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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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immerfort behandelter Mensch wird es auch
fernerhin bleiben, und jede Erkenntniß wird
ihm nothwendig Lebensantrieb werden.

2) Indem auf diese Weise statt des dun¬
keln Gefühls die klare Erkenntniß zu dem
allerersten, und zu der wahren Grundlage, und
Ausgangspunkte des Lebens gemacht wird,
wird die Selbstsucht ganz übergangen, und um
ihre Entwiklung betrogen. Denn nur das
dunkle Gefühl giebt dem Menschen sein Selbst
als ein Genußbedürftiges, und Schmerz¬
scheuendes; keinesweges aber giebt es ihm
also der klare Begriff, sondern dieser zeigt es
als Glied einer sittlichen Ordnung, und es
giebt eine Liebe dieser Ordnung, welche bei
der Entwiklung des Begriffs zugleich mit an¬
gezündet und entwickelt wird. Mit der Selbst¬
sucht bekommt diese Erziehung gar nichts zu
thun, weil sie die Wurzel derselben, das dunkle
Gefühl, durch Klarheit erstickt; sie bestreitet
sie nicht, eben so wenig als sie dieselbe entwik¬
kelt, sie weiß gar nicht von ihr. Wäre es mög¬
lich, daß diese Sucht später dennoch sich regen
sollte, so würde sie das Herz schon angefüllt

G

immerfort behandelter Menſch wird es auch
fernerhin bleiben, und jede Erkenntniß wird
ihm nothwendig Lebensantrieb werden.

2) Indem auf dieſe Weiſe ſtatt des dun¬
keln Gefuͤhls die klare Erkenntniß zu dem
allererſten, und zu der wahren Grundlage, und
Ausgangspunkte des Lebens gemacht wird,
wird die Selbſtſucht ganz uͤbergangen, und um
ihre Entwiklung betrogen. Denn nur das
dunkle Gefuͤhl giebt dem Menſchen ſein Selbſt
als ein Genußbeduͤrftiges, und Schmerz¬
ſcheuendes; keinesweges aber giebt es ihm
alſo der klare Begriff, ſondern dieſer zeigt es
als Glied einer ſittlichen Ordnung, und es
giebt eine Liebe dieſer Ordnung, welche bei
der Entwiklung des Begriffs zugleich mit an¬
gezuͤndet und entwickelt wird. Mit der Selbſt¬
ſucht bekommt dieſe Erziehung gar nichts zu
thun, weil ſie die Wurzel derſelben, das dunkle
Gefuͤhl, durch Klarheit erſtickt; ſie beſtreitet
ſie nicht, eben ſo wenig als ſie dieſelbe entwik¬
kelt, ſie weiß gar nicht von ihr. Waͤre es moͤg¬
lich, daß dieſe Sucht ſpaͤter dennoch ſich regen
ſollte, ſo wuͤrde ſie das Herz ſchon angefuͤllt

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[97/0103] immerfort behandelter Menſch wird es auch fernerhin bleiben, und jede Erkenntniß wird ihm nothwendig Lebensantrieb werden. 2) Indem auf dieſe Weiſe ſtatt des dun¬ keln Gefuͤhls die klare Erkenntniß zu dem allererſten, und zu der wahren Grundlage, und Ausgangspunkte des Lebens gemacht wird, wird die Selbſtſucht ganz uͤbergangen, und um ihre Entwiklung betrogen. Denn nur das dunkle Gefuͤhl giebt dem Menſchen ſein Selbſt als ein Genußbeduͤrftiges, und Schmerz¬ ſcheuendes; keinesweges aber giebt es ihm alſo der klare Begriff, ſondern dieſer zeigt es als Glied einer ſittlichen Ordnung, und es giebt eine Liebe dieſer Ordnung, welche bei der Entwiklung des Begriffs zugleich mit an¬ gezuͤndet und entwickelt wird. Mit der Selbſt¬ ſucht bekommt dieſe Erziehung gar nichts zu thun, weil ſie die Wurzel derſelben, das dunkle Gefuͤhl, durch Klarheit erſtickt; ſie beſtreitet ſie nicht, eben ſo wenig als ſie dieſelbe entwik¬ kelt, ſie weiß gar nicht von ihr. Waͤre es moͤg¬ lich, daß dieſe Sucht ſpaͤter dennoch ſich regen ſollte, ſo wuͤrde ſie das Herz ſchon angefuͤllt G

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/103>, abgerufen am 21.11.2024.