demnach die Regel: je mehr Gründe dem Indicium entgegenstehen, desto mehr wird es ge- schwächt; je weniger ihm entgegenstehen, desto grösser ist die Vermuthung*). Diese Grund- regel bestimmt sowohl die Beurtheilung ein- zelner Indicien als auch die Beurtheilung concurrirender Indicien.
§. 589.
Die Gegenindicien können doppelter Art seyn: 1) directe Gründe der Vermuthung des Gegentheils von demjenigen, was aus den Anzeigungen geschlossen worden ist -- Con- tradictorische Gegenindicien. Diese bestehen in erwiesenen oder wahrscheinlichen Thatsachen, welche auf das Gegentheil schliessen lassen **). 2) Indirecte Gründe, d. i. solche, welche die Möglichkeit des entgegengesetzten Schlusses begründen, es also unmöglich machen, aus- schliessend und nothwendig von der gegebenen
That-
*) Die P. G. O. Art. 28. giebt selbst diese, in der Natur der Sache legende, aber noch nirgends für die Theorie benutzte Regel an.
**) Wenn z. E. der durch Indicien gravirte, als be- sonders rechtlicher Mensch bekannt ist, wenn gar kein Grund denkbar ist, aus welchem er das Verbrechen hätte begehen können, wenn wohl gar das Verbrechen seinem bekannten sinnlichen Interesse widerspricht, wenn etwa der Ermordete der Wohlthäter des Gravirten war, und dieser durch den Tod in ihm alle Unterstützung verliert.
G g
Von d. Gründ. d. Vermuth. oder von Indicien.
§. 588.
Die Stärke oder Schwäche der Indicien hängt ab: A) von dem Verhältniſs derſelben zu den entgegenſtehenden Gegenindicien. Es gilt demnach die Regel: je mehr Gründe dem Indicium entgegenſtehen, deſto mehr wird es ge- ſchwächt; je weniger ihm entgegenſtehen, deſto gröſser iſt die Vermuthung*). Dieſe Grund- regel beſtimmt ſowohl die Beurtheilung ein- zelner Indicien als auch die Beurtheilung concurrirender Indicien.
§. 589.
Die Gegenindicien können doppelter Art ſeyn: 1) directe Gründe der Vermuthung des Gegentheils von demjenigen, was aus den Anzeigungen geſchloſſen worden iſt — Con- tradictoriſche Gegenindicien. Dieſe beſtehen in erwieſenen oder wahrſcheinlichen Thatſachen, welche auf das Gegentheil ſchlieſsen laſſen **). 2) Indirecte Gründe, d. i. ſolche, welche die Möglichkeit des entgegengeſetzten Schluſſes begründen, es alſo unmöglich machen, aus- ſchlieſsend und nothwendig von der gegebenen
That-
*) Die P. G. O. Art. 28. giebt ſelbſt dieſe, in der Natur der Sache legende, aber noch nirgends für die Theorie benutzte Regel an.
**) Wenn z. E. der durch Indicien gravirte, als be- ſonders rechtlicher Menſch bekannt iſt, wenn gar kein Grund denkbar iſt, aus welchem er das Verbrechen hätte begehen können, wenn wohl gar das Verbrechen ſeinem bekannten ſinnlichen Intereſſe widerſpricht, wenn etwa der Ermordete der Wohlthäter des Gravirten war, und dieſer durch den Tod in ihm alle Unterſtützung verliert.
G g
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><pbfacs="#f0495"n="467"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#i">Von d. Gründ. d. Vermuth. oder von Indicien.</hi></fw><lb/><divn="8"><head>§. 588.</head><lb/><p>Die Stärke oder Schwäche der Indicien<lb/>
hängt ab: A) von dem Verhältniſs derſelben<lb/>
zu den entgegenſtehenden <hirendition="#i">Gegenindicien.</hi> Es<lb/>
gilt demnach die Regel: <hirendition="#i">je mehr Gründe dem<lb/>
Indicium entgegenſtehen, deſto mehr wird es ge-<lb/>ſchwächt; je weniger ihm entgegenſtehen, deſto<lb/>
gröſser iſt die Vermuthung</hi><noteplace="foot"n="*)">Die P. G. O. Art. 28. giebt ſelbſt dieſe, in der<lb/>
Natur der Sache legende, aber noch nirgends<lb/>
für die Theorie benutzte Regel an.</note>. Dieſe Grund-<lb/>
regel beſtimmt ſowohl die Beurtheilung ein-<lb/>
zelner Indicien als auch die Beurtheilung<lb/>
concurrirender Indicien.</p></div><lb/><divn="8"><head>§. 589.</head><lb/><p>Die Gegenindicien können doppelter Art<lb/>ſeyn: 1) <hirendition="#i">directe Gründe</hi> der Vermuthung des<lb/>
Gegentheils von demjenigen, was aus den<lb/>
Anzeigungen geſchloſſen worden iſt —<hirendition="#i">Con-<lb/>
tradictoriſche Gegenindicien.</hi> Dieſe beſtehen in<lb/><hirendition="#i">erwieſenen</hi> oder <hirendition="#i">wahrſcheinlichen</hi> Thatſachen,<lb/>
welche auf das Gegentheil ſchlieſsen laſſen <noteplace="foot"n="**)">Wenn z. E. der durch Indicien gravirte, als be-<lb/>ſonders rechtlicher Menſch bekannt iſt, wenn gar<lb/>
kein Grund denkbar iſt, aus welchem er das<lb/>
Verbrechen hätte begehen können, wenn wohl<lb/>
gar das Verbrechen ſeinem bekannten ſinnlichen<lb/>
Intereſſe widerſpricht, wenn etwa der Ermordete<lb/>
der Wohlthäter des Gravirten war, und dieſer<lb/>
durch den Tod in ihm alle Unterſtützung verliert.</note>.<lb/>
2) <hirendition="#i">Indirecte</hi> Gründe, d. i. ſolche, welche<lb/>
die <hirendition="#i">Möglichkeit</hi> des entgegengeſetzten Schluſſes<lb/>
begründen, es alſo unmöglich machen, <hirendition="#i">aus-<lb/>ſchlieſsend</hi> und <hirendition="#i">nothwendig</hi> von der gegebenen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G g</fw><fwplace="bottom"type="catch">That-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[467/0495]
Von d. Gründ. d. Vermuth. oder von Indicien.
§. 588.
Die Stärke oder Schwäche der Indicien
hängt ab: A) von dem Verhältniſs derſelben
zu den entgegenſtehenden Gegenindicien. Es
gilt demnach die Regel: je mehr Gründe dem
Indicium entgegenſtehen, deſto mehr wird es ge-
ſchwächt; je weniger ihm entgegenſtehen, deſto
gröſser iſt die Vermuthung *). Dieſe Grund-
regel beſtimmt ſowohl die Beurtheilung ein-
zelner Indicien als auch die Beurtheilung
concurrirender Indicien.
§. 589.
Die Gegenindicien können doppelter Art
ſeyn: 1) directe Gründe der Vermuthung des
Gegentheils von demjenigen, was aus den
Anzeigungen geſchloſſen worden iſt — Con-
tradictoriſche Gegenindicien. Dieſe beſtehen in
erwieſenen oder wahrſcheinlichen Thatſachen,
welche auf das Gegentheil ſchlieſsen laſſen **).
2) Indirecte Gründe, d. i. ſolche, welche
die Möglichkeit des entgegengeſetzten Schluſſes
begründen, es alſo unmöglich machen, aus-
ſchlieſsend und nothwendig von der gegebenen
That-
*) Die P. G. O. Art. 28. giebt ſelbſt dieſe, in der
Natur der Sache legende, aber noch nirgends
für die Theorie benutzte Regel an.
**) Wenn z. E. der durch Indicien gravirte, als be-
ſonders rechtlicher Menſch bekannt iſt, wenn gar
kein Grund denkbar iſt, aus welchem er das
Verbrechen hätte begehen können, wenn wohl
gar das Verbrechen ſeinem bekannten ſinnlichen
Intereſſe widerſpricht, wenn etwa der Ermordete
der Wohlthäter des Gravirten war, und dieſer
durch den Tod in ihm alle Unterſtützung verliert.
G g
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/495>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.